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# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Bitte benehmen Sie sich gut!
> „Instructions for British Servicemen“ erschien 1944 als Benimmbuch für
> britische Soldaten in Deutschland. Nun liegt es auch auf Deutsch vor.
Bild: Britische Soldaten vor einem zerstörten Platz, Juli 1944.
Die Alliierten wussten, dass sie bei ihrem Einmarsch in das besiegte
Nazi-Deutschland ausschließlich lupenreine Demokraten antreffen würden.
Aber sie waren vorbereitet. 1944 hatte das britische Außenministerium um
die 400.000 Soldaten mit den „Instructions for British Servicemen in
Germany 1944“ ausgestattet, einem kleinen roten Pappbändchen, das
Aufklärungsschrift, Benimmbuch und Kuriositätenführer zugleich war und die
Soldaten auf „ein merkwürdiges Volk in einem merkwürdigen, feindlichen
Land“ einstimmte, an dem man nicht Vergeltung üben, jedoch sicherstellen
wollte, dass es niemals wieder „Europa und die ganze Welt in Blut
ertränke“.
Den Deutschen den Expansionsdrang auszutreiben, war schon nach dem Ersten
Weltkrieg nicht gelungen, deshalb achteten die Briten darauf, ihre Soldaten
psychologisch gegen die deutsche Propaganda zu immunisieren. Diesem Ziel
diente die kleine Schrift, die nun erstmals auf Deutsch im Kiepenheuer &
Witsch Verlag erschienen ist. Dieses wunderbare zeithistorische Dokument
ist Ausdruck höchster britischer Zivilität.
Sie bietet hellsichtige, aber auch unfreiwillig komische oder aufmunternd
humorvolle Einsichten in das Bild der Briten von den Deutschen und erklärt,
wie sie leben, was sie essen, welchen Sport sie treiben, sie klärt auf über
deutsches Selbstmitleid und die deutsche Neigung zur Hysterie und gibt
einen kleinen geschichtlichen Abriss. Weniger gefallen an dem „Leitfaden
für britische Soldaten in Deutschland 1944“ könnte einigen, wie klar die
Briten schon damals sahen, dass der Grund für das Attentat der Generäle vom
20. Juli 1944 „nicht die Barbarei von Hitlers Methoden, sondern eher deren
Erfolgslosigkeit“ war.
Bestimmend, aber nie unsympathisch ist der Ton der Schrift, getragen von
dem Gedanken, anständig und gerecht zu bleiben gegenüber den Deutschen, die
man die Demokratie lehren müsse, jedoch ob der Zerstörung und Armut keine
Sentimentalität entgegenbringen und schon gar nicht mit ihnen
fraternisieren dürfe. „Selbst diejenigen, die die besten Absichten zu haben
scheinen, können nicht als vertrauenswürdig gelten: Mit Sicherheit haben
auch sie etwas auf dem Kerbholz.“
Herausragend ist die Beschreibung einer perfiden Mischung aus
Sentimentalität und Gefühlskälte: „Aber es mag Ihnen merkwürdig vorkommen,
dass die Deutschen zugleich sentimental sind. Sie lieben melancholische
Lieder. Sie neigen zu Selbstmitleid. Selbst kinderlose alte Ehepaare
bestehen auf ihrem eigenen Weihnachtsbaum.“
Auf die Garderobe sei zu achten, vor einem schlampigen Soldaten hätten die
Deutschen, die sonst auf jeden „politischen Mummenschanz“ hereinfielen,
keinen Respekt: „Wegen ihrer eingefleischten Hochachtung für alles
Militärische wird den Deutschen jede Nachlässigkeit in Garderobe oder
Haltung britischer Truppen sofort auffallen. Blamieren sie nicht Ihr Land.“
Interessant auch die Mahnung, sich nicht von antirussischer Propaganda
beeindrucken zu lassen. Es sollte kein Keil zwischen die Alliierten
getrieben werden. Nur drei Jahre später begann der Kalte Krieg.
Die Schoah findet keine Erwähnung, obwohl Außenminister Anthony Eden 1943
zweimal den Zeugen der Schoah Jan Karski in London traf, der ihn über die
Judenvernichtung unterrichtete, und es gab aufschlussreiche mitgeschnittene
Funksprüche der deutschen Polizeibataillone im besetzten Polen. Am 15.
April 1945 trafen britische Soldaten völlig unvorbereitet in Bergen-Belsen
ein. Aber wie um alles in der Welt hätte man sich einen Massenmord solchen
Ausmaßes vorstellen können und wie hätte man darauf vorbereitet sein
können?
1 Oct 2014
## AUTOREN
Tania Martini
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Deutschland
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