Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutsche Flaggen an Hausfassaden: Meine Angst und wo sie herkommt
> Deutsche Flaggen an Wohnhäusern beängstigen mich. Das liegt an der AfD
> und dem Ergebnis der Europawahl. Aber es ist Zeit, die Angst los zu
> werden.
Bild: Deutsche Fahnen an Fenstern gibt es derzeit wieder gehäuft: Fassaden in …
Ich habe das Glück, dass ich fast immer zu Fuß zur Arbeit laufen kann. Ich
genieße es, diese halbe Stunde zu gehen, höre dabei Podcasts, bereite mich
auf den Arbeitstag vor und beobachte meine Mit-Hamburger*innen. Letzte
Woche sah ich auf meinem Weg in einem Fenster eine deutsche Flagge hängen.
Eine große Flagge, Schwarz-Rot-Gold, dazu der Schriftzug „Deutschland“.
Meine erste Reaktion: Angst. Ich fragte mich, ob da jemand wohnt, der
politisch rechts ist? Und ob das ein [1][Zeichen gegen uns Ausländer ist?]
Ein paar Schritte weiter erinnerte ich mich daran, dass die
Fußball-Europameisterschaft gerade begonnen hat und dass es auch sonst
viele Gründe geben kann, warum sich jemand die deutsche Nationalflagge
aufhängen möchte. Den Rest meines Weges musste ich mich also fragen, warum
meine erste Reaktion [2][diese Angst] war.
Ich lebe seit mehr als acht Jahren in Deutschland und – inshallah – bekomme
ich bald einen deutschen Pass und werde dann auch Deutscher sein. Ich habe
eine deutsche Frau geheiratet, habe deutsche Freund*innen, Kolleg*innen
und Bekannte, ich arbeite in Deutschland und zahle deutsche Steuern (als
freiberuflicher Medienmacher sogar ziemlich viele). Warum also diese
[3][Angst vor der Identität „Deutschland“?]
Die aktuellen Nachrichten machen natürlich auch mir Angst, von
[4][Remigrationsfantasien der AfD] bis hin zu „Deutschland den
Deutschen“-Gesängen. Das Gefühl, dass ich als muslimischer, als syrischer
Araber nicht auch gleichzeitig deutscher Staatsbürger sein könnte, wird
wieder stärker. Für mich, aber auch für viele andere Muslim*innen ist
auch die Rolle Deutschlands und der innerdeutsche Diskurs zum [5][Krieg in
Palästina] ein Faktor.
Die Ergebnisse der [6][Europawahl] zeigen, dass Deutschland weiter nach
rechts gerückt ist. Auch Hamburg, obwohl ich das manchmal vergesse. Acht
Prozent der Wählenden haben hier die AfD gewählt, das sind knapp 69.000
Hamburger*innen. Wenn ich das nächste Mal in der S-Bahn nach Bergedorf
sitze, werde ich daran denken, dass die AfD im Stadtteil Neuallermöhe 20
Prozent geholt hat. Weitere knapp 2.300 Hamburger*innen haben für
rechte und rechtsextreme Kleinstparteien gestimmt, zum Beispiel Heimat,
„Aktion Bürger für Gerechtigkeit“ oder „Die Basis“.
Viele Leser*innen denken sich sicher: Aber die Mehrheit in Hamburg hat
die Grünen gewählt! Das stimmt. Trotzdem sind diese Wahlergebnisse für mich
als Fast-Deutscher und Hamburger wie ein Stoppschild, das mir signalisiert:
„Ha, nicht so schnell! Mach es dir nicht zu gemütlich, wer weiß, was noch
kommt.“
Irgendwie verbinden sich diese Gedanken mit der deutschen Flagge. Aber
warum, weiß ich immer noch nicht genau. Mir wurde oft erzählt, dass viele
Deutsche, auch jene ohne Migrationshintergrund, es peinlich, unangenehm
oder auch zu rechts finden, die deutsche Flagge zu zeigen. Das hat für
viele mit der deutschen Geschichte und dem Wissen zu tun, wo deutscher
Nationalismus hinführen kann.
Ich finde das interessant, gerade weil es viele Menschen mit
Migrationsgeschichte gibt (egal ob mit oder ohne deutsche
Staatsbürgerschaft), die gerne und stolz die Nationalflaggen ihrer
familiären oder ehemaligen Heimatländern zeigen, zum Beispiel aus der
Türkei, Polen oder Indien. Ich sehe auch immer wieder Veranstaltungen mit
Bezug auf den Krieg in der Ukraine, wo auch kleine Kinder die ukrainische
Flagge tragen. Diese Länder haben ihre eigenen Geschichten und die
Menschen, die jetzt in Deutschland leben, verbinden damit ihre persönlichen
Perspektiven.
Am Wochenende war ich in einer Shisha-Bar, in der die deutsche Fahne hing.
Vielleicht ist es für mich Zeit, die deutsche Nationalflagge in einem neuen
Licht zu sehen. Dabei kann mir sogar die EM helfen.
24 Jun 2024
## LINKS
[1] /Deutschlandfaehnchen-bei-der-EM/!6013576
[2] /Rassistische-Gewalt/!6014385
[3] /Rassismus-und-die-EM-2024/!6014076
[4] /Tuerken-in-Deutschland/!6001373
[5] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
[6] /Schwerpunkt-Europawahl/!t5533778
## AUTOREN
Hussam Al Zaher
## TAGS
Kolumne Hamburger, aber halal
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Rassismus
Flagge
Social-Auswahl
Kolumne Hamburger, aber halal
Schwer mehrfach normal
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Über den Ball und die Welt
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Erfahrungen mit der deutschen Flagge: Unbehaglich mit Schwarz-Rot-Gold
Als ich nach Deutschland kam, ist mir die Flagge nur in
rechts-nationalistischen Kontexten begegnet. Doch sie kann für Exil-Syrer
eine Lücke füllen.
Politik und Fußball-EM: Rassisten am Arsch
Die Fußball-EM macht mir Spaß. Solange Deutschland gewinnt, wird insgesamt
weniger genörgelt. Und die AfD-Äußerungen sind überraschend amüsant.
Rassistische Gewalt: Kein Sommermärchen
Die EM bringt vielen Menschen Freude, andere versetzt sie in Panik. Zum
nationalen „Wir“-Happening sind nicht alle eingeladen.
Deutschlandfähnchen bei der EM: Flaggen am rechten Kotflügel
Wer Fahnen hisst, markiert damit sein Revier. Wenn Schwarz-Rot-Gold gezeigt
wird, setzt sich die Mehrheitsgesellschaft über andere Gruppen hinweg.
Rassismus und die EM 2024: Wir Meister des Selbstbetrugs
Ein Sommermärchen 2.0 soll diese EM werden, wenn es nach dem DFB geht. Da
muss man schon ausblenden, wie viel seit 2006 gesellschaftlich gekippt ist.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.