# taz.de -- taz-Dossier: „Comeback der Folter“: Katastrophe für den Rechts… | |
> 2002 entführte und tötete Magnus Gäfgen Jakob von Metzler, anschließend | |
> schwieg er eisern. Die Ermittler drohten ihm mit Gewalt. Ein Fehler. | |
Bild: Magnus Gäfgen, der Entführer und Mörder des elfjährigen Jakob von Met… | |
Der Fall war, zumal mit dem Abstand von inzwischen einem Jahrzehnt, wenig | |
kompliziert. Nicht nur die juristische Szene beschäftigte sich mit den | |
gesetzeswidrigen Ermittlungen im Fall des Kindesentführers und -mörders | |
Magnus Gäfgen, sondern die interessierte Öffentlichkeit überhaupt. | |
Im Kern ging es um das Folterverbot: Ein leitender Ermittler im | |
Entführungsfall des Kindes Jakob von Metzler im Jahr 2002 ließ den | |
verdächtigen Gäfgen während eines Verhörs durch einen Beamten mit Schmerzen | |
bedrohen, falls Gäfgen nicht endlich auspacke. | |
Als dies bekannt wurde, war mindestens jedem Juristen und | |
Polizeiangehörigen klar, dass diese Androhung von Torturen der | |
entscheidende Schritt über das Verbot von Folter in einem Rechtsstaat | |
hinaus ist. | |
In etlichen Talkshows, im Radio und in Zeitungen wurde nun debattiert, ob | |
die Polizeibeamten vielleicht nicht rechtens, aber verständlich gehandelt | |
hätten. Sie hätten ja nicht wissen können, dass das Entführungsopfer | |
bereits an den Folgen der Handlungen Gäfgens ums Leben gekommen war. | |
## Schluss mit Gentleman-Methoden | |
Nicht allein der linke Politiker Oskar Lafontaine schlug sich hier auf die | |
Seite des sogenannten Volkes. In „Im Zweifel für … Friedmans Talk“ sagte | |
er: | |
„Ich würde es als Katastrophe für den Rechtsstaat ansehen, wenn dieser | |
Beamte bestraft würde, denn nach meiner Auffassung hat er nach | |
elementarsten sittlichen Geboten unseres Rechtsstaates gehandelt. Man kann | |
nicht ein unschuldiges Kind qualvoll krepieren lassen, nur weil man sich | |
auf formale Verfassungsartikel beruft.“ Das Beharren auf Prinzipien helfe | |
nicht weiter. | |
Michael Wolfssohn, Historiker an der Bundeswehrhochschule von München, | |
forcierte diese Sichtweise im Hinblick auf den Antiterrorkampf. Dabei, so | |
gab er in einer Ausgabe der TV-Talkrunde „Maischberger“ zu Protokoll, „gi… | |
es kein wirklich wirksames Kriegsrecht. | |
Und weiter sagte er: „Als eines der Mittel gegen Terroristen halte ich | |
Folter oder die Androhung von Folter für legitim, weil der Terror im Grunde | |
mit den normativen Grundlagen – also mit der Bewertungsgrundlage unserer | |
zivilisierten Ordnung – überhaupt nichts mehr zu tun hat. Wenn wir da mit | |
Gentleman-Methoden versuchen, den Terror zu kontern, werden wir scheitern. | |
Auch der Abschreckungseffekt gegenüber Terroristen wäre gleich null.“ | |
## Moralische Not rechtfertigt nichts | |
Folterverbot als „Gentleman-Methoden“ zu begreifen, das war für einen | |
Hochschullehrer, der junge Bundeswehrkader auszubilden hat, eine | |
verblüffend prinzipienbeliebige Aussage. | |
In den Diskurs stieg schließlich der Hamburger Philologe und Kopf des | |
Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, ein. Sein | |
Haus forschte schon länger zum Thema Gewalt. | |
Er war, zumal selbst wenige Jahre zuvor Opfer einer Entführung, ein | |
vehementer Streiter für die zivilisatorische Errungenschaft, die das | |
Folterverbot bedeutet. Seinen Befund hat er auf mehreren Podien dargelegt – | |
und in einem ausführlichen taz-Gespräch im Dezember 2005, veröffentlicht | |
unter der Überschrift „Wir sind anders. Darum geht es“. | |
Reemtsma bestritt nicht, dass Ermittlungsbeamte in moralischer Not sein | |
könnten: Sie sind schließlich auch nur Menschen, denen an nichts mehr liegt | |
als an der Rettung eines anderen Menschen. | |
Wenn ihre Befragungen, auch härterer Art, nicht zu den gewünschten | |
Auskünften führten, könnten sie sich auch persönlich so verhalten, dass sie | |
dem Verhörten am liebsten Schmerzen zufügen würden. | |
## Folter zerstört das Vertrauen in den Rechtsstaat | |
Aber sie dürften es niemals tun, denn sie handelten im Auftrag des Staates | |
– der das Gewaltmonopol hat – und mit diesem eingehegt, um ihn nicht | |
tyrannisch agieren zu lassen. Dafür gab es eben das absolute, das heißt | |
auch im Notstand nicht verhandelbare Folterverbot. | |
Um den Einzelfall, so Reemtsma, geht es dabei nicht in erster Linie. | |
Niemand könne bestimmen, wann nun ein singuläres Ereignis ist und wann | |
wiederum nicht. Kurz: Wer bei einem Fall wie dem des Magnus Gäfgen das | |
eherne Verbot übertritt, signalisiert allen anderen, es könnte bei ihnen | |
auch der Fall sein. | |
Das hieße, dass über den Einzelfall hinaus die Folter bei allen ein | |
legitimes, ja legal akzeptiertes Mittel der Wahl sein kann. Dies jedoch | |
unterhöhle das Vertrauen in den Rechtsstaat schlechthin – er wäre keiner | |
mehr: Der Unterschied zu einem wankelmütigen Rechtssystem und zu | |
mittelalterlichen Systemen wäre allenfalls nur noch ein gradueller. | |
Insofern bringt Reemtsma als stichhaltigstes Argument nicht schon Bekanntes | |
zum Thema Folter vor: dass nämlich, wie ja auch aus dem CIA-Report | |
erfahrbar, Torturen, ob angedroht oder angewendet, nichts nützen. | |
## Man muss bereit sein, die Konsequenzen zu tragen | |
Im schlimmsten Fall, aus der Logik der strafverfolgenden Behörden, erfahre | |
man nur das, was ein Gefolterter sagt, um der Folter zu entgehen. Reemtsma | |
sagt vielmehr: Menschenwürde ist unteilbar – für alle und immer. Das Verbot | |
von Folter umreißt das Verständnis von Sittlichkeit, das mehr ist als eine | |
aktual gesinnte Form von Moral. Der Druck auf die Ermittler war ja immens. | |
Aber Reemtsma widersprach nicht dem Dilemma: dass die ermittelnden und | |
verhörenden Beamten natürlich an einem zunächst nur stark Verdächtigen, | |
schließlich dem Täter selbst weniger Interesse hatten als an dem Leben des | |
entführten Kindes. | |
Wenn, so Reemtsma, Vertreter des Staates diese Zwickmühle zwischen | |
Lebensrettung und Folterverbot nicht aushalten und die Entscheidung | |
treffen, die feine Linie zwischen erlaubter robuster Ermittlung und | |
Androhung von Schmerzen zu übertreten, müssen sie selbst souverän genug | |
sein, die Folgen der Lösung ihres Dilemmas zu tragen. | |
Dann wüssten sie, dass sie illegal, nicht mehr allein illegitim, gehandelt | |
haben. Und sie würden den strafrechtlichen Konsequenzen ihres Tuns souverän | |
entgegensehen. Etwa im Sinne von: Ich konnte nicht anders, als das | |
Schlimmste anzudrohen – aber ich trage auch die dienstrechtlichen | |
Konsequenzen. | |
## Schmerzensgeld für den Entführer | |
Michael Wolfssohn blieb als Hochschulbeamter unbehelligt; eine vom | |
damaligen Verteidigungsminister Peter Struck – Dienstherr auch für die | |
Bundeswehruni – veranlasste Prüfung, ob der Historiker disziplinarisch | |
behelligt werden könnte, verlief im Sande. | |
Der leitende Polizeibeamte Wolfgang Daschner und sein Gäfgen verhörender | |
Kollege kamen faktisch ungerupft davon – sie erhielten Ende 2004 nur | |
Geldstrafen und Verwarnungen. | |
Der Entführer Gäfgen, der für den Tod Jakob von Metzlers verantwortlich | |
war, klagte bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf Zahlung | |
von Entschädigung für die Folterandrohung. | |
Am Ende sprach ihm das OLG Frankfurt am Main vor fünf Jahren 3.000 Euro | |
Schmerzensgeld zu. Der Rechtsstaat und sein Folterverbot hatten – nach | |
zähem Ringen – ein wenig gewonnen. | |
20 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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