# taz.de -- Debatte Deutsche Identität: Die Rache der Gedemütigten | |
> Nationalfarbene Rückspiegelpräservative – das wird doch noch erlaubt | |
> sein. Es geht um Identität. Aber was ist das eigentlich? | |
Bild: Verkehrte Welt: Links ist Identität, rechts nicht. | |
Jetzt regen sich schon wieder irgendwelche intellektuellen und politischen | |
Spielverderber über unseren Spaß an „Schland“ (markenrechtlich geschützt | |
von Raab TV GmbH), Deutschlandfähnchen, nationalfarbene | |
Rückspiegelpräservative und Schwarz-Rot-Gold im Gesicht auf. Das wird doch | |
noch erlaubt sein, das ist Pop, das ist Identität in netter Form. | |
Offensichtlich braucht und sucht tatsächlich jeder Mensch Identität und | |
findet sie in sehr unterschiedlichen Elementen von Gesellschaft und Kultur, | |
in der Religion, in der Sprache, in der Nation, im Klassenbewusstsein oder | |
im Handwerk. Identität ist nichts anderes als ein Wort für Kontinuität. | |
Für etwas im Leben, zu dem man immer zurückkehren kann und das einem | |
Sicherheit gibt, auf das man sich immer wieder beziehen kann. Man spürt die | |
Identität, wenn sie in Gefahr geraten ist, und weil man sie da so schön | |
spürt, lässt man sie nur zu gern in Gefahr geraten. Es gibt Identitäten, | |
die hauptsächlich aus dem Hass gegen alles besteht, von dem es heißt, es | |
wäre dagegen. | |
Blöderweise ist aber eben biografische und soziale Kontinuität etwas, das | |
der moderne Kapitalismus mit seiner Flexibilisierung, Dynamisierung, | |
Globalisierung und Privatisierung gar nicht brauchen kann. Zu viel | |
Kontinuität ist Wettbewerbsnachteil und Wachstumsbremse. Die aktuelle | |
Soziologie spricht denn auch gern von einer „situativen Identität“. Es ist | |
eine Identität, die man je nach Bedarf wechselt, die immer temporär | |
angelegt ist und die sich in aller Regel als mehr oder weniger geschickte | |
Anpassung an äußere Verhältnisse realisiert. | |
## „Blitzkrieg! Blitzkrieg!“ | |
Ob eine solche situative Identität allein reicht, um sich biografisch mit | |
einer funktionablen Kontinuität auszustatten, sei dahingestellt. Doch | |
leicht lassen sich zwei Formen der Identität unterscheiden, die reale und | |
die fiktive. | |
Reale Identität wird durch gesellschaftlich und kulturell produzierte | |
Kontinuität erzeugt und weitergegeben. In den Familien, in den Erzähl- und | |
Wertegemeinschaften, aber auch in den Texten und Bildern, in der Bildung. | |
Sie kann in der Tat ganz schön lästig werden. Trotzdem kann man sich eine | |
Menschenseele nur schwer vorstellen ohne sie. Offenkundig scheint ein | |
Mangel an realer Identität (an kultureller Erbschaft etwa) zu einem | |
gesteigerten Verlangen nach fiktiver Identität zu führen: nationalistische, | |
rassistische Phantasmen auf der einen Seite, Pop-Kulte auf der anderen. | |
Am besten scheint es, wenn diese Formen der fiktiven Identitäten (sie | |
bestehen aus Symbolen, Riten und Behauptungen) leicht miteinander verknüpft | |
sind. Nationale Identität kann dann schon beim Fan-Blog auf Spiegel online | |
zu einem Ejakulat wie dem zum Sieg über Frankreich führen: „Blitzkrieg! | |
Blitzkrieg!“ Ist doch alles nur Spaß. Das heißt, man weiß nicht, was Spaß | |
ist und wo es ernst wird, und man will es auch nicht wissen. | |
## „Patriotismus“ und „Identität“ | |
„Identität“ im Allgemeinen und „nationale Identität“ im Besonderen sc… | |
ein so rares Gut geworden, dass man schon nichts mehr dabei findet, noch | |
die trivialste und obszönste Form davon als großes Fest zu feiern und neben | |
einer gewaltigen Bierwolke auch in einem Meer der Fahnen, der | |
Schwarz-Rot-Gold-Schminke, der nationalen Devotionalien zu versinken. Die | |
anderen machen das auch, nur wir machen es halt gründlicher, lauter und | |
nachhaltiger als die, so sind wir eben. | |
Die konservative bis reaktionäre Ideologie behauptet fest, dass die | |
nationale Identität verschwunden sei, weil die Menschen sie einfach nicht | |
zu würdigen wissen. Kaum verliert die italienische Mannschaft, da | |
attackiert ihr Trainer auch schon das heimische Publikum: Das zeige nicht | |
genug Patriotismus, jeder sei da nur noch seine eigene Ich-Unternehmung, | |
man identifiziere sich nicht genügend mit den Anliegen der Nation. | |
Über den Mangel an Patriotismus in Italien habe ich mich, trotz der hohen | |
Kunst von Jammern und Murren, so eigentlich noch nie beklagen hören. Aber | |
an so ein einfaches Modell für das, was „Patriotismus“ und „Identität�… | |
sein soll, nämlich bei seinem Fehlen die Erklärung für schlechte | |
Leistungen, kann man sich gewöhnen, oder? Wenn demnächst wieder einmal | |
etwas gründlich schiefläuft, was ist dann schuld? Richtig, der Mangel an | |
nationaler Identität und Patriotismus. Herr Gauck, übernehmen Sie. | |
## Lieblingswort „Gedemütigt“ | |
Die Identität im Allgemeinen und die nationale Identität im Besonderen | |
können indes nur noch aus der Negation heraus verstanden und konstruiert | |
werden. National ist nach dem rechten Weltbild (und ein anderes ist hier | |
bald nicht mehr zu haben) nicht, wer sein Land mag und es möglichst | |
menschenfreundlich gestalten will, national ist, wer die Fremden und das | |
Fremde hasst, wer mit Hass, Neid und Missgunst auf die anderen sieht. | |
Schau sie dir doch an! Die haben nicht nur mehr Kinder, die haben nicht nur | |
Familien, die haben auch eine Identität, eine religiöse, eine politische. | |
Sogar eine Hautfarbe kann so etwas sein, eine Identität. Man kann das einen | |
Identitätsneid nennen. Nationale Identität, als eine besondere Form der | |
fiktiven Identität, kann man nur kriegen, wenn man sie einer anderen | |
nationalen Identität wegnimmt. Deshalb ist das Lieblingswort gegenüber den | |
Verlierern im Fan-Blog: „gedemütigt“. Gleich gefolgt von „vom Platz fege… | |
Hooliganismus ist nicht die Ausnahme, er ist die Konsequenz von | |
Identitätskonsumismus. | |
Es ist freilich der größte Trugschluss, man könne eine Identität, die | |
gesellschaftlich und kulturell nicht erzeugt worden ist, sozusagen | |
künstlich, ideologisch und symbolisch nachholen. Dabei kommt nur eine oft | |
genug wörtlich mörderische Paranoia zustande. Denn die eigene | |
Nicht-Identität, die beinahe noch immer der „Dünger“ der | |
rechtspopulistischen, rassistischen und neofaschistischen Weltbilder ist, | |
wird durch den Hass auf vermeintliche Identität anderer nicht weniger, nur | |
die Sucht nach Bosheit und Gewalt gegenüber den anderen wird immer größer. | |
Deshalb wird aus glücklichem Gewinnen eines Spiels dieses unglückliche | |
Gewinnenmüssen. Katastrophe und „Schmach“ sind immer viel näher als der | |
kleine Identitätsrausch. | |
10 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Georg Seeßlen | |
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Deutschland | |
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Liberalismus | |
WM-Teil | |
WM 2014 | |
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