# taz.de -- Sicherheit nach Anschlag in Frankreich: „Angstmacherei dient der … | |
> Frank Tempel, Linke-Politiker und Mitglied im Bundestags-Innenausschuss, | |
> über die Gefahr von Einzeltätern, die Angst der Bürger, Prävention und | |
> Pauschalisierungen. | |
Bild: „Jedes Land hat Glück, in dem keine Anschläge passieren.“ – Poliz… | |
taz: Herr Tempel, lassen Sie uns über Stimmungen und Fakten sprechen. | |
Inwiefern ändert der Anschlag von Paris das Klima in Deutschland? | |
Frank Tempel: Die Sicherheitslage wird dadurch überhaupt nicht verändert. | |
Wir haben seit Jahren eine latente Gefahrensituation, auch in Deutschland. | |
Aber natürlich wird man durch den Anschlag in Paris noch einmal | |
sensibilisiert. Er macht klar, dass niemand solche Situationen ausschließen | |
kann. | |
Was erwartet oder befürchtet die Bundespolitik? | |
Wir wissen, dass das Klima sehr angespannt ist. Menschen drohen mit | |
Selbstmordanschlägen. Auf der anderen Seite haben wir islamfeindliche | |
Stimmungen. Das kriegt jetzt alles noch mal einen zusätzlichen Push. | |
Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass etwas Vergleichbares auch in | |
Deutschland passieren kann? | |
Das sehe ich momentan nicht. Aber wir haben immer die Gefahr, dass | |
Einzeltäter oder kleine autarke Gruppen beschließen, etwas Derartiges zu | |
machen. Das lässt sich nie ausschließen, weder in Deutschland noch in | |
irgendeinem anderen europäischen Land. | |
Sie sind der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses. | |
Wie gehen Sie als Fachpolitiker, also als Innenpolitiker, mit der jetzt | |
entstandenen Situation um? | |
Am Mittwoch kommender Woche tagt der Innenausschuss. Ich gehe davon aus, | |
dass der Anschlag von Paris auf die Tagesordnung kommt. Wir werden einen | |
Bericht der Bundesregierung verlangen, in dem die Sicherheitslage | |
analysiert wird. | |
Ihr Ausschussvorsitzender Wolfgang Bosbach (CDU) hat im Deutschlandfunk | |
erklärt, es gebe „eben Strömungen im Islam, die sind für diejenigen | |
lebensgefährlich, die nicht bereit sind, sich zu unterwerfen“. Hat er | |
recht? | |
Ich mag solche Pauschalisierungen nicht. Der Islam an sich ist keine | |
aggressive Religion. Ganze Strömungen zu verurteilen, Angstmacherei, so | |
etwas hilft überhaupt nicht weiter, sondern dient der Eskalation. | |
Äußerungen wie die von Herrn Bosbach helfen da nicht. Wir brauchen Dialog, | |
wir brauchen ausgestreckte Hände, aber keine Angstmache. | |
Es wird angenommen, dass die Attentäter von Paris Rückkehrer aus Syrien | |
sind. Wie gefährlich ist dieses Potenzial für Deutschland? | |
Schwer. Ich habe noch nie mit so einem Rückkehrer gesprochen. | |
Wahrscheinlich muss man das aber tun. Das sind ja oft sehr junge Leute, die | |
auch bei uns als potenzielle Gefährder eingestuft werden. Aber auch hier | |
muss man sich Gedanken machen, wie man mit den Familien und den | |
Betreffenden in den Dialog kommt. Manche von diesen Jugendlichen kommen | |
sicher auch ernüchtert aus dem „Heiligen Krieg“ zurück, werden aber hier | |
stigmatisiert. | |
Aber ist die Zeit für Prävention nicht seit diesem Mittwoch abgelaufen? | |
Wir haben ja nur das Mittel der Prävention. Ich bin gelernter | |
Polizeibeamter und ich weiß aus Erfahrung: Wir können alles an Befugnissen | |
und Sicherheitsmaßnahmen hochfahren – wir werden solche Anschläge nie | |
verhindern können, wenn wir nicht stärker an die Ursachen gehen. Selbst | |
wenn jetzt Videoüberwachung gefordert wird, das nützt nichts. Man sieht die | |
Täter dann nur noch in der Kamera, verhindert hat man aber nichts. | |
Was wäre zu tun? | |
Das Einzige, worüber ich im Innenausschuss gerne rede, ist die Ausstattung | |
der Polizei. Da muss sich bei den Stellen für geschulte Mitarbeiter was | |
tun, die müssen auf der Straße wieder stärker sichtbar sein. Aber | |
Überwachungstechnik oder Vorratsdatenspeicherung helfen uns gegen solche | |
Anschläge überhaupt nicht. | |
Aus Sicherheitskreisen ist zu hören, Deutschland habe bisher Glück gehabt, | |
dass es hier noch keinen schweren Anschlag gegeben hat. Teilen Sie diese | |
Auffassung? | |
Jedes Land hat Glück, in dem keine Anschläge passieren. Wir haben ein | |
gutes, ein ausgereiftes Sicherheitssystem in Deutschland. Aber nicht so | |
perfekt, dass solche Anschläge ausgeschlossen werden können. | |
Was sagen Sie Bürgern, die jetzt Angst im Alltag haben? | |
Ich weiß davon. Es wird jetzt ängstlich auf Leute geguckt, die auch nur so | |
aussehen, als würden sie dem Islam zugehören. Auch da hilft nur Dialog. Nur | |
mit Reden kann man die eigenen Ängste bekämpfen. Und das heißt auch, dass | |
zum Beispiel bei der Islamkonferenz kritisch erscheinende Gruppen nicht | |
ausgeklammert werden und nur die eingeladen werden, die genehm sind. Wenn | |
Herr Bosbach zum Beispiel schwierige Gruppen erkennt, kann er sich da gerne | |
einbringen. | |
Sie sprechen hier von Dialog. Die schärfsten Islamkritiker sind ja zurzeit | |
die Pegida-Anhänger. Zählen Sie die auch zu Ihren Dialogpartnern? | |
Ehrlich gesagt ist da nicht viel mit Reden. Ich habe das verfolgt, da ist | |
ja sehr viel Populismus dabei, es wird nicht mit Argumenten gearbeitet. Was | |
wir brauchen, ist eine breite Debatte, auch in den Medien. Da sehen und | |
hören viele zu. Pegida ist für mich nicht die Kommunikationsplattform, die | |
ich suchen würde. | |
8 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
## TAGS | |
Die Linke | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Charlie Hebdo | |
Sicherheit | |
Anschläge | |
Charlie Hebdo | |
Irak | |
Schwerpunkt AfD | |
Islamophobie | |
Paris | |
Islamismus | |
Satirezeitschrift | |
Satiremagazin | |
Charlie Hebdo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Überwachungspläne der Union: Alte Rezepte für neue Aufgaben | |
CSU-Klausur in Wildbad Kreuth: Vorratsdatenspeicherung und mehr | |
Videoüberwachung sind die Rezepte der Union für mehr Sicherheit nach | |
„Charlie Hebdo“. | |
Satire im arabischen Raum: Kein westliches Phänomen | |
Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ wird in den arabischen Medien verurteilt. | |
Oft genug werden dort Autoren von Satire Opfer von Gewalt. | |
AfD und Pegida: Die rechten Anschlagsgewinnler | |
Der rechte AfD-Flügel will von den Morden profitieren und schiebt die | |
Partei näher an Pegida. Bernd Lucke mahnt zu Besonnenheit. | |
Kommentar „Je suis Charlie Hebdo“: Jede Menge falsche Freunde | |
Die Pegidas dieser Welt haben kein Recht, die ermordeten Satiriker zu | |
instrumentalisieren. Und wer die Tat mit „Aber“ verurteilt, rechtfertigt | |
sie. | |
Internationale Presse zu „Charlie Hebdo“: Angriff auf die Freiheit | |
Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Währe… | |
einige Medien von Krieg reden, warnen andere vor simplen Narrativen. | |
Kommentar Reaktionen in Frankreich: Ungewollter Krieg | |
Die Feinde kommen nicht aus der Ferne, sondern aus der Nachbarschaft: | |
Frankreich befindet sich am Tag nach den Anschlägen im Schockzustand. | |
„Charlie Hebdo“-Video in den Medien: Blutige Bilder aus Paris | |
Schnell kursierte im Netz ein Video, das die Erschießung eines Polizisten | |
zeigt. Journalisten gehen mit dieser Szene unterschiedlich um. | |
Nach Attentat auf „Charlie-Hebdo“: Molotowcocktails im Fluchtwagen | |
Die mutmaßlichen Haupttäter sind angeblich in Nordfrankreich. | |
Elite-Einheiten wurden in die Gegend beordert. Die Polizei fand Material | |
für weitere Anschläge. | |
Kommentar Anschlag auf „Charlie Hebdo“: Angriff auf die Pressefreiheit | |
In Paris wurde eine der wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation | |
angegriffen. Es wird deutlich, welch hohes Gut die Pressefreiheit ist. |