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# taz.de -- Aus der Politik in die Wirtschaft: Der Fall Rürup
> Unrecht sind sie nicht, die postpolitischen Karrieren der Politiker. Gut
> für Vertrauen in die Demokratie sind sie aber lange nicht. Das zeigt auch
> der - eher untypische - Fall Rürup.
Bild: Rürup, der als Experte darauf hingewirkt hat, dass staatlich subventioni…
Bert Rürup wechselt zu dem Finanzdienstleiter AWD. Rürup ist Chef der
Wirtschaftsweisen, Professor und ein hochkarätiger, einflussreicher Berater
der Bundesregierung. Er ist 65 Jahre alt und möchte gerne noch mal etwas
Neues machen. Und damit auch, erfreulicher Nebeneffekt, ziemlich viel Geld
verdienen. Das ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Oder doch nicht?
Dieser Karrieresprung hat einen Beigeschmack. Denn AWD verkauft staatlich
subventionierte private Renten. Rürup war nie ein gewählter Politiker, der
im Bundestag zum Beispiel für die Einführung privater Rentenversicherungen
votiert hat. Allerdings hat er als Experte entscheidend daran mitgewirkt,
dass unter Rot-Grün staatlich subventionierte private Rentenversicherungen
eingeführt wurde. Und davon profitiert auch AWD.
Der Fall Rürup ist eher untypisch - eben weil der Professor mit dem
SPD-Parteibuch kein aktiver Volksvertreter war. Die Empfindlichkeit, mit
der manche auf diesen Wechsel reagieren, hat wohl mit einer tief sitzenden
Enttäuschung über Rot-Grün zu tun. Bei Konservativen überrascht die
selbstverständliche Verzahnung mit Wirtschaftsinteressen ja nicht weiter.
Dass Kohl ein paar hunderttausend Euro jährlich als "Berater" von Leo Kirch
bekam, passte ins Bild. Doch die postpolitischen Karrieren der
sozialdemokratischen Elite sind auch nicht besser. Gerhard Schröder
wechselte vom Bundeskanzleramt prompt in den Aufsichtsrat eines
deutsch-russischen Gaskonsortiums, was ihm 250.000 Euro jährlich einbringt.
Otto Schily, der als Innenminister die Einführung des biometrischen
Personalausweises betrieb, saß 2006 im Aufsichtsrat von zwei Firmen, die -
seltsamer Zufall - an der Produktion biometrischer Personalausweise
beteiligt sind. Werner Müller, Wirtschaftsminister im ersten rot-grünen
Kabinett, wurde 2003 Chef der Ruhrkohle AG. Wolfgang Clement, Superminister
unter Schröder, heuerte beim Energiekonzern RWE an. Walter Riester, der als
Arbeitsminister die für Versicherungskonzerne lukrative staatliche
geförderte Riester-Rente einführte, kam 2007 mit Vorträgen auf das
erstaunliche Honorar von mindestens 169.000 Euro - bezahlt von ebenjener
Versicherungsbranche. Und Caio Koch-Weser war bis 2005 als Staatssekretär
im Finanzministerium für Bankenkontrolle zuständig. Danach wechselte er als
Manager zur Deutschen Bank. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Nicht sonderlich ruhmreich wirken auch die Postpolitik-Karrieren mancher
Grüner. Matthias Berninger wechselte vom Verbraucherschutzministerium
geschmackvollerweise direkt zu einem Süßwarenkonzern, Margaretha Wolff,
einst grüne Staatssekretärin, macht heute unter anderem Werbung für die
Atomlobby. Die Liste ist noch länger.
Ist das alles wirklich schlimm? Das Gegenargument lautet, dass Politiker in
der Wirtschaft immer ein Populismus-anfälliges Thema ist, bei dem schnell
Affekte den nüchternen Blick trüben. Wer Politikern enge Fesseln anlegt,
wird mit Politikern bestraft, die ewig an ihrem Sessel kleben, weil sie
sonst keine Karrierechancen haben. Oder die, nachdem sie ihren Politikerjob
an den Nagel hängen, zwangsverrentet werden.
Doch diese Einwände sind genauso grob wie ein pauschaler
Korruptionsverdacht. Jeder dieser Wechsel bedarf genauer Betrachtung. Dass
die Exgrüne Wolff für die Atomlobby wirbt, kann man politisch verheerend
oder charakterlos finden - doch dass sie dabei das im öffentlichen Amt
gewonnene Wissen eigennützig missbraucht, ist unwahrscheinlich. Anders
liegt der Fall etwa bei Koch-Weser oder Schily, wo die Linie zwischen
politischem, dem Gemeinwohl verpflichtetem und privatem Engagement direkt
zu sein scheint.
Und Rürup? Er hat das Recht auf freie Berufswahl. Er hat gegen kein Gesetz
verstoßen, wohl noch nicht mal gegen ein ungeschriebenes, weil er ja nur
als Experte an der Gesetzgebung beteiligt war. Doch klug, gar weise, ist
diese mehr als verstörende Vermischung von öffentlichem Engagement und
privatem Eigennutz nicht - im Gegenteil. Fast alle diese Fälle fördern das
Ressentiment, dass die oben doch sowieso auf eigene Rechnung arbeiten. Das
ist Raubbau am wichtigsten Kapital, das die Demokratie hat:
Glaubwürdigkeit.
20 Nov 2008
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Stefan Reinecke
## TAGS
Grüne Hessen
Schwerpunkt Angela Merkel
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