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# taz.de -- Deutschlandfähnchen bei der EM: Flaggen am rechten Kotflügel
> Wer Fahnen hisst, markiert damit sein Revier. Wenn Schwarz-Rot-Gold
> gezeigt wird, setzt sich die Mehrheitsgesellschaft über andere Gruppen
> hinweg.
Bild: Hier fährt nicht unbedingt der Bundespräsident: Deutschlandfähnchen an…
Zu einem Drittel sehen wir nun wieder schwarz, vier Wochen lang. Der Rest
wird rot und gold sein, und auch der wird uns als Flaggenschmuck über die
[1][Fußball-EM] begleiten. Das kennen wir von 2006, als in Deutschland die
[2][WM] stattfand. Es war die Zeit, als mit Rudi Völler, Christian Wulff,
Jürgen Klinsmann, Jogi Gauck und Joachim Löw ständig die Bundespräsidenten
und -trainer wechselten. Ein Horst Köhler, der damals den Job bekleidete,
hatte sich gefreut: „Ich finde gut, dass ich nicht mehr der Einzige bin mit
einer Flagge am Auto.“
Doch gemäß der [3][„Anordnung über die deutschen Flaggen“] dürfen solche
„Stander“ nicht nur vom Bundespräsidenten, sondern auch etwa vom
Bundeskanzler oder der Bundestagspräsidentin am Dienstauto angebracht
werden; am rechten Kotflügel übrigens. Was den Bundespräsidenten besonders
macht, ist, dass er eine „Standarte“ spazieren fährt, andere staatliche
Respektspersonen hingegen eine Bundesdienstflagge. Das geht dann schon eher
in Richtung dessen, was demnächst wieder mit viel Gehupe und
Man-wird-doch-wohl-noch-Gekläffe dieses Land prägen wird.
Flaggen markieren territoriale Besitzansprüche. Alles, wohin sie wehen,
gehört uns. Diese Symbolik gilt nicht nur, wenn eine Flagge etwa auf dem
Mond, einem erstbestiegenen Berggipfel oder einer Insel gehisst wird, das
gilt auch für Autos. Wer ein Deutschlandfähnchen am Fenster einklemmt, über
den Rückspiegel streift oder gar auf den Kühler legt, möchte damit sein
Reich markieren. Wo dieses Auto fährt, da regiert sein Fahrer. Das ist doch
auch die Botschaft der „Anordnung über deutsche Flaggen“.
Das Erobern öffentlicher Räume gehört zur modernen Gesellschaft. Ob Demo
oder Jubelkorso nach politischen oder sportlichen Erfolgen oder mit viel
Gehupe gefeierte türkische Hochzeit – die Botschaft ist, dass in diesem
Moment der umkämpfte öffentliche Raum dieser Gruppe gehört. Wer ihn sich
nicht nimmt, überlässt ihn nur anderen – das gilt unabhängig von allen
Inhalten.
## Zu einem Drittel sehen wir schwarz
Nicht selten machen sich hier Sozialgruppen hör- und sichtbar, die sonst
gesellschaftlich keine Berücksichtigung finden. Dazu gehören auch
Fußballfans. Nach einer Meisterschaft oder einem Aufstieg können plötzlich
Leute das Gesicht einer Stadt bestimmen, die sonst mit ihren Kutten,
Vokuhilas und Vereinsflaggen null Berücksichtigung finden. Sie gelten
schlicht nicht als umworbene Zielgruppen und sind auch keine vorzeigbaren
Repräsentanten ihrer Kommune.
Nun aber das Phänomen, von der Vereins- einfach auf die Nationalflagge zu
verlängern, wäre falsch. Es ist ja nicht die an den gesellschaftlichen Rand
gedrängte Gruppe der Fußballfans, die ihre weithin als folkloristisches
Auslaufmodell gehandelte Kultur inszeniert – wer will, darf die gerne auch
proletarische Öffentlichkeit nennen. Nein, mit den Deutschlandfähnchen
gurkt ja gerade nicht der loyale Club-Anhang über die Straßen dieses
Landes, sondern da gibt plötzlich beinah die gesamte Nation Gas.
Das ist der Unterschied: Nicht eine Randgruppe fordert mit Flaggen und
ähnlichem Symbolzeug, endlich wahrgenommen zu werden, sondern die Mehrheit
zeigt plötzlich marginalisierten, als nicht normal wahrgenommenen Gruppen,
dass diese hier nichts mehr zu lachen haben.
Es passt zu den jüngsten Wahlergebnissen. Mindestens zu einem Drittel sehen
wir schwarz.
13 Jun 2024
## LINKS
[1] /Fussball-EM-2024/!t5629788
[2] /Fussball-WM-2006/!t5243872
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/flaggano_1996/FlaggAnO_1996.pdf
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Kolumne Über den Ball und die Welt
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Nationalismus
GNS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Kolumne Hamburger, aber halal
Public Viewing
Deutschland
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