# taz.de -- Monokulturen unter Kunststoff-Folien: Spargel aus der Plastikwüste | |
> Spargel wird fast nur noch unter Folie und mit Chemie angebaut. | |
> Vogelarten sterben aus. Müssen wir jetzt auf die Stangen verzichten? | |
Bild: Wie in einem Gewächshaus: Spargel unter Folie. | |
LÜNOW/MÖTZOW taz | Spargel schmeckt auf der Zunge leicht süß und | |
gleichzeitig bitter. Aber das typische Aroma dieses Gemüses entsteht in der | |
Nase: diese einzigartige Duftnote, das Karamellartige, das dezent Grasige. | |
Spargel ist so beliebt, weil er etwas Besonderes ist: Frische Stangen aus | |
Deutschland gibt es nur wenige Monate. Das macht sie teuer und exklusiv, im | |
vergangenen Jahr kostete das Kilo im Durchschnitt rund sechs Euro. | |
Am Samstag startet die Saison in Brandenburg – nach Niedersachsen | |
Deutschlands zweitgrößtes Anbaugebiet, in dem die Ernte bereits am | |
Donnerstag begonnen hat. Früher lag der erste heimische Spargel Wochen | |
später auf dem Teller. Das war, bevor fast alle Landwirte ihre Felder mit | |
Plastikfolie überzogen. | |
Die Folie wirkt wie ein kleines Gewächshaus. Sie speichert die Wärme, | |
sodass die Stangen früher ihre Erntelänge erreichen. Dadurch können die | |
Bauern pro Saison mehr verkaufen. Denn das Ende der Ernte ist überall in | |
Deutschland quasi unverrückbar: Spargel wird nur bis zum 24. Juni, dem | |
Johannistag, gestochen, damit die Pflanzen danach noch genug Sonne für das | |
nächste Jahr tanken können. | |
Auch Werner Christ isst gern Spargel. „Am liebsten nur mit Butter und | |
Pellkartoffeln“, sagt der 67-Jährige. Aber er hat ein Problem: Er wohnt im | |
brandenburgischen Dorf Lünow, ganz in der Nähe einer der größten | |
Spargelfarmen Deutschlands, dem Vielfruchthof in Mötzow. Wenn Christ mit | |
dem Rad durch die Gegend fährt, sieht er vor allem eines: die | |
Kunststofffolie, die der Betrieb auf seine insgesamt 500 Hektar großen | |
Spargelfelder gezogen hat. | |
Ein Acker kann schon mal 30 Hektar haben, das ist so groß wie rund 40 | |
Fußballfelder. Die weißen oder schwarzen Bahnen ziehen sich oft | |
kilometerlang über die etwa 50 Zentimeter hohen Erddämme, in denen der | |
Spargel und sonst nichts wächst. Selbst zwischen den Dämmen schaut nur | |
karger sandiger Boden hervor. Kein einziger Halm, kein Unkraut, kein Tier. | |
Auch hinter der dünnen Hecke am Feldrand auf dem nächsten Acker nur ein | |
riesiges Meer aus Plastik. So ähnlich wie in Mötzow sieht es auch in | |
anderen Spargelanbaugebieten aus, vor allem im Osten mit seinen besonders | |
großen Feldern. | |
## „Landschaft ohne Folie“ | |
Christ ist ein rundlicher Schornsteinfegermeister im Ruhestand mit weißem | |
Backen- und Schnauzbart. Über dem Herd in seinem idyllisch gelegenen Haus | |
direkt an einem See steht auf blau-weißen Kacheln: „Sich regen bringt | |
Segen“. Er ist Vorsitzender der Bürgerinitiative „Landschaft ohne Folie“. | |
„Die Gemeinden haben viel, viel Geld für Fahrradwege ausgegeben, die durch | |
die Felder führen, und wenn sie durch Plastik fahren, ist das natürlich | |
nicht so attraktiv für einen doch sehr angenehmen Tourismus“, sagt Christ. | |
Und: „Wir wollen nicht, dass die Natur aus dem Gleichgewicht gerät.“ | |
Doch genau das passiert seiner Meinung nach gerade. Christ zitiert ein | |
Gutachten, das im Auftrag der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg | |
erstellt wurde. Demnach sind von 2003 bis 2013 mindestens 21 Brutvogelarten | |
in dem 712 Hektar großen Untersuchungsgebiet der Region ausgestorben, das | |
zur Hälfte für den Spargelanbau unter Folie liegt. Um 2003 herum schaffte | |
der Vielfruchthof die Schafhaltung ab und legte die Spargelfelder an. Wenn | |
Vogelarten verschwinden, liegt es nahe, dass auch Insekten, Kleinsäuger und | |
Pflanzen leiden. Und das, sagt Christ, werde auch noch mit Hunderttausenden | |
Euro Agrarsubventionen bezuschusst. | |
Die Bürgerinitiative fordert deshalb, dass nicht so große zusammenhängende | |
Flächen so lange unter Folie gelegt werden. Vergangenes Jahr, berichtet der | |
Vorsitzende, seien die ersten Felder schon im Oktober „unter Plastik | |
begraben worden“. Ein Großteil bleibe ein halbes Jahr plastiniert. | |
Naturschützer verlangen auch, dass der Betrieb mehr Land brach liegen lässt | |
– am besten zehn Prozent – und nicht noch mehr Spargel auf weiteren Feldern | |
anbaut. | |
Die Kritiker machen für den Artenschwund nicht nur die Folie | |
verantwortlich, sondern ebenso Pestizide und Dünger, die der Vielfruchthof | |
einsetzt. Solche Chemikalien belasten auch das Grundwasser. Außerdem sind | |
Spargelfelder eine Monokultur: Eine Pflanze bringt mehrere Jahre | |
hintereinander Ertrag, sodass die Landwirte Spargel auf einem Feld knapp | |
ein Jahrzehnt lang wachsen lassen. Das ist keine klassische Fruchtfolge, | |
die die Vielfalt erhöhen würde. | |
## Kleine Felder. Unwirtschaftlich? | |
Der Vielfruchthof gehört Heinrich Thiermann. Der 72-Jährige gilt seinen | |
Gegnern als typischer Agrarindustrieller. Er ist mit 1.000 Hektar einer der | |
größten, wenn nicht der größte Spargelerzeuger Deutschlands. Genauer kann | |
oder will er das nicht sagen. Auch in Niedersachsen baut er das Gemüse an, | |
er ist ein bedeutender Schweinemäster, er hat Biogasanlagen, Mais-, | |
Getreide- und Heidelbeerfelder. Allein mit Spargel nimmt er nach eigenen | |
Angaben pro Jahr 25 Millionen Euro ein. Supermärkte wie Aldi, Edeka und | |
Rewe verkaufen seine Ware. | |
Jetzt sitzt Thiermann in einem Besprechungsraum im 1894 gebauten Mötzower | |
Gutshaus, einem Herrenhaus aus Backstein. Im Flur hängt eine prächtige | |
Hirschtrophäe – „selbst geschossen“, wie der gelernte | |
Landwirtschaftsmeister sagt. Er übergibt eine 21-seitige Stellungnahme zu | |
der Kritik an seinem Betrieb. Kleine Felder seien unwirtschaftlich, heißt | |
es dort. Zehn Prozent Brache würden seinen Standort in Mötzow 10,5 | |
Millionen Euro Umsatz kosten und die Existenz gefährden. Dabei habe er hier | |
doch 100 feste Arbeitskräfte und 1.200 Saisonarbeiter aus Polen und | |
Rumänien, sagt der Großgrundbesitzer. Wenn die Handelsketten mehr Spargel | |
wollten, müsse er auch mehr anbauen, um nicht pleitezugehen. | |
Die Untersuchung der Vogelschutzwarte nennt er ein „Parteiengutachten“. | |
Denn sie habe die aktuellen Vogelzählungen mit früheren Zählungen eines | |
Ornithologen verglichen, der Mitglied der Bürgerinitiative ist. Auf die | |
Gruppe ist der Unternehmer nicht gerade gut zu sprechen: „Hier in Lünow | |
sind Leute, die in Pension sind und Vorstellungen von der Landwirtschaft | |
wie im 19. Jahrhundert haben“, schimpft Thiermann. | |
Die Folie hält er für nötig, um die Verbraucher die ganze Saison über | |
kontinuierlich mit Spargel zu beliefern. Ohne das Plastik würde es bei zu | |
wenig Sonnenschein kaum und bei viel Sonneneinstrahlung zu viel Ware geben. | |
Thiermann verweist auch darauf, dass die Folie positiv für die Umwelt sei: | |
Tatsächlich verhindert sie weitgehend, dass Unkraut entsteht, sodass die | |
Bauern es nicht mit Pestiziden bekämpfen müssen. | |
## Es geht auch ohne Folie | |
Das heißt aber nicht, dass Thiermann auf Ackergifte verzichtet. Regelmäßig | |
spritzt er zum Beispiel gegen eine Pilzkrankheit. Und die Koautorin des | |
Vogelgutachtens, Katja Alsleben, weist Thiermanns Vorwürfe gegen ihre | |
Arbeit zurück. Sie habe sich zwar tatsächlich auch auf Daten eines | |
Mitglieds des Bürgerinitiative berufen. „Aber der ist lange als Ornithologe | |
aktiv und kennt sich aus“, sagt die Diplombiologin. Es gebe keine anderen | |
Vergleichszahlen. | |
Muss man als Verbraucher jetzt auf Spargel verzichten? Nein. Es geht ohne | |
Chemie, mitunter sogar ohne Folie. Ein Bioland-Bauer wie Stephan Korte zum | |
Beispiel, ansässig im niedersächsischen Eydelstedt, darf keine | |
chemisch-synthetischen Pestizide und wasserlöslichen Dünger benutzen. Aber | |
riesige Flächen unter Folie sind auch bei Bio erlaubt. Zahlreiche Ökohöfe | |
wie der von Korte verteilen den Spargel und die Folie auf viele kleine | |
Äcker. Sein größter hat nur zwei Hektar – winzig im Vergleich zu Thiermanns | |
30-Hektar-Feldern. | |
Wer es ohne Folie will, muss länger suchen. Werner Christ, der | |
Widerständler aus Lünow, ist fündig geworden. Er kauft seinen Spargel nur | |
noch bei einem Demeter-Bauern, der auf Plastik verzichtet. | |
12 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
## TAGS | |
Landwirtschaft | |
Spargel | |
Vegetarismus | |
Gemüse | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Verpackungen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vegetarische Wurst: Veggie-Boom bei Fleischfabriken | |
Rügenwalder und Wiesenhof gelten vielen Aktivisten als böse Tierausbeuter. | |
Doch nun bieten diese Unternehmen vegetarische Alternativen an – mit | |
Erfolg. | |
Erfinderschutz auf Pflanzen: Brokkoli mit Patent | |
Lange wartete man auf die Entscheidung des Europäischen Patentamts. Und nun | |
das: Die Behörde wird weiter Erfinderschutz auf Pflanzen erteilen. | |
Kontrolle von Chemie wie Glyphosat: „Wir sind nicht immer die Bösen“ | |
Wir bewerten nur die Risiken, wir entscheiden nicht darüber, ob ein Stoff | |
verboten wird, sagt Andreas Hensel, der Chef des Bundesinstituts für | |
Risikobewertung (BfR). | |
Die Tricks der Lebensmittelhersteller: Mmh, lecker probiotisch! | |
Am Donnerstag entscheidet der Bundesgerichtshof über einen Prozess, bei dem | |
es um Täuschung geht. Wie tricksen die Hersteller? |