# taz.de -- Hepatitis C in Spanien: Ein Kampf auf Leben und Tod | |
> Spanischen Hepatitis-C-Patienten wird die teure Medizin Sovaldi | |
> vorenthalten. Sie protestieren mit einem Sit-in in einem Krankenhaus. | |
Bild: Gracia de Miguel und Antonio Fernández in der Empfangshalle im Krankenh… | |
MADRID taz | „Sí se puede!“ – „Ja, man kann“ –, ruft Gracia de Mig… | |
wieder. Die 57-jährige Frau ist an Hepatitis C erkrankt. Zusammen mit zwei | |
Dutzend Leidensgenossen hat sie am Ende eines Protestmarsches von | |
Zehntausenden am Samstag durch die Madrider Innenstadt einen Brief an | |
Ministerpräsident Mariano Rajoy im Regierungspalast Moncloa abgegeben. | |
„Behandlung für alle“ heißt die Forderung. | |
„Wir wollen die Medikamente der neuen Generation“, sagt de Miguel, die im | |
Rollstuhl sitzt. Gemeint ist der Wirkstoff Sofosbuvir, den der | |
US-Pharmakonzern Gilead unter dem Namen Sovaldi vertreibt. Das Medikament | |
ist seit Anfang 2014 in Europa zugelassen. | |
In nur zwölf Wochen eliminiert Sovaldi in einem Mix mit weiteren | |
Medikamenten den Hepatitis-C-Virus. Und das so gut wie ohne Nebenwirkungen. | |
Bei 95 Prozent soll eine Therapie erfolgreich sein. Das ist fast doppelt so | |
gut wie bisher. Doch das Ganze hat einen Haken. Sovaldi ist teuer, sehr | |
teuer. | |
„1.000-Dollar-Pille“ wurde das Medikament in den USA vom Volksmund getauft. | |
Anfänglich kostete eine 12-wöchige Therapie mit einer täglichen Tablette | |
84.000 Dollar – bei einem geschätzten Herstellungspreis von rund 100 bis | |
200 Dollar pro 84-Tabletten-Packung. Der Hersteller hat mit verschiedenen | |
Ländern unterschiedliche Preise ausgehandelt. In den Entwicklungsländern | |
liegen die Kosten für eine Behandlung unter 1.000 Dollar. „Hier in Spanien | |
sind es 25.500 Euro“, zitiert de Miguel Zahlen, die durch die Presse gehen, | |
ohne dass das Gesundheitsministerium diese bestätigt oder dementiert. Mit | |
den Zusatzelementen kostet die Therapie pro Patient über 40.000 Euro. | |
## 60 Milliarden für die Banken waren da | |
Hepatitis C ist eine heimtückische Krankheit. Jahrzehntelang kann das Virus | |
im Körper ruhen. Sobald es aktiv wird, geht es rapide bergab. Das Virus | |
greift die Leber an. Zirrhose oder Leberkrebs führen zum Tod. De Miguel, | |
die im Alter von fünf Jahren eine Kinderlähmung erlitt, wurde 1987 an der | |
Wirbelsäule operiert. Bei einer Bluttransfusion wurde sie mit Hepatitis C | |
infiziert. Mittlerweile hat sie erste Leberschäden. | |
Mit einem Dutzend Leidensgenossen hat sie die Eingangshalle eines der | |
größten Krankenhäuser Madrids, des Hospital 12 de Octubre, besetzt. „Die | |
Sparpolitik tötet!“ steht auf dem roten Shirt, das die Besetzer tragen. | |
„Verbrecher“, nennt die kranke Frau Rajoy und dessen Gesundheitsminister | |
Alfonso Alonso. „Sie könnten uns heilen und tun es nicht!“, schimpft die | |
frühpensionierte Sekretärin. | |
125 Millionen Euro hat die Regierung zugesichert, um das neue Medikament | |
einzukaufen. Damit können rund 4.900 Patienten behandelt werden. Insgesamt | |
gibt es in Spanien geschätzte 800.000 Hepatitis-C-Infizierten. Die meisten | |
haben sich bei Transfusionen oder bei Reihenimpfungen angesteckt. „Der | |
Betrag ist völlig unzureichend“, schimpft Antonio Fernández, | |
Hepatitis-C-Patient und Sprecher der neugegründeten Plattform der | |
Infizierten (PlafHC), die hinter den Aktionen steht. Die PlafHC verlangt, | |
dass in einem ersten Schritt 800 Millionen Euro investiert werden, „um all | |
diejenigen zu behandeln, bei denen das Virus bereits die Leber angegriffen | |
hat“. Die Gesundheitsbehörden wollen nur diejenigen therapieren, die kurz | |
vor dem totalen Leberversagen stehen. Pro Tag sterben in Spanien rund ein | |
Dutzend Hepatitis-C-Patienten. | |
„Geld wäre da“, ist sich der PlafHC-Sprecher sicher. „Für die Rettung d… | |
angeschlagenen Banken hat Spanien 60 Milliarden Euro ausgegeben. Bankrotte | |
Mautautobahnen werden mit 2,4 Milliarden finanziert und ein Erdgaslager, | |
das im Erdbebengebiet errichtet wurde und nun eine Bauruine ist, mit 1,3 | |
Milliarden“, rechnet Fernández vor. Gleichzeitig wurden im Gesundheitswesen | |
Milliarden eingespart, Einrichtungen privatisiert. „Kriminell“ nennt | |
Fernández die Politik der Konservativen im Dienste der Eurorettung. | |
## Patent enteignen | |
Am Infotisch, den die Besetzer in der Eingangshalle aufgestellt haben, | |
melden sich ständig weitere Erkrankte mit ihren Unterlagen. Die PlafHC | |
wächst und wächst. Nach dem Protestmarsch vom Samstag ist für den 21. | |
Januar ein Buskonvoi nach Brüssel geplant. Dort werden die spanischen | |
Hepatitis-C-Patienten von den fünf EU-Parlamentariern der neuen | |
Protestpartei Podemos empfangen. Deren Vorsitzender Pablo Iglesias hat eine | |
ungewöhnliche Idee, den Erkrankten zu helfen. | |
„Die Regierung muss sich mit dem Konzern an einen Tisch setzen und denen | |
klarmachen, dass sie sich nicht dumm und dusselig verdienen können auf | |
Kosten der Menschen in unserem Land“, sagt der 36-jährige Politikprofessor. | |
Falls der Konzern keine besseren Preise anbiete, müsse das Patent für | |
Sovaldi enteignet werden. Das sogenannte Trips-Abkommen sieht dies bei | |
besonders teuren Medikamenten vor. Bisher wurden Zwangslizenzen aber nur in | |
Entwicklungsländern vergeben. | |
11 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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