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# taz.de -- Kontrolle von Chemie wie Glyphosat: „Wir sind nicht immer die Bö…
> Wir bewerten nur die Risiken, wir entscheiden nicht darüber, ob ein Stoff
> verboten wird, sagt Andreas Hensel, der Chef des Bundesinstituts für
> Risikobewertung (BfR).
Bild: Aktuell wird das BfR wegen der Bewertung des Planzengifts Glyphosat kriti…
taz: Herr Hensel, das Bundesinstitut hält das gerade von der
Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte
Pestizid Glyphosat für gesundheitlich unbedenklich – wie auch gentechnisch
veränderte Pflanzen und mit Chlor desinfizierte Hühnchen. Warum liegen Sie
häufig über Kreuz mit Umweltschützern und oft auch der Mehrheit der
Bevölkerung?
Andreas Hensel: Den meisten Leuten fehlt es an Fachkenntnis, um immer ihr
persönliches Risiko einschätzen zu können. Ein Problem ist, dass sie mit
kleinen und großen Zahlen nicht umgehen können. Wenn es zum Beispiel eine
Meldung gibt, dass ein Giftcocktail in irgendetwas gefunden wurde, sollte
die erste Frage sein: Ist die Konzentration überhaupt giftig? Gerade die
Presse neigt dazu, relative Zahlen anzugeben: 100 Prozent mehr oder 200
Prozent mehr von etwas, während die absoluten Zahlen möglicherweise sehr
niedrig sind.
Sind viele Ihrer Stellungnahmen wirtschaftsfreundlich, weil das BfR dem
Agrarministerium unterstellt ist?
Ich verstehe gar nicht, wie man zu dieser Interpretation
„wirtschaftsfreundlich“ kommt. Eine Menge unserer jährlich 3.000
Stellungnahmen werden von der Wirtschaft als wirtschaftsfeindlich angesehen
– wenn es beispielsweise um Aluminium in Kosmetika geht. Da werden ja ganze
Produktgruppen inkriminiert. Wir gehören nicht immer zu den Bösen.
Manchen Aktivisten sind das immer noch zu viele wirtschaftsfreundliche
Stellungnahmen. Noch mal: Liegt das daran, dass Sie vom Agrarministerium
kontrolliert werden?
Nach unserem Errichtungsgesetz sind wir in unserer Forschung,
Risikobewertung und -kommunikation unabhängig. Da kann uns niemand in der
Bundesregierung – selbst die Kanzlerin nicht – stoppen. Wir veröffentlichen
unsere Stellungnahmen auf unserer Internetseite. Wenn etwas mit unserer
Transparenz nicht stimmen würde, dann gäbe es einen riesigen Aufschrei. Und
wir haben zusätzliche Expertenkommissionen, die uns als wissenschaftliche
Sparringspartner dienen.
Diese externen Berater gelten oft als industrienah – ein Problem für Ihre
Glaubwürdigkeit?
Unsere Kommissionen werden bewusst auch mit Fachleuten aus der Industrie
besetzt. Manche Sachverhalte zum Beispiel bei Kosmetika und Kunststoffen
sind nur von denjenigen zu beurteilen, die auch damit arbeiten.
Aber bei vielen weckt es Misstrauen, dass Vertreter von
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in den Kommissionen eine verschwindend
kleine Minderheit sind.
Die Mitgliedschaft in den Kommissionen wird öffentlich ausgeschrieben. Ich
kann die NGO-Vertreter ja nicht zum Jagen tragen. Außerdem brauchen wir die
besten Wissenschaftler, keine Aktivisten. Abgesehen davon: Das sind reine
Beratungskommissionen. Die erstellen keine wissenschaftlichen Bewertungen.
Das machen bei uns ausschließlich BfR-Beschäftigte.
Folgen Ihre Mitarbeiter nicht häufig den Empfehlungen der Berater?
In den allerwenigsten Fällen werden die Argumente für eine Stellungnahme
ausschließlich durch diese Kommissionen vermittelt. Unsere Hauptarbeit ist
die Prüfung von Studien und die Literaturrecherche. Wir tauschen uns
regelmäßig international mit Verbraucherschutzbehörden, beispielsweise mit
unseren französischen oder dänischen Kollegen, aus und forschen auch
selbst.
Auch einigen BfR-Mitarbeitern wird Industrienähe vorgeworfen. Der Chef
Ihrer Abteilung für Lebensmittelsicherheit leitete eine Beratergruppe des
International Life Sciences Institute (Ilsi), das zum Beispiel von Monsanto
und Nestlé finanziert wird. Ist das kein Interessenkonflikt?
Allein die Tatsache, dass einer auf einer genehmigten Dienstreise zum
wissenschaftlichen Disput zum Ilsi fährt, sich dort mit anderen
Wissenschaftlern austauscht, bedeutet ja noch lange nicht, dass er seine
Risikobewertung entsprechend frisiert. Man meint, die werden da
korrumpiert, da entstehen Abhängigkeiten oder sonst etwas. Aber genau
diesen Beweis sind unsere Kritiker immer schuldig geblieben.
Was wäre denn ein Interessenkonflikt für Sie?
Ein No-Go ist zum Beispiel, dass Geld fließt oder man geldwerte Vorteile
hat.
Wer hat denn die Reisekosten zum Ilsi für Ihren Abteilungsleiter getragen?
Alles wir. Wir zahlen das immer erst selber. Wir versuchen dann, die Kosten
vom Veranstalter zurückzufordern. Diese Erstattungen fließen aber nicht an
das BfR und schon gar nicht den Mitarbeiter, sondern an das
Bundesministerium.
Wenn ein Kommissionsmitglied einen Interessenkonflikt hat, darf es nicht an
den Beratungen zu dem betreffenden Thema teilnehmen. Aber die
Interessenerklärungen mehrerer Mitglieder sollen unvollständig gewesen
sein. Stimmt das?
Das kann ich nicht beantworten. Wir können nicht sicherstellen, dass die
Leute alles angeben.
Ohne vollständige Interessenerklärungen können Sie doch gar nicht
feststellen, ob es einen Interessenkonflikt gibt.
Ja, aber wir können den Leuten nicht ins Gehirn schauen. Wir vertrauen
unseren ehrenamtlichen Beratern.
Was tun Sie, wenn Sie von Verstößen erfahren?
Der Betroffene wird kontaktiert und dazu befragt. Natürlich muss man auch
berücksichtigen, wann sie für die Industrie tätig waren. Es gibt ja in der
Bundesregierung eine Tendenz, dass Wissenschaft nur gefördert wird, wenn
sich die Industrie beteiligt. Praktisch alle Universitätsprofessoren haben
irgendwann mal etwas mit Firmengeldern finanziert.
Kritiker fordern, dass Sie Umwelt-, Verbraucher-, und Tierschützer bei der
Auswahl von Experten einbeziehen. Was halten Sie davon?
Das BfR ist nicht dazu da, gesellschaftliche Positionen zu balancieren.
Dafür gibt’s die Politik oder NGOs. Wir sind Risikobewerter,
Wissenschaftler, aber wir entscheiden nicht darüber, ob etwa ein Stoff
verboten wird. Man setzt unsere wissenschaftliche Unparteilichkeit aufs
Spiel, wenn man uns eine politische Rolle zuweist.
Bei Pestiziden wie Glyphosat stützen Sie sich meist auf Studien, die die
Hersteller in Auftrag gegeben haben. Wäre es nicht besser, wenn der Staat
die Untersuchungen bezahlte?
Die Industrie will ja Geld verdienen mit Produkten wie
Pflanzenschutzmitteln. Da muss man das schon in Abrede stellen, dass der
Steuerzahler die Studien bezahlen soll. Sie werden aber auf jeden Fall von
akkreditierten Labors und nach den Richtlinien der
Industrieländerorganisation OECD gemacht und in gesetzlichen
Zulassungsverfahren geprüft.
Welche Rolle spielt bei der Kritik durch Umweltorganisationen deren
Interesse, Spenden zu bekommen?
Offensichtlich zahlt es sich in manchen Fällen aus, sich gegen uns zu
positionieren. Für Nichtregierungsorganisationen ist es wichtig,
wahrgenommen zu werden – nicht nur weil man Mitglieder halten oder Gelder
sammeln, sondern auch weil man Themen setzen will. Dann ist es schon
schwierig, wenn so eine wissenschaftliche Behörde in der Sache
widerspricht.
28 Mar 2015
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
Schwerpunkt Glyphosat
Rewe
Argentinien
EU-Kommission
Belastung
Landwirtschaft
WHO
Studie
Obstanbau
Gen-Mais
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