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# taz.de -- Kolumne Bestellen und versenden: Alles andere als frei
> Alle Jahre wieder, wenn Berlin Biennale und/oder documenta ist, wird
> wiederholungszwanghaft nach der Politik in der Kunst gesucht.
„Wie politisch ist die Kunst?“, fragt zum Beispiel das Magazin Monopol auf
dem Cover seiner aktuellen Ausgabe.
Die Gedanken der Zwanghaften sind logischerweise alles andere als frei, und
Zwangsgedanken werden oft als eine Form des „magischen Denkens“ gedeutet.
Und so gleicht die Politikfrage im Kunstbetrieb denn auch einer rituellen
Beschwörung: Kunst wird als utopischer Ort aufgerufen, an dem noch so etwas
wie authentische Politik stattfinden könne, während Realpolitik – so die
Hintergrundannahme – eine Wüste des Banalen sei. Die Logik des
Wiederholungszwangs setzt sich sogleich fort: Auf der Flucht vor der
vermeintlichen Banalität landet man schon wieder bei der nächsten. In einem
lesenswerten Artikel der Jungle World hat die Gruppe Rosa Perutz
geschrieben, die aktuelle Berlin Biennale funktioniere nach einem
überschaubaren „Setzkastenprinzip“. Sehnsucht nach einer Politik ohne
Verwaltung erfüllt sich also denkbar schal in einer nicht weniger
verwalteten Kunstveranstaltung.
Zugegeben: Berlinale-Leiter Artur Zmijewski repräsentiert nicht den State
of the Art politischer Kunst, von diesem ressentimentgeladenen Rüpel waren
subtile Interventionen nicht zu erwarten gewesen. Überhaupt ist zu ihm fast
alles gesagt. Doch das Outsourcing von Aufgaben des politischen Diskurses
in das Register der Kunst ist selbst da oft ein Problem, wo es weniger
holzschnittartig zugeht. Denn meist bleibt die entscheidende normative
Grundlage ungeklärt: Warum genau Kunst eigentlich politisch sein soll. Wie
passend ist jeweils das Label „politisch“ für Kunst, die kritisch sein
will? Und wäre es heute nicht viel dringlicher, die Politik selbst zu
politisieren?
Gute Gründe gäbe es, da die Familienministerin ein Buch ohne politische
Aussage darin schreibt, ein Werber in Stuttgart als OB kandidiert, die
radikal postideologische Piratenpartei Transparenz mit Demokratie
verwechselt und in der EU-Politik statt Argumenten nur noch Zahlen zählen.
Das postpolitische Kontinuum wird in diesen Zeiten bis zur schlechten
Unendlichkeit in die Länge gezogen.
Ob man da wirklich im Medium der Kunst herauskommt, wie es sich
Realpolitikverächter auf ihrer sehnsüchtigen Suche nach einer wahreren
Politik jenseits der Politik erhoffen? Zum ganzen Komplex Postpolitik und
Postdemokratie gibt es bekanntlich eine von Autoren wie Colin Crouch oder
Jacques Rancière geführte Theoriediskussion, und in den Katalogen zu den
Biennalen dieser Welt tauchen die einschlägigen Philosophennamen oft als
Stichwortgeber auf.
Konsequenzen haben ihre Überlegungen deswegen noch lange nicht. Wenn es
politisch zugehen soll, sind theoretische Irritationen nicht wirklich
erwünscht, stattdessen wird Politik zu etwas verdinglicht, das der
Biennalen-Kurator unbedingt im Programm haben muss. Dieser Import wirkt wie
eine Ersatzhandlung, mit der die Bedeutung der Kunst vor den Widrigkeiten
des Marktes gerettet werden soll. Wer sich aber nicht mit den aktuellen
Phänomenen von Post- und Pseudopolitik auseinandersetzt und Politik zu
etwas unproblematisch Gegebenem zurichtet, wird die Kunst kaum
vielversprechend politisieren können.
## Schlichtes Verständnis
Die Verdinglichung „der Politik“ lebt nicht nur von der Unterstellung, dass
„politisch“ per se ein Qualitätsmerkmal ist, sondern auch davon, dass
dieses Attribut ein Synonym für „links“ und „kritisch“ ist. Nicht alle…
Zmijewskis schlichtes und mindestens genauso rechtes wie linkes
Politikverständnis lässt diese Gleichsetzung fragwürdig erscheinen.
In ihrem gerade bei Zero Books erschienenen Buch „The Art Kettle“ schreibt
die Philosophin Sinéad Murphy, dass der Kunstbetrieb kritische und
emanzipatorische Potenziale gleichsam „einkessele“. Kunst sei Modus der
Kontrolle geworden, und jeder politische Einsatz innerhalb dieses Systems
mache tatsächliche gesellschaftliche Veränderung unwahrscheinlicher. Folgt
man dieser Argumentation, die nach einem Update von Marcuses „repressiver
Toleranz“ klingt, dann mögen sich viele politische Künstler und Kuratoren
subjektiv zwar kritisch und links finden, objektiv unterstützen sie einen
Prozess, in dem politischer Einspruch durch Ästhetisierung unschädlich
gemacht wird. Wenn das stimmt, wäre es ein weiteres Argument für die
Politisierung der Politik.
14 May 2012
## AUTOREN
Aram Lintzel
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