# taz.de -- Deutsch-britische Beziehungen: Die erste Nato-Operation | |
> Der Sieg bei Waterloo war weder ein deutscher noch ein britischer. Er war | |
> europäisch. Dies ist bezeichnend für das damalige Verhältnis der beiden | |
> Länder. | |
Bild: Im belgischen Waterloo wird die 200 Jahre zurückliegende Schlacht regelm… | |
Die letzten Jahre waren keine guten für die deutsch-britischen Beziehungen. | |
Großbritannien und Deutschland sind über die Zukunft der Europäischen Union | |
wiederholt aneinandergeraten. Ein robuster auftretendes London und ein | |
vorsichtiges – sogar versöhnliches – Berlin bleiben weit auseinander in der | |
Frage, wie mit Bedrohungen umzugehen ist, die so verschieden sind wie der | |
IS im Nahen Osten oder Russland unter Wladimir Putin. | |
Auf der populären Ebene haben die Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag | |
des Ersten Weltkriegs einige der alten Wunden aufgerissen. Die Frage nach | |
der Verantwortlichkeit für den Konflikt, die von Historikern lange Zeit | |
hauptsächlich Deutschland zugeschrieben wurde, wird heute neu gestellt, wie | |
etwa in Christopher Clarks Buch „Die Schlafwandler“. | |
Der Zweite Weltkrieg hat weiterhin eine herausragende Stellung in der | |
britischen Erinnerungskultur. Und doch ist der tödliche „anglodeutsche | |
Antagonismus“ – so Paul Kennedys klingende Redewendung –, der das 20. | |
Jahrhundert so sehr geprägt hat, relativ jung. Jahrhundertelang genossen | |
Briten und Deutsche zuvor eine besondere und andere Beziehung. | |
So beschäftigte etwa das Schicksal der zentraleuropäischen Protestanten die | |
Engländer im 16. und 17. Jahrhundert sehr und es spielte eine zentrale | |
Rolle beim Niedergang der Stuarts. Wenn Briten vor Ende des 18. | |
Jahrhunderts vom „Empire“ sprachen, meinten sie das Heilige Römische Reich | |
Deutscher Nation und weniger ihre kolonialen Besitztümer in Übersee. | |
## Britisch-deutsche Personalunion | |
Im 19. Jahrhundert waren britische und deutsche Liberale vereint in | |
Opposition zur zaristischen Autokratie und im Glauben an den Fortschritt. | |
Respekt vor deutscher Gelehrsamkeit oder Musik waren in Großbritannien weit | |
verbreitet. Bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg hielten sich beide Nationen | |
für Verwandte; die Briten sprachen oft von den Deutschen als „Cousins“. | |
Aber das gewichtigste Symbol der besonderen anglodeutschen Beziehungen war | |
die Personalunion von 1714. Diese brachte Georg Ludwig, den Kurfürsten des | |
norddeutschen Fürstentums von Hannover, auf den Thron von Großbritannien | |
und Irland. Er war der geeignete Protestant (und ein Nicht-Stuart), um | |
Nachfolger von Queen Anne zu werden, die 1714 ohne einen überlebenden | |
männlichen Thronerben verstorben war. | |
Das 300-jährige Jubiläum dieses Ereignisses wurde ein wenig in den Schatten | |
gestellt vom 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs. Aber am 20. Oktober 2014 | |
wurde in St Martin-in-the-Fields in London ein Gedenkgottesdienst | |
abgehalten – organisiert von der British-German Association. Die königliche | |
Familie wurde vom Duke of Kent repräsentiert, Vertreter der britischen und | |
der deutschen Regierung waren anwesend. | |
Nach 1714 reichte Großbritanniens geopolitischer Horizont bis zu den zwei | |
deutschen Flüssen Elbe und Weser, also über den englischen Kanal hinaus, | |
ebenso wie zum Ohio River in Nordamerika oder nach Asien. Der Union Jack, | |
die britische Flagge – kaum sieben Jahre alt – blieb unverändert, aber das | |
weiße Pferd von Hannover wurde zu einem wichtigen Charakteristikum in | |
Polemik und Ikonografie des 18. Jahrhunderts. | |
## Beschränkungen der Macht | |
Aufgrund der hannoveranischen Nachfolge lag Großbritannien – oder | |
Britannien-Hannover, wie es besser genannt werden könnte –, ob es ihm nun | |
gefiel oder nicht, im Herzen Europas. Für ungefähr 120 Jahre wurde | |
Großbritannien eine unbestreitbar deutsche Macht, regiert von Deutschen. | |
Die Hannoveraner eigneten sich sehr gut für ihre Rolle. Sie waren | |
keineswegs, wie Kritiker behaupteten, despotische Herrscher. In Hannover | |
arbeiteten sie eng mit dem örtlichen Adel zusammen. Als Prinzen des | |
Heiligen Römischen Reiches mit seinen Institutionen, den Gerichtshöfen oder | |
dem Deutschen Reichstag und der zumindest nominalen Souveränität des | |
Kaisers waren sie Beschränkungen ihrer Macht gewohnt. | |
In Großbritannien regierten sie mithilfe von Ministern, die sich vor dem | |
Parlament zu verantworten hatten. Die Zivilliste – der jährliche Haushalt, | |
der dem Monarchen aus der Staatskasse zugestanden wurde – deckte nur die | |
rudimentären Staatsdienste, königliche Verwaltung, diplomatischen Dienst | |
und Geheimdienst. Andere wichtige Posten für Armee oder Marine mussten vom | |
Parlament genehmigt werden. | |
## Angst vor einer universalen Monarchie | |
Es gab reichlich Kontroversen unter den britisch-hannoverschen Georgs, aber | |
ihre Herrschaft war nicht von den destruktiven Konfrontationen mit dem | |
Parlament geprägt, die noch die Stuart-Ära charakterisieren. Keiner | |
Gesetzesvorlage, die beide Häuser des Parlaments passieren mussten, wurde | |
nach 1714 die königliche Zustimmung versagt. | |
Die hannoveranische Thronfolge war ein großer Schritt in der Entwicklung | |
einer nationalen britischen Identität. Zuvor wurde diese in den Kämpfen | |
gegen Spanien im 16. Jahrhundert geformt, später durch die Kriege mit Louis | |
XIV. Angst vor einer universalen Monarchie sowie Antikatholizismus waren | |
weitere wichtige Faktoren, die Engländer und Schotten zusammenschweißten, | |
ebenso die Ideologie der zunehmend imperialen Expansion. Die deutsche | |
Verbindung formte diese Identität nach 1714 um. | |
Für eine Minderheit waren die „despotischen“ und „lümmelhaft bäurische… | |
Hannoveraner Ausgangspunkt für nationalistisches Gehabe. Für die meisten | |
jedoch trug die hannoveranische Verbindung den Geist eines gemeinsamen | |
europäischen Projekts, um „die Freiheit Europas“ zu verteidigen. Sie sahen | |
Georg I., der mit militärischen Ehren ausgezeichnet gegen Frankreich im | |
Krieg um die spanische Thronfolge gekämpft hatte, als einen britischen | |
Kriegerkönig, Beschützer des europäischen Protestantismus und Bewahrer des | |
Gleichgewichts der Kräfte. | |
## Eine weibliche Thronerbin | |
Dank Deutschlands Salischem Gesetz, nach dem nur Männer den | |
hannoveranischen Thron einnehmen konnten, brachte die Thronbesteigung von | |
Queen Victoria in Großbritannien diese Personalunion 1837 zu einem Ende. | |
Die Beziehungen zwischen Großbritannien und den deutschen Ländern blieben | |
lebendig, nicht zuletzt, weil die Queen Prinz Albert von Sachsen-Coburg und | |
Gotha heiratete. | |
Das enge strategische Band mit Zentraleuropa war jedoch zerbrochen und | |
veränderte die Geschichte beider Länder. Wie hätten sich die Dinge | |
entwickelt, wenn Victoria ein Mann gewesen wäre? Ein „König Victor“ von | |
Großbritannien und Hannover hätte London wohl in die Vereinigungskriege | |
geführt oder Bismarck davon abgehalten, sie überhaupt anzuzetteln. | |
Die Personalunion hat ein substanzielles Erbe hinterlassen. Straßen in | |
London und quer durchs Land sind nach deutschen Städten, Provinzen oder | |
Persönlichkeiten benannt. Im Herzen von New Town in Edinburgh verbindet die | |
Hanover Street die drei größten Avenues. In London bezeugen Hanover Square, | |
Mecklenburgh Street, Brunswick Place und viele andere Adressen bis heute | |
die Stärke der deutschen Verbindung, lange bevor Queen Victoria ein Auge | |
auf Albert geworfen hatte. | |
## Koloniales Erbe | |
Jenseits des Atlantiks spiegelte sich die hannoverische Verbindung in der | |
Namensgebung von Städten, Kreisen und Provinzen, manchmal spontan, manchmal | |
durch staatliche Initiativen wider. Auch dort wurde die hannoverische | |
Thronfolge zumeist willkommen geheißen als eine Verteidigung gegen | |
Popenschaft, Absolutismus, französische oder spanische Aggression. | |
Mitte des 18. Jahrhunderts gab es Hanover oder New Hanover Counties in | |
Virginia und North Carolina. Hanover-Stadtgemeinden ließen sich in | |
Pennsylvania und New Jersey finden. Schließlich herrschte Georg I. über | |
drei Königreiche, zwölf Kolonien und ein Kurfürstentum. Noch bedeutsamer | |
war die strategische Kultur, die die hannoverische Verbindung hinterließ. | |
Sie blieb in den Debatten des 18. Jahrhunderts umstritten zwischen | |
Blue-Water-Tory-Kolonialisten und Perückenkontinentalisten und liefert bis | |
heute die Folie für Argumente von Euroskeptikern und Europhilen. | |
Hannover diente als Eckstein des britischen Bündnissystems zur Verteidigung | |
des europäischen Gleichgewichts der Kräfte, das im Gegenzug die Dominanz | |
der königlichen Marine auf den Meeren stützte. Das Kurfürstentum war eine | |
wichtige (Nachschub-)Quelle für Truppen, von denen viele zur | |
Heimatverteidigung eingesetzt wurden. Kaum ein britischer Konflikt vor 1815 | |
ohne Einbezug deutscher Truppen oder einen Feldzug in Deutschland. | |
Während der Revolutionären und Napoleonischen Kriege erreichte diese | |
Beziehung eine neue Intensität. Frankreich repräsentierte eine | |
existenzielle strategische und ideologische Bedrohung für beide Seiten der | |
Erbgüter von Georg III. Napoleons Ambitionen auf dem Kontinent waren | |
unvereinbar mit der Unabhängigkeit Großbritanniens und der Integrität des | |
Kurfürstentums. Sein expansiver Nationalismus bedrohte die Ordnung in | |
Deutschland sowie das parlamentarische System Großbritanniens. Der Kampf | |
gegen die „französische Tyrannei“ wurde zum alltäglichen Schlachtruf. | |
## Teil der britischen Armee | |
Die Deutsche Legion des Königs war der Inbegriff des gemeinsamen | |
anglodeutschen Projekts. Sie wurde 1803 gegründet, als Hannover von | |
Napoleon überrannt wurde. Die Männer dieser Legion mussten auch Deutsch | |
verstehen. Anders als die ausländischen Formationen, die in den Bündnissen | |
gegen Napoleon kämpften, war die Deutsche Legion des Königs aber Teil der | |
regulären britischen Armee. | |
Die Befehlssprache war im Allgemeinen Englisch, die Hierarchie der Ränge | |
nach britischem Muster; die Männer des Zweiten Leichten Bataillons waren | |
ausgerüstet mit dem Baker-Gewehr und trugen die typisch grünen Jacken der | |
britischen leichten Infanterie. | |
Eine hybride anglodeutsche Identität entwickelte sich in der Legion. Sie | |
übernahm den englischen Enthusiasmus für Leibesübungen wie Rudern, Ringen, | |
Stockkämpfen oder Boxen und für Teamsportarten wie und Cricket. Offiziere | |
und Kommandeure fanden Gefallen an den Manieren der englischen Gentlemen. | |
Sie wechselten oft fließend die Sprachen in Konversation und Korrespondenz. | |
Die Kulturangleichung zog sich auch durch die unteren Ränge, es war nicht | |
ungewöhnlich, englische Vornamen anzunehmen. | |
Die Legionäre hatten einen besonderen Ethos. Sie sahen sich keinesfalls nur | |
als bloße kontinentale Söldner des Königs von England, sondern als | |
ideologische Krieger gegen Napoleon und die französische Vorherrschaft. Als | |
er in die Armee eintrat, sprach Lieutenant Emanuel Biedermann von der | |
Notwendigkeit, „die Franzosen zu vertreiben, die keinen Respekt vor dem | |
internationalen Gesetz haben“. Und dass er sich darauf freue, wenn nun „wir | |
Deutschen und Schweizer eine aktive Rolle in den Befreiungskriegen auf dem | |
Boden des Vaterlands“ einnehmen. | |
## Im Kampf gegen Napoleon | |
Die Legion teilte weder die grummelige Bewunderung für „Boney“, die man oft | |
in den britischen Rängen fand, noch die ideologischen Sympathien für das | |
napoleonische Projekt, wie sie manche Deutschen äußerten. | |
Im Jahre 1815 wurde die Deutsche Legion des Königs selbst zur Legende. Zu | |
Beginn des Jahres war Napoleon aus dem Exil auf der Mittelmeerinsel Elba | |
geflüchtet und bedrohte ein weiteres Mal den Frieden Europas. Die Legion | |
bildete einen substanziellen Teil der alliierten Armee, die unter dem Duke | |
of Wellington nach Belgien geschickt wurde, um Napoleon zu schlagen. | |
Als Veteranentruppe war ihnen eine entscheidende Rolle in dem | |
heraufziehenden Kampf um Waterloo zugedacht, wo die Schlacht entschieden | |
wurde. Das größte Bravourstück dieses Tages war die Verteidigung des | |
Gutshofes La Haye Sainte im Zentrum der alliierten Linien. Einen ganzen | |
Nachmittag lang wehrten weniger als 400 Gewehrschützen des Zweiten | |
Leichtbataillons unter Major George Baring, gemeinsam mit geringer | |
Verstärkung, eine weit überlegene französische Truppe ab. | |
Als sie schließlich am frühen Abend aufgaben, war es zu spät für Napoleon, | |
Wellington zu besiegen, bevor Feldmarschall Blüchers Preußen in großer | |
Truppenstärke eintrafen. Ohne diese epische Verteidigungsschlacht hätte | |
Napoleon die Oberhand gewonnen. Der hundertste Jahrestag dieser Schlacht | |
löste 1915 große Verlegenheit bei Franzosen, Briten und Deutschen | |
gleichermaßen aus, da die Konstellation nun eine andere war. Traurig merkte | |
die Zeitung Hannoverscher Courier an: „Unser Verbündeter aus jener Zeit ist | |
heute unser eingeschworener Feind.“ | |
## Schwieriges Gedenken | |
Bald wurden die anglodeutschen Beziehungen im 20. Jahrhundert vom Zweiten | |
Weltkrieg dominiert, in dem das Britische Empire und Hitlers Deutschland in | |
einem Kampf auf Leben und Tod aneinandergerieten. Selbst nach der | |
Erschaffung einer neuen und demokratischen Bundesrepublik Deutschland im | |
Jahr 1949 und ihrem Beitritt zum Nordatlantischen Bündnis sechs Jahre | |
später gelang es nicht, aus den Erfahrungen der Personalunion neue Zugkraft | |
zu entwickeln. | |
Dies lag nicht zuletzt daran, dass die anglodeutschen Beziehung durch die | |
wachsende frankodeutsche Partnerschaft auf den zweiten Rang verwiesen | |
wurde. Im Jahr 1965 wurde zum 150. Jahrestag der Schlacht ein britischer | |
Versuch, die Königin zur Kranzniederlegung an der Waterloo-Gedenksäule in | |
Hannover zu entsenden, von der deutschen Regierung vereitelt – aus Sorge, | |
Paris zu verärgern. | |
Vor diesem Hintergrund repräsentiert der 200. Jahrestag der Schlacht von | |
Waterloo am 18. Juni 2015 Herausforderung und Chance zugleich. Die | |
britische Regierung, sich der Pariser Sensibilitäten bewusst, war zunächst | |
sehr zögerlich, die Gedenkfeierlichkeiten zu unterstützen. | |
Obwohl sie inzwischen ihren Kurs geändert hat – bezeugt durch die höchst | |
willkommene Spende George Osbornes im Jahr 2013 im Rahmen des | |
Erstellungsplans einer Restauration des Château d’Hougoumont, das damals so | |
mutig von Coldstream, den schottischen Grenadier Guards und anderen | |
verteidigt wurde –, tut die britische Regierung immer noch nicht genug. | |
## Streit um den Sieg | |
Das hat auf breiter Ebene Zorn erregt. David Green, der Direktor des | |
[1][Thinktanks Civitas], kritisierte die Zurückhaltung, „ganz besonders, | |
wenn dies aus dem Grund geschieht, eine Beleidigung der Franzosen zu | |
vermeiden, weil das Feiern des Siegs als triumphalistisch wahrgenommen | |
würde“. Er fügte hinzu, dass „Großbritannien einen Tyrannen bekämpft ha… | |
der Europa erobern wollte. Dies war ein Moment von großer Tragweite, an den | |
auf jeden Fall erinnert werden sollte.“ | |
Im Gegensatz hierzu warnt Richard J. Evans, der frühere Regius Professor | |
für Geschichte an der Universität Cambridge, vor britischem Triumphalismus. | |
Zum Teil aus Respekt vor Napoleons fortschrittlichen Qualitäten, zum Teil | |
weil er die „entscheidende Rolle“ der britischen Verbündeten betont, die | |
diese Schlacht „mehr zu einem deutschen denn zu einem britischen Sieg | |
machten“. | |
Hinter diesen Reserviertheiten verbirgt sich etwas Wichtiges. Die | |
Behauptung, Waterloo sei ein „deutscher Sieg“ gewesen, wurde erstmals vor | |
dem Ersten Weltkrieg von dem preußischen Historiker Julius Pflugk-Harttung | |
aufgestellt. Er argumentierte, dass die Schlacht „ein Sieg germanischer | |
Stärke über französisches Halunkentum (war), insbesondere ein Erfolg des | |
deutschen Volkes“. | |
Dies führte Peter Hofschröer in einer Reihe wichtiger, aber umstrittener | |
Werke fort und hat sogar einen populären Ausdruck in dem „James Bond“-Film | |
„The Living Daylights“ gefunden: „Ich hätte wissen sollen, dass du dich | |
hinter diesen britischen Geier Wellington flüchten wirst“, beschimpft der | |
Waffenhändlerbösewicht Brad Whitaker den Helden. „Du weißt doch, dass er | |
sich deutsche Söldner kaufen musste, um Napoleon zu schlagen, oder etwa | |
nicht?“ | |
## Würdigung der Verbündeten | |
Fünfundvierzig Prozent der Männer, mit denen Wellington die Schlacht | |
begann, sprachen Deutsch in der ein oder anderen Form, und dieses | |
Verhältnis wuchs mit jeder preußischen Truppe, die das Schlachtfeld | |
erreichte. Am Ende war eine klare Mehrheit der alliierten Kämpfer | |
„deutsch“; in dieser Hinsicht war Waterloo in der Tat ein „deutscher Sieg… | |
Es gibt jedoch keinerlei Gründe für die Sorge, dass die Würdigung der | |
Verbündeten vernachlässigt werde. Die Briten tun sich leichter mit der | |
Würdigung der militärischen Beiträge von Ausländern als mit ihren eigenen. | |
Große Feldherren des 18. Jahrhunderts, wie Prinz Eugene von Savoyen, der | |
den Krieg um die spanische Thronfolge anführte, und Friedrich der Große und | |
Kronprinz Karl Wilhelm Ferdinand, die Kommandanten im Siebenjährigen Krieg | |
waren, wurden von der britischen Öffentlichkeit schon zu Lebzeiten zu | |
Helden gemacht. | |
Das berühmte Gemälde „Waterloo Dispatch“ von Sir David Wilkie zeigt einen | |
schnurrbärtigen Legionär neben der üblichen Zusammenstellung von Briten aus | |
dem ganzen Vereinigten Königreich. Der Herzog von Cambridge, General Order, | |
der die Legion im Jahr 1816 in den hannoverischen Dienst überführte, sprach | |
von ihr als „unsterblich geworden durch die kombinierte Tatkraft der | |
britischen und deutschen Furchtlosigkeit“. | |
## Gedenken zum 200. Jahrestag | |
Ausländische Soldaten im britischen Dienst spielen eine prominente Rolle in | |
den beliebten „Sharpe“-Romanen von Bernard Cornwell und in ihren | |
Verfilmungen. Die Gedenkplakette, die jüngst an der Mauer des Gutshofs La | |
Haye Sainte enthüllt wurde, war eher eine britische als eine deutsche | |
Initiative. | |
Es gibt auch eine Plakette in den Memorial Gardens in Bexhill, die von | |
Wellingtons Biografin Lady Longford enthüllt wurde. Darüber hinaus weist | |
die Waterloo-200-Kampagne, die die [2][Gedenkfeierlichkeiten der Schlacht | |
koordiniert], nicht nur Hurrapatriotismus zurück, sondern schreibt | |
ausdrücklich: „Mit den weitverzweigten Strukturen, die heute in der | |
Europäischen Union existieren, mit ihrer fest verankerten Tradition der | |
Kooperation und der Hoheitsrechte zur Verteidigung und Förderung der | |
europäischen Werte und den gemeinsamen Interessen, die sich über die | |
letzten 60 Jahre unter den europäischen Völkern entwickelt haben, sind die | |
Gedenkthemen der multinationalen Kooperation, der europäischen Integration | |
und der paneuropäischen Sicherheit und Stabilität wichtig und zeitgemäß.“ | |
Wir können in der Tat sagen, dass Waterloo eher ein „europäischer“ als ein | |
„britischer“ oder „deutscher“ Sieg gewesen ist. Sechsunddreißig Prozen… | |
Truppen in Wellingtons Armee waren britisch (also englisch, irisch, | |
walisisch oder schottisch), zehn Prozent waren aus des Königs Deutscher | |
Legion, zehn Prozent waren Nassauer, acht Prozent Braunschweiger, siebzehn | |
Prozent waren aus der hannoverischen regulären Armee, dreizehn Prozent | |
waren holländisch und sechs Prozent „belgisch“ (Wallonen und Flamen). | |
## Vorbild für eine europäische Armee | |
Um es mit den kürzlich geäußerten Worten des D-Day-Veteranen und ehemaligen | |
britischen Chefs des Verteidigungsstabs, Feldmarschall Lord Bramall, zu | |
sagen, Waterloo war wirklich und wahrhaftig „die erste Nato-Operation“. | |
Des Königs Deutsche Legion und speziell das Zweite Leichtbataillon könnte | |
dem Modell einer künftigen europäischen Armee zum Vorbild dienen. Der | |
Heroismus der Garnison von La Haye Sainte war rational, nicht suizidal; sie | |
haben bis zur letzten Kugel gekämpft, aber nicht bis zum letzten Mann. | |
Baring hat seine Männer nicht rücksichtslos geopfert aus Gründen der Ehre | |
oder im Geist einer todesverachtenden Hybris. Er hat so lange | |
durchgehalten, wie er vernünftigerweise konnte, und sich dann aus eigener | |
Initiative zurückgezogen. | |
Barings Männer waren eine multinationale Einheit innerhalb einer | |
multinationalen Armee, ausgesandt von einer internationalen Koalition. In | |
seinen letzten Befehlen im Februar 1816 verkündete der Herzog von | |
Cambridge, dass die Legion in Waterloo „mit aller Kraft der Sache Europas | |
geholfen habe“ sowie den Zielen ihres Souveräns, Georg III. | |
Die Deutsche Legion des Königs, und insbesondere Barings Zweites | |
Leichtbataillon, repräsentieren dementsprechend eine deutsche | |
Militärtradition, auf die eine demokratische Bundesrepublik und Eurozone | |
sich beziehen kann, um ein neues vereinigtes Militär zu erschaffen, | |
zusammen mit und an der Seite des United Kingdom. | |
Aus dem Englischen von Gaby Sohl. Copyright der englischen Fassung: „New | |
Statesman“ | |
17 Jun 2015 | |
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[1] http://www.civitas.org.uk/ | |
[2] http://www.waterloo200.org/ | |
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