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# taz.de -- taz-Dossier „Comeback der Folter“: Eine paradoxe Strategie
> Staaten, die foltern, unterschätzen die Sprengkraft der Wut der
> Gefolterten. Ein Gastbeitrag der Generalsekretärin von Amnesty
> International.
Bild: Protest gegen Folter in Mexiko im November 2014 in Berlin.
Der Senatsbericht über die jahrelange Folter durch die CIA ist schwere
Kost: Mitarbeiter und Subunternehmer des US-Geheimdienstes sperrten
Terrorverdächtige in enge Holzkisten, quälten sie bis zur Bewusstlosigkeit.
Grausame Details bestätigen der US-Volksvertretung, was schon lange kein
Geheimnis mehr war: Die Vereinigten Staaten haben sich beim Kampf gegen das
Verbrechen des Terrorismus selbst eines schweren Verbrechens bedient: der
Folter.
Terror mit Folter zu bekämpfen ist eine verhängnisvolle, paradoxe
Strategie. Denn es bedeutet Unrecht mit Unrecht zu bekämpfen.
Terroranschläge treffen ganz bewusst Menschen mitten im zivilen Leben. Den
Tätern ist egal, wer getroffen wird – Alte, Kinder, Frauen, Männer –
Hauptsache sie verbreiten Angst und Schrecken. Terror ist die Antithese zu
den Menschenrechten, dem Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit.
Folter trifft aber auch ins Herz der Menschenrechte: Sie erniedrigt
Menschen zum Objekt, die der staatlichen Gewalt schutzlos ausgeliefert
sind. In der Konsequenz ist Folter auch ein Angriff auf den Rechtsstaat und
zerstört das Vertrauen der Menschen in ihre gewählten Vertreterinnen und
Vertreter. So ist Folter ein Verbrechen und ein großer Fehler: Denn
unbestraft bildet sie einen idealen Nährboden für Destabilisierung, Gewalt
und Terrorismus.
Die USA haben mit dem CIA-Entführungs- und Verhörprogramm ein
Parallelsystem neben dem weitgehend funktionierenden rechtsstaatlichen
System geschaffen – für mutmaßlichen Terroristen. Die US-Regierung ließ im
Namen der Sicherheit Menschen an Leib und Seele quälen, die häufig völlig
unschuldig waren. Mit welchem Ergebnis? Der CIA-Bericht zeige, sagt Dianne
Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, dass
durch die Folter weder Anschläge verhindert, noch Terroristen gefangen
genommen oder Leben gerettet wurden.
## Verlorenes Ansehen
Das Vorgehen der CIA war also sogar im Sinne der Erfinder nutzlos. Wegen
seiner Symbolkraft war es ein herber Rückschlag im weltweiten Kampf gegen
Folter. Die USA dürfen sich jetzt nicht damit begnügen, sich dafür auf die
Schultern zu klopfen, vor den Augen der Welt so viel Selbstkritik
zugelassen zu haben. Nur mit einer strafrechtlichen Verfolgung der Folterer
könnten die USA ein Stück ihres verlorenen Ansehens als eine große
Demokratie, für die Menschenrechte das Fundament der Gesellschaft
darstellt, zurückgewinnen.
Amnesty schaut aber nicht nur auf die USA, sondern auch auf andere Staaten.
Mit einem erschreckenden Ergebnis: Folter wird auch heute noch – drei
Jahrzehnte nach der Verabschiedung der UN-Antifolterkonvention – weltweit
eingesetzt. Die alltägliche Folter macht nur keine vergleichbaren
Schlagzeilen wie die CIA-Methoden.
Der Amnesty-Bericht „30 Jahre gebrochene Versprechen“ aus dem vergangenen
Jahr versucht eine Bestandsaufnahme. In insgesamt 141 Ländern haben wir in
den vergangenen fünf Jahren Folter und Misshandlung dokumentiert. Zum Teil
handelt es sich um Einzelfälle, aber in zahlreichen Ländern ist Folter in
den Polizeistationen alltäglich. Anders als die USA schaffen diese Staaten
kein Parallelsystem, in dem Folter gerechtfertigt sein soll. Es wird ohne
ideologische Maskerade gefoltert.
## Ganz gewöhnliche Verdächtige
Dass Staaten foltern, um regierungskritische Stimmen zu unterdrücken oder
unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung, das ist vielen bewusst. Aber sind
es vor allem Terrorismusverdächtige und Oppositionelle, die gefoltert
werden? Nein. Die meisten der Gefolterten werden einer ganz gewöhnlichen
Straftat verdächtigt.
Sehr oft sind es Menschen mit niedrigem sozialen Status: ethnische
Minderheiten, von Armut Betroffene, Jugendliche und Kinder. Frauen werden
besonders häufig Opfer sexualisierter Folter. Oft sind sie einfach nur zur
falschen Zeit am falschen Ort und werden herausgegriffen, um als Täter
herzuhalten. Sie sind einfache Opfer für die Justiz, da sie keinen sozialen
Schutz genießen, kein Geld und keine einflussreichen Fürsprecher haben.
Die Polizei erfoltert so einen großen Teil ihrer benötigten
„Ermittlungserfolge“. Um die Wahrheit geht es dabei nicht. Gefolterte
werden alles aussagen, um aus der schrecklichen Situation herauszukommen.
## Realität und Rechtsordnung
So erging es auch Moses Akatugba aus Nigeria, der 2005 als 16-Jähriger von
Soldaten verhaftet wurde, weil er angeblich einige Handys und Headsets
gestohlen hatte. Er berichtet, dass Polizisten ihm in die Hand schossen,
ihn mit Macheten und Schlagstöcken schlugen und ihn stundenlang an den
Füßen aufgehängten. Mit Zangen rissen die Polizisten ihm Fuß- und
Fingernägel heraus. Nach drei Monaten dieser Qualen im Polizeigewahrsam
unterschrieb der Jugendliche schließlich zwei Geständnisse. Erst 2013, nach
acht Jahren Haft, wurde Moses aufgrund dieser erzwungenen Geständnisse zum
Tode verurteilt und sitzt nun in einer Todeszelle.
In Nigeria – wie in vielen Staaten, in denen regelmäßig gefoltert wird –
klaffen Welten zwischen der offiziellen Rechtsordnung und der Realität. Die
demokratische Bundesrepublik Nigeria ist Vertragspartei des UN-Zivilpakts
und der UN-Antifolterkonvention. Die nigerianische Verfassung verbietet
Folter und Misshandlung. Soweit die Theorie. In der Realität gibt es in
vielen Polizeistationen nach wie vor Folterkammern, die inoffiziell einem
„Folterbeamten“ unterstehen.
Die meisten rechtsstaatlichen Garantien sind in Nigeria gegenstandslos:
Viele Beschuldigte haben keine Möglichkeit, einen Rechtsbeistand zu
bekommen oder Angehörige zu kontaktieren. Weite Teile der Polizei sind
zudem korrupt. Die Familien von Beschuldigten werden aufgefordert, der
Polizei Geld zu zahlen, um Hafterleichterungen oder sogar eine Freilassung
zu erreichen. Wenn Folterüberlebende Vorwürfe gegen die Polizei erheben,
wird ihnen fast nie nachgegangen – die Folterer gehen straffrei aus.
## Eine „Art Kavaliersdelikt“
Diese Straflosigkeit zu beenden, das war das Ziel der
UN-Antifolterkonvention. Das vor 30 Jahren geschlossene Übereinkommen wurde
unter anderem durch eine Amnesty-Kampagne gegen Folter angestoßen und
schreibt konkret vor, wie das absolute Folterverbot praktisch durchgesetzt
werden kann. Zentraler Ausgangspunkt ist: Folter muss als schwere Straftat
eingestuft und mit einer angemessenen Strafe belegt werden. Denn oft fehlt
schon das Bewusstsein, dass Folter ein schweres Menschenrechtsverbrechen
ist.
So berichtet der ehemalige UN-Sonderberichterstatter über Folter, Manfred
Nowak, aus seiner Erfahrung: „In vielen Staaten wird Folter noch immer als
eine Art Kavaliersdelikt gehandelt.“ Bei seinen Untersuchungsreisen sagten
ihm Verantwortliche offen, dass sie – „bei allem Respekt für das
Folterverbot“ – gern mal ein Auge zudrückten: „Sometimes a little bit of
torture helps“, erklärte ihm zum Beispiel ein nepalesischer Polizeichef.
Wenn die gesetzliche Grundlage geschaffen ist, müssen im zweiten Schritt
Foltervorwürfe tatsächlich untersucht, die Verantwortlichen bestraft und
die Folterüberlebenden entschädigt werden. Ein Großteil der mittlerweile
156 Vertragsstaaten der Antifolterkonvention hält sich allerdings schon an
diese selbstverständlich wirkenden zentralen Vorgaben nicht – von der
Weltöffentlichkeit meist unbemerkt.
## Vorbildlich – auf dem Papier
Auch deshalb hat Amnesty International 2014 eine neue weltweite Kampagne
gegen Folter gestartet. Wir lenken den Blick dabei auf Staaten wie Mexiko,
Marokko oder eben Nigeria. Internationaler öffentlicher Druck kann dort
etwas erreichen. Erst im Dezember hat ein Amnesty-Bericht zu Folter auf den
Philippinen, einem weiteren Schwerpunktland unserer Kampagne, einen ersten
positiven Schritt bewirkt.
Die Philippinen sind ein Land mit einer vorbildlichen Gesetzgebung gegen
Folter – auf dem Papier. In der Realität ist bei der philippinischen
Polizei Folter an der Tagesordnung und nach dem seit 2009 geltenden
Antifoltergesetz wurde bisher niemand verurteilt. Selbst als Handyvideos
mit eindeutigen Beweisen für einen besonders grausamen Fall von
Polizeifolter durch die nationalen Medien gingen, wurden nicht einmal
Strafverfahren gegen die Polizisten eingeleitet. Auf den jüngsten Bericht
von Amnesty haben die Behörden dagegen sofort reagiert: Immerhin sollen
jetzt alle Fälle aus dem Bericht vom philippinischen Senat untersucht
werden.
## Eine Daueraufgabe
Das Beispiel zeigt, dass wir die Angehörigen von Folterüberlebenden sowie
lokale Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten mit internationalen
Druck unterstützen müssen. In vielen Staaten fehlt zwar der politische
Wille, von sich aus das Folterverbot konsequent umzusetzen. Aber sie stehen
doch sehr ungern mit ihrer beschämenden Bilanz im Rampenlicht der
Weltöffentlichkeit.
Trotz kleiner Erfolge: Der Kampf gegen Folter ist eine Daueraufgabe. Folter
ist ein Seismograf dafür, wie Staaten es mit den Menschenrechten halten:
Staaten, die foltern, behandeln die ihnen anvertrauten Bürger nicht als
Menschen, sondern als Objekte, die gequält werden können. Sie unterschätzen
allerdings die Sprengkraft der Wut über das eigene zerstörte Leben und die
tiefe Enttäuschung über den Vertrauensmissbrauch des Staats: Dadurch können
sich leicht Hass und Gegengewalt aufbauen. Und neue Gewaltakteure
erscheinen auf der Bildfläche.
Menschenrechtliche Garantien wie das absolute Folterverbot müssen
Ausgangspunkt jedes staatlichen Handelns sein. Sie sind kein Luxusgut für
gute Zeiten und reiche Staaten, sondern ein langfristiger und
friedensbildender Gegenentwurf zu Krieg, Terrorismus und Unterdrückung.
19 Jan 2015
## AUTOREN
Selmin Caliskan
## TAGS
Philippinen
USA
Nigeria
Amnesty International
Folter
Jan Philipp Reemtsma
Terrorismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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CIA
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