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# taz.de -- Gülleentsorgung der Agrarindustrie: Scheiße im Grundwasser
> Bauern wissen nicht, wohin mit den Exkrementen der vielen Tiere. Sie
> spritzen soviel Gülle auf ihre Felder, dass sie damit Brunnen verseuchen.
Bild: Passiert viel zu oft: Düngung mit Gülle.
GETELO/WIETMARSCHEN taz | Irgendwann kommt alles im Wasserwerk der
niedersächsischen Gemeinde Getelo an – die Gülle, der Kot, der Urin der
Tiere aus der Landwirtschaft. Die Bauern spritzen die Exkremente als Dünger
aufs Feld. Teile davon sickern ins Grundwasser und tauchen als Nitrat –
eine Stickstoffverbindung – in den Brunnen wieder auf. Und das heißt: im
Trinkwasser.
Im menschlichen Körper werden etwa 5 Prozent des Nitrats in giftiges Nitrit
umgewandelt. In hohen Dosen ist das gefährlich, warnt die
Weltgesundheitsorganisation: Säuglinge können innerlich ersticken.
Diskutiert wird auch, ob bei Erwachsenen das Krebsrisiko steigt.
Johann Hans ist Geschäftsführer des öffentlich-rechtlichen Wasser- und
Abwasser-Zweckverbands in der Region Niedergrafschaft, dem das Werk in
Getelo gehört. Hans ist 64 Jahre alt, demnächst geht er in Rente, nach 35
Dienstjahren. Stolz zeigt er die Technik im Wasserwerk, die er in den
1980er Jahren hier direkt an der niederländischen Grenze hat aufbauen
lassen. Auf einer 8 mal 2 Meter großen Schalttafel symbolisieren Diagramme
und Lämpchen Brunnen, Rohre und Filter. Jedes Mal, wenn ein Kubikmeter die
Filter durchlaufen hat, klickt es leise und ein Rädchen in einem Zähler
dreht sich eine Position weiter. Viel Elektrotechnik von der verblichenen
AEG und wenig Elektronik. Alles wirkt ein bisschen altmodisch – aber
grundsolide.
Doch jetzt bedroht ein erhöhter Nitratwert – und damit auch die Gefahr
durch Nitrit – Hans’ Lebenswerk. In 3 der 12 Brunnen von Getelo ist seit
2005 mehr Nitrat als von der EU erlaubt. 52, 56 und 66 Milligramm pro Liter
haben seine Laboranten gemessen. Der Grenzwert liegt bei 50 Milligramm. „Da
schläft man dann nicht mehr gut“, sagt der Wasserwerker.
Nur weil seine Leute das stark belastete Wasser mit saubererem aus anderen
Brunnen mischen, zeigt die grüne LED-Anzeige des Reinwassers heute „28,1“
Milligramm pro Liter – unter dem gesetzlichen Limit – an. Es wird aber
immer schwieriger, die Zahl im zugelassenen Bereich zu halten. Denn das
Grundwasser, das jetzt noch circa einen Kilometer entfernt ist und in etwa
zwei Jahren in die Brunnen fließen wird, ist schon viel stärker
verschmutzt: Fast alle der sieben nächstgelegenen Messstellen im
Wasserschutzgebiet um Getelo übersteigen den Grenzwert, teils betragen sie
das Dreieinhalbfache. Hans: „Das ist schon heftig.“
## Tiefer bohren und filtern
Getelo ist kein Einzelfall. 27 Prozent der Grundwasserkörper in Deutschland
seien in einem „schlechten chemischen Zustand“, weil sie die Qualitätsnorm
für Nitrat überschreiten, sagen die Wissenschaftler des Umweltbundesamtes.
Manche Wasserwerke mussten ihre Brunnen tiefer bohren. Die Stadtwerke
Osnabrück etwa haben eine Filteranlage gebaut. Kostenpunkt: 5 Millionen
Euro, die auch die Verbraucher über die Gebühren bezahlt haben. Die
Umweltorganisation BUND schätzt, dass das Mischen und Aufbereiten die
Gesellschaft jährlich bis zu 24 Milliarden Euro kostet.
Besonders nitratbelastet sind Regionen, in denen sehr viele Tiere gehalten
werden: zum Beispiel Nordwestdeutschland, wo Getelo liegt. Hauptverursacher
ist die – vor allem konventionelle – Landwirtschaft: „Ihr Anteil an den
deutschen Stickstoffemissionen beträgt mittlerweile gut 60 Prozent“,
schreibt das Umweltbundesamt. Der Rest komme aus Verkehr, Kläranlagen und
Industrie.
Hermann Heilker will das nicht glauben. Die Familie des 60-Jährigen
bewirtschaftet „seit 1700 und so was“, wie er sagt, ein Gehöft in
Wietmarschen, keine 25 Kilometer von Getelo entfernt. Den Betrieb führt
sein Sohn, er selbst ist jetzt hauptsächlich Kreisvorsitzender des
Bauernverbands und Abgeordneter für die CDU im Kreistag der Grafschaft
Bentheim.
Vor dem nur ein Jahr alten Stall der Heilkers riecht es nach Gülle. Die 70
Milchkühe und 70 Stück Jungvieh produzierten jährlich 3 Millionen Liter
davon, sagt Heilker. Erst fallen die Ausscheidungen durch Schlitze im
Betonboden in ein Güllelager. Dann wird die stinkende Brühe auf Wagen
gepumpt, die sie als Dünger auf die Äcker und Wiesen der Heilkers spritzen.
„Wir düngen nur so viel, wie die Pflanzen aufnehmen können“, beteuert der
Bauer. Deshalb könne kaum Stickstoff durch den Boden ins Grundwasser
sickern. Die Landwirte müssten jedes Jahr ausrechnen, wie viele Nährstoffe
sie ausbringen und wie viel ihre Pflanzen verbrauchen. Allerdings
kritisieren Umweltschützer, dass die Bilanzen zu ungenau seien.
„Wer zu viel düngt, verliert 5 Prozent seiner Betriebsprämie“, sagt
Heilker. Er meint die EU-Subventionen für landwirtschaftliche Flächen.
Für die hohen Nitratwerte im Wasser macht Heilker zum Beispiel den
Autoverkehr verantwortlich. Hier gibt es aber nicht mehr Straßen als in
anderen Regionen mit weniger Nitratproblemen – nur jede Menge Tiere, deren
Exkremente ja irgendwo hinmüssen. Insgesamt werden laut
Landwirtschaftskammer in dem 134.000-Einwohner-Kreis rund 9 Millionen
Hühner, Schweine und Rinder gehalten. Riesige Geflügelställe haben sich
ausgebreitet.
Auch die Zahlen des Statistischen Bundesamts sprechen gegen die Bauern, die
demnach pro Hektar 96 Kilogramm Stickstoff im Jahr mehr ausbringen, als die
Pflanzen benötigen.
## Sie beißen auf Granit
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung hat erst
am Mittwoch eine nationale Stickstoffstrategie gefordert. Sie soll vor
allem die Emissionen aus der Landwirtschaft senken – auch weil zu viel
Stickstoffverbindungen dazu beitragen, dass Pflanzenarten aussterben und
sich das Klima ändert. Die Wissenschaftler raten unter anderem dazu, die
Düngeverordnung zu verschärfen und eine Abgabe auf Stickstoffüberschüsse
einzuführen. Sie schlagen auch vor, wie man die Zahl der Nutztiere in
Deutschland verringern könnte: „Beispielsweise sollte der reduzierte
Mehrwertsteuersatz für Fleisch, Eier und Milchprodukte abgeschafft werden“.
Die Bundesregierung aber hat das Überdüngungsproblem lange ignoriert.
Nachdem die EU-Kommission jedoch ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des
schlechten Gewässerzustands in Deutschland eingeleitet hatte, legte die
schwarz-rote Koalition im Dezember einen Entwurf für die Reform der
Düngeverordnung vor. Im Februar will das Bundeskabinett sie beschließen.
Der Text, der dann noch den Bundesrat passieren muss, könnte dazu führen,
dass manche Bauern weniger Stickstoff ausbringen. Erstmals sollen sie auch
Gärreste aus Biogasanlagen bei der Berechnung der zulässigen
Stickstoffmenge von 170 Kilogramm pro Hektar und Jahr mitzählen. Zudem
dürften Landwirte ihre Äcker künftig während vier statt wie bislang drei
Monaten nicht düngen.
Weiterhin müssten sie Tanks haben, in denen sie mindestens so viel Gülle
lagern können, wie ihre Tiere in sechs Monaten produzieren. Das soll
verhindern, dass die Bauern aus Platzmangel den Dünger aufs Feld spritzen,
obwohl die Pflanzen ihn gar nicht aufnehmen können. In besonders belasteten
Regionen sollen die Länder schärfere Regelungen erlassen dürfen. Außerdem
sollen große Betriebe ab 2018 genauer als bisher in einer „Hoftorbilanz“
ermitteln, wie viel Nährstoffe sie an die Umwelt abgeben.
All diese Schritte würden die derzeitige Stickstoffbelastung von jährlich
96 Kilogramm pro Hektar um 16 bis 31 Prozent senken, schätzen die Behörden.
Umweltschützer, Wissenschaftler und Wasserwerker glauben nicht, dass das
ausreicht. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) macht
vor allem auf ein riesiges Schlupfloch aufmerksam: Die Landwirte könnten in
der Nährstoffbilanz bis zu 50 Prozent der ausgebrachten Stickstoffmenge
einfach weglassen und zusätzlich als Dünger verwenden – so hoch sind
angeblich die „Stall- und Lagerungsverluste“. „Das ist wissenschaftlich
nicht belegt“, kritisiert ein Wasserwerker.
Der BDEW fordert, auch für anorganische oder Mineraldünger Obergrenzen
festzulegen – bisher werden nur organische Dünger wie Gülle gedeckelt. Dem
Bauernverband geht aber schon der Regierungsentwurf viel zu weit. Er
befürchtet, dass die Bauern weniger Tiere halten müssten - und die Ernten
an manchen Standorten geringer ausfallen.
16 Jan 2015
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
Ökologie
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