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# taz.de -- Die Tricks der Lebensmittelhersteller: Mmh, lecker probiotisch!
> Am Donnerstag entscheidet der Bundesgerichtshof über einen Prozess, bei
> dem es um Täuschung geht. Wie tricksen die Hersteller?
Bild: Ist das, was drauf steht, auch drin? Falsche Frage! Hauptsache, es verkau…
## Kleine Portion = wenig Kalorien
Eins, zwei, drei, sieben, zehn – Stopp. 25 Gramm Gummibärchen, etwa zehn
Stück, sind eine Portion. Oder 30 Gramm Chips. Oder 41,6 Gramm
Schokolinsen. Wer das festlegt? Na, Sie natürlich, als Hersteller. Bei sehr
gezuckerten oder fetthaltigen Produkten sollten Sie die vom Verbraucher
eher gemiedenen Zutaten soweit herunterrechnen, dass die Menge pro Portion
überschaubar wirkt. Denn Kunden greifen eher zu, wenn sie sehen, dass die
Schokolinsen nur 25 Prozent der empfohlenen Tagesdosis an Zucker enthalten
– bezogen auf die Portion. Klar, am Ende essen die meisten eh die ganze
Packung auf, aber das ist schließlich deren Problem.
## Vitamine gibt es nie genug
Gilt es bei Fett und Kalorien, die Zahl in der Nährwerttabelle möglichst
klein zu halten, kann es bei Vitaminen und Mineralstoffen gar nicht genug
sein: Kalzium, Vitamin A, Beta-Carotin, Magnesium und vor allem Vitamin C –
mehr davon! Wer will schon einen Apfel, wenn es auch der Schokoriegel sein
kann? Die Verbraucher sollen bekommen, wonach ihnen der Sinn steht:
Süßigkeiten mit Extra-Kalzium, Speiseeis mit Beta-Carotin und alles, was
nicht bei drei auf den Bäumen ist, bekommt eine Extradosis Vitamin C. So
lassen sich auch Fruchtgummis als gesund verkaufen. Und der Apfel, der ist
dann sowieso überflüssig.
## Kleine Packung, großer Gewinn
Ab und zu kommt man als Hersteller nicht drum herum, die Preise zu erhöhen.
Das ist immer sehr unsäglich, weil Kunden in dem Moment auf die Idee kommen
können, ein Konkurrenzprodukt zu wählen. Doch es gibt eine Alternative:
Packungen verkleinern. Bei Zigaretten- und Windelherstellern ist das
Prinzip bewährt, doch auch bei Müsli, Keksen und Marmelade lassen sich mit
ein paar Gramm weniger in der Packung höhere Margen erzielen. Ist es gut
gemacht, merkt der Kunde nichts. Und war die Packung vorher gut gefüllt,
geht es noch einfacher: Füllmenge verringern.
## Frisch geht immer
Haben Sie die Portionen kleingerechnet? Sind Vitamine drin? Gut, dann geht
es jetzt um das, was fast noch wichtiger ist als der Inhalt selbst: die
Verpackung. Da gibt es zwei ganz einfache Regeln. Nummer eins: Kunden
lieben frische Zutaten. Also nicht unbedingt in der Verpackung, denn da
kann der Geschmack schon mal jahreszeitabhängig schwanken. Aber zumindest
darauf. Ist Erdbeeraroma im Produkt? Wunderbar, dann passen ein paar runde,
saftige Erdbeeren auf das Etikett. Ist Vanillearoma drin? Dann eine
Vanilleschote. Basilikumaroma? Das Prinzip ist klar.
Nummer zwei: Wo wenig drin ist, doppelt so dick auftragen. Enthält das
Haselnussdessert nur 0,5 Prozent Haselnussmark, sollte es im Namen
mindestens „Double Nut“ sein.
## Aus teuer mach billig
Jetzt wird es etwas kniffliger: Zweimal Naturjogurt im Regal,
Viererpackung, gleiche Inhaltsstoffe. Der Unterschied? Das teurere Produkt
firmiert unter einer Light-Marke. Für den ernährungsbewussten Verbraucher.
Diese Zielgruppe ist bereit, auch mal höhere Preise zu zahlen als für ein
Vergleichsprodukt. Und in der Herstellung lassen sich Zutaten wie Sahne
etwa durch Wasser austauschen. Oder Hackfleisch mit einer
Eiweiß-Wasser-Mischung strecken. Quasi eine Win-win-win-Situation: Hat
weniger Kalorien und Fett, ist billiger und der Kunde zahlt mehr. Doch
aufgepasst, es geht auch umgekehrt.
## Aus billig mach teuer
Zum Beispiel Margarine. Die war einst das billige Ersatzprodukt für
Menschen, die sich keine Butter leisten können. Heute ist sie nicht mehr
nur streichbares Fett, sondern Gesundheitsprodukt, das sich mindestens
positiv auf den Cholesterinspiegel auswirken soll. Weniger Fett, mehr
Omega-3, weniger Kalorien, mehr lachende Menschen ohne Herzprobleme. Und
dazu noch vegan! Die Geschichte zeigt: Vermarktung wirkt. Darum wird es
auch im nächsten Schritt um die Vermarktung gehen.
## Kunden wollen Tradition
Der Milchbauer steht – mit frisch gestärkter weißer Schürze – nach dem
Melken selbst am Bottich und rührt die Milch bis irgendwann Frischkäse
entsteht. Ein paar Kräuter rein, fertig. So sieht sie aus, sie schöne heile
Welt der Käseherstellung in den Köpfen der Verbraucher. Dass die Realität
weit davon entfernt ist und nicht mit urigen Holzbottichen, sondern eher
mit Industrietanks und Separatoren zu tun hat – egal. Der Verbraucher will
Handwerk, der Verbraucher bekommt Handwerk. Unerreichtes Vorbild ist der
Fleischverarbeiter Rügenwalder: Das 1834 gegründete Unternehmen warb in
Fernsehspots und auf Verpackungen mit einer Windmühle – ein klassisches
Symbol für Ländlichkeit, Naturverbundenheit, und mittlerweile auch
nachhaltiges Wirtschaften. Allein: Die Mühle gab es gar nicht. Erfunden,
nur für die Werbung. Bis immer mehr Kunden nachfragten und die Mühle
besuchen wollten. Und das Unternehmen sich entschied, einfach eine Mühle zu
bauen. Das ist echte Kundenbindung.
## Die Region ist überall
Regional ist das neue Bio. Wer es schafft, seine Waren als regional zu
vermarkten, kann auf eine wachsende und kaufkräftige Gruppe von Konsumenten
zählen. Also, wenn es sich irgendwie einrichten lässt, einen regionalen
Bezug aufs Etikett schreiben. „Mark Brandenburg“ zum Beispiel – auch wenn
die unter der Marke vertriebene Milch zwischenzeitlich in Köln abgefüllt
wurde. Manchmal ist es aber nicht so einfach. Weil die zur Verarbeitung
bestimmten Erdbeeren in China doch billiger sind oder weil in Deutschland
nicht rund ums Jahr Spargel wächst. Dann hilft ein Name, der Regionalität
suggeriert. „Bayer. Pilze & Waldfrüchte“ kommt doch aus Bayern, oder? Nein,
aus China und Chile. Ja, das ist nicht sauber. Aber bis ein
Verbraucherverband das gemerkt hat und dagegen vorgeht, ist das Produkt
schon gut eingeführt.
## Kleine Helfer weglassen
Es ist nicht nur wichtig, was auf der Verpackung steht, sondern auch das,
was nicht draufsteht. Der Produktionsprozess von Lebensmitteln heutzutage
ist so kompliziert – das wollen die Verbraucher doch gar nicht wissen. Gar
nicht schlimm also, wenn man ihnen auch das eine oder andere Hilfsmittel
verschweigt, dass in der Produktion zwar wichtig war, dessen Deklaration
aber nur Verwirrung beim Konsumenten stiften würde. Zum Beispiel Gelatine,
die bei Wein und Säften ein beliebtes Hilfsmittel zur Klärung der
Flüssigkeit ist. Was, würde sich der Verbraucher fragen, hat denn Gelatine
bei Wein zu suchen? Und ein Verbraucher, der denkt, kauft womöglich nicht.
## Gesundheit versprechen
Wer sein Produkt wirklich erfolgreich platzieren will, muss schon erklären,
warum das Kalzium so wichtig ist. Zwar hat die EU diese Versprechen seit
Ende 2012 stark eingeschränkt. Aber nicht ganz verboten. Tipp: Alle Zutaten
und sämtliche potenziell zusetzbaren Inhaltsstoffe auf mögliche
Gesundheitsversprechen abklopfen. Und dann loslegen: „Eisen hilft gegen
Müdigkeit“. „Mit essenziellen Fettsäuren für das Knochenwachstum von
Kindern“. „Kalzium für den Erhalt Ihrer Zähne“. Die EU hat eine Liste a…
ihrer Website, mit Hunderten erlaubter Sprüche. Suchen Sie sich einen aus.
Oder am besten gleich ein paar.
11 Feb 2015
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Verpackungen
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Landwirtschaft
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Ernährung
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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