# taz.de -- taz-Dossier „Comeback der Folter“: „Es herrschte schreckliche… | |
> Wladimir Bedukadse machte die Folter in den Knästen Georgiens öffentlich. | |
> Trotz Massenprotesten hat sich am System nichts geändert, sagt er. | |
Bild: Wütende Angehörige protestierten im September 2012 vor georgischen Gef�… | |
TIFLIS taz | Das Treffen mit Wladimir Bedukadse findet am Freiheitsplatz im | |
Zentrum der georgischen Hauptstadt statt. Zwei Männer begleiten ihn, der | |
eine bleibt unten, der andere fährt im Lift mit hinauf. In Bedukadses | |
Arbeitszimmer gibt es einen Stuhl für Besucher und einen Computer. | |
Bedukadse arbeitete zehn Jahre lang im Strafvollzug. Zuvor hatte er die | |
Polizeiakademie in Tiflis beendet und war einige Zeit im Innenministerium | |
tätig. Im Knast setzte er sozusagen seine Karriere fort. Für einen großen | |
Teil der Gesellschaft war er ein vollkommen Unbekannter – bis zum September | |
2012. | |
Alles geschah wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Für den ersten Oktober | |
desselben Jahres waren Parlamentswahlen angesetzt. Die wichtigsten | |
politischen Akteure, die „Nationale Bewegung“ des damaligen Präsidenten | |
Michail Saakaschwili und das Bündnis „Georgischer Traum“ bereiteten sich | |
auf die finale Auseinandersetzung vor. In diesem entscheidenden Moment, am | |
Abend des 18. September, wurden im Fernsehen schockierende Bilder gezeigt, | |
die die Gesellschaft die Wahlen vergessen ließen. Auf ihnen war zu sehen, | |
wie junge Menschen in den Gefängnissen gefoltert und unmenschlicher Gewalt | |
ausgesetzt wurden. | |
Spontan versammelten sich Menschen im Zentrum von Tiflis. Und es wurden | |
erste Protestrufe laut: „Bestraft die Organisatoren der Folter!“ An diesem | |
Tag marschierte eine aufgebrachte Menge zu einem Gefängnis am Stadtrand und | |
versuchte mit lauten Rufen die Inhaftierten zu unterstützen. „Zu uns drang | |
Geschrei von der Straße hinein. Wir merkten, dass da etwas vor sich ging, | |
wussten aber nicht, was. Dann kam die Aufsicht und nahm uns unsere Radios | |
weg“, erzählt ein Exhäftling. | |
## Niemand kontrolliert | |
Ebendiese Bilder hatte der Gefängnismitarbeiter Bedukadse öffentlich | |
gemacht. Seine elfjährige Dienstzeit in der Haftanstalt, die er im Range | |
eines Majors beendete, gliederte sich in zwei Etappen, erzählt er. Von 2001 | |
bis 2006 kontrollierten kriminelle Clans und „Diebe im Gesetz“ [Terminus | |
aus Sowjetzeiten für Langzeithäftlinge, die die anderen Insassen | |
terrorisierten, Anm. d. Red.]. | |
2006 änderte sich die Situation radikal. Ab diesem Zeitpunkt hatte die | |
Verwaltung alle Vollmachten – und die Gewalt nahm zu. Niemand kontrollierte | |
das. Jeder, der ins Gefängnis kam, war physischer Gewalt ausgesetzt. | |
Besonders grausam wurde mit Mitgliedern oppositioneller Parteien und | |
Geschäftsleuten umgegangen, die sich geweigert hatten, ihr Eigentum an den | |
Staat abzutreten. Das Gefängnis wurde zu einem Ort politischer Erpressung. | |
Es gab Fälle, in denen Geschäftsleute nach schwerer Misshandlung alles dem | |
Staat überließen. | |
## Alles vom Staat gedeckt | |
„Im Gefängnis herrschte schreckliche Angst“, sagt Bedukadse. An den | |
Häftlingen wurden Experimente durchgeführt, was ein Mensch zu ertragen in | |
der Lage ist. Dabei wurden alle möglichen Methoden unmenschlicher Gewalt | |
angewendet: Tritte und Schläge, Gegenstände in den Mund stecken, auf den | |
Kopf urinieren, Folter mit Besenstielen. Die Gewalt war grenzenlos. Das | |
alles wurde vom Staat gedeckt. | |
Die Gefängniswärter konnten mit den Gefangenen schlichtweg alles machen, | |
ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Gegenteil: Wer besonders | |
effektiv gefoltert hat, galt als erfolgreich, kletterte auf der | |
Karriereleiter ein Stück weiter nach oben und wurde mit einer Extrazahlung | |
belohnt. | |
Die Folterer waren wie Roboter, die in einem Labor zu arbeiten glaubten. | |
Sie waren privilegiert, für sie war Saakaschwili ein Gott. Bedukadse weist | |
auf eine Tafel an der Wand. Dort sind Zahlen aufgelistet, wie viele | |
Menschen jedes Jahr in georgischen Gefängnissen zu Tode gekommen sind. 2011 | |
waren das 140 Personen, die meisten von ihnen zwischen 20 und 35 Jahre alt. | |
Offiziell hieß es damals, sie seien aus Altersgründen gestorben. | |
## Minderwertig, ohne Rechte | |
Auch über das Innenleben der Gefängnisverwaltung verliert Bedukadse einige | |
Worte. Das Personal misstraute einander. Die Situation war angespannt. Oft | |
wurden Kollegen gegenüber dem Gefängnisdirektor denunziert. Auch die | |
Direktoren selbst wurden ausgetauscht. Er selbst, so Bedukadse, habe das im | |
Verlauf von elf Jahren 18-mal getan. Diejenigen Mitarbeiter, die keine | |
Favoriten der Gefängnisverwaltung waren, wurden als minderwertig angesehen, | |
ohne Rechte. Den Arbeitsplatz zu wechseln kam für sie nicht infrage, | |
mussten sie doch befürchten, selbst verhaftet zu werden. | |
Fast jede Nacht hörte Bedukadse in seinem Büro, wie die Gefangenen gequält | |
wurden. Er selbst, sagt er, war daran nicht beteiligt, das gehörte nicht zu | |
seinen Aufgaben. Dennoch war er Teil des Foltersystems. So wie jemand, der | |
zur Mafia gehört, den Clan nicht verlassen kann, kann das auch keiner, der | |
zu einem solchen System gehört. | |
Nein, Verantwortung für all das wolle er nicht übernehmen. Die | |
Gefängnismitarbeiter seien nur die ausführenden Organe der Gewalt gewesen, | |
die in den höchsten politischen Kreisen geplant worden sei. Dann fügt er | |
mit trauriger Stimme hinzu, dass das System sich nicht geändert habe: 90 | |
Prozent der Gefängnismitarbeiter seien auf ihren alten Posten geblieben. | |
Und die heutige politische Elite sei nicht daran interessiert, die | |
Gerechtigkeit wiederherzustellen. | |
Übersetzung aus dem Russischen: Barbara Oertel | |
19 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Davit Jishkariani | |
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