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# taz.de -- Ernährung an Schulen: Die neue Smoothie-Bewegung
> Schüler wissen wenig über Nahrungsmittel. Politiker und Verbände wollen
> das ändern und stoßen auf einen Trend: vegane Küche.
Bild: Kinder sollen in der Schule mehr über Ernährung und Lebensmittel lernen
BERLIN taz | Wenn Elisabeth Aßmann Schüler fragt, wie viele Eier ein Huhn
am Tag legt, antworten die meisten Kinder: sechs. „Sie denken dabei an die
Packungsgröße im Supermarkt“, berichtet Aßmann.
Während der Grünen Woche in Berlin, der Leistungsschau der konventionellen
Landwirtschaft, nahm die junge Agrarwirtin aus Passow in
Mecklenburg-Vorpommern mit anderen Jungbauern an der Gegendemonstration
unter dem Motto „Wir machen euch satt“ für ein besseres Verhältnis von
Landwirtschaft und Gesellschaft teil. „Der schlechte Stand der
Ernährungsbildung liegt auch daran, dass Landwirtschaft in den Schulen kaum
behandelt wird“, ist ihre Einschätzung.
Also haben die Höfe in der Gegend um Greifswald eigene
Bildungskooperationen geschlossen: Bauern kommen in die Schulen und laden
Klassen auf den Bauernhof ein.
Auch Barbara Kaiser, Ernährungsexpertin beim Agrarinformationsdienst, aid,
der vom Bundeslandwirtschaftsministerium getragen wird, stellt fest: „Die
Kinder in den Städten haben den Bezug zur Landwirtschaft verloren.“
Ähnliches gelte für die Lebensmittel, wenn zu Hause nicht mehr gekocht wird
oder nur Fertigware auf den Teller kommt. „Eine Paprika aufzuschneiden, ist
dann für manche Kinder schon ein Aha-Erlebnis“, so Kaiser. „Es besteht
Handlungsbedarf.“
## „Ennährungsführerschein“ gegen Wissenslücken
Um gegen die Wissensdefizite anzugehen, hatte Kaiser in der aid bereits
2007 den „Ernährungsführerschein“ entwickelt. Darin lernen Kinder in
sechswöchigen Kursen den praktischen Umgang mit Lebensmitteln. Lernziele
sind unter anderem: Wiegen, messen, raspeln, abschmecken, pürieren, kochen,
backen, Tische decken und Gäste bewirten.
Bisher haben 700.000 Kinder einen „Ernährungsführerschein“ gemacht. „Bei
Kindern mit Migrationshintergrund sind die Erfolge am größten“, bemerkt
Ernähungsexpertin Kaiser. Sie wünscht sich, „dass die Ernährungsbildung als
Querschnittsthema in der Aus- und Weiterbildung von Lehrer verankert
würde“. Denn derzeit erreicht das Thema die Schüler in sehr
unterschiedlicher Intensität: „Es hängt sehr viel von der Motivation des
einzelnen Lehrers ab“, so die aid-Fachfrau.
Das Thema steht inzwischen auch bei den zuständigen Ministern auf der
Agenda. Im September 2013 fasste die Kultusministerkonferenz (KMK) einen
Beschluss zur „Verbraucherbildung an Schulen“. Demnach sollen die vier
Themenbereiche Wirtschaft, Medien, nachhaltiger Konsum sowie Ernährung und
Gesundheit in Schulen stärker behandelt werden. Bei der Ernährung geht es
auch um „Gesunde Lebensführung, Nahrungsmittelketten, Qualität von
Lebensmitteln und die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung“.
„Ernährungsbildung muss integriert, ganzheitlich und nachhaltig in den
Blick genommen werden“, betonte denn auch Nordrhein-Westfalens
Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) auf einer bundesweiten Tagung zur
Ernährungsbildung im September vergangenen Jahres in Bonn. Gerade mit der
Entwicklung der Ganztagsschulen und der Schnittstelle zur Schulverpflegung
ergäben sich neue Möglichkeiten.
## Unterschiedliche Voraussetzungen
In den Ländern sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich. Im Süden der
Republik, in Baden-Württemberg, gibt es seit 1980 die „Landesinitiative
BeKi – bewusste Kinderernährung“. Landesweit sind heute 270 „Fachfrauen …
Kinderernährung“ freiberuflich im Auftrag des Stuttgarter Ministeriums für
Ländlichen Raum und Verbraucherschutz unterwegs. Sie führen Veranstaltungen
für Eltern und Pädagogen durch, die Kinder im Alter von 6 Monaten bis zur
6. Klasse erziehen.
Eine erste flächendeckende Bestandsaufnahme zur Ernährungsbildung legte
Bundeslandeswirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) im November auf dem
ersten „Bundeskongress Schulverpflegung“ vor. Danach gaben in der Befragung
zwar drei Viertel der Schulleitungen an, Ernährungsunterricht und -projekte
anzubieten. Doch diese finden oft nicht wöchentlich statt, sondern jeweils
zu einem Viertel halbjährlich oder jährlich.
Über 12.000 Schülerinnen und Schüler ließ das Ministerium auch zur
Zufriedenheit mit dem Schulessen befragen. Grundschüler gaben dem Essen im
Durchschnitt die Note 2,5, Schüler der Oberstufen benoteten im Schnitt mit
2,6. Die Umfrage zeige, dass Schüler das Mittagessen durchaus wertschätzen
und gerne Neues ausprobieren, folgerte Schmidt. Auf der anderen Seite seien
die Speisepläne zum Teil noch sehr herkömmlich. „Wir brauchen mehr moderne
Speisepläne und zugleich mehr Mitsprache für die Schülerinnen und Schüler�…
forderte der Minister.
## Veränderung in der Schulkantine
Noch nicht so sehr in den Klassenzimmern, dafür umso mehr in den
Schulkantinen ist die Ernährungswende in Fahrt gekommen. Jedes Bundesland
besitzt heute eine „Vernetzungsstelle Schulverpflegung“, die zum einen die
Qualitätsstandards für Schulessen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
in die Schulen hineintragen und zugleich Netzwerke zwischen Behörden,
Schulleitungen, Caterern und Eltern knüpfen.
In Berlin, wo täglich 156.000 Schulmahlzeiten ausgegeben werden, leitet
Sabine Schulz-Greve die Vernetzungsstelle. Viele Aufträge an externe Küchen
wurden in den letzten Jahren neu vergeben mit dem Effekt, dass besonders
auf die Verwendung von Lebensmitteln aus biologischem Anbau ohne Agrochemie
geachtet wird. „Wir sind jetzt bei einem Bioanteil von 40 Prozent“, hebt
Schulz-Greve hervor. Im Schulgesetz sind lediglich 15 Prozent
vorgeschrieben.
Damit erreicht Berlin die höchste Bioquote bundesweit. Ein Umschwung, der
erst in den letzten Jahren zustande gekommen ist und in Berlin von
engagierten Eltern angestoßen wurde. Die Brücke zur Ernährungsbildung
stellen in der neuen Berliner Schulverpflegung eigene Schülerfirmen dar.
„Sie produzieren zum Beispiel Smoothies, die in der Pause angeboten werden,
was für die Caterer zu aufwendig wäre“, erklärt die Essensvernetzerin.
Gefördert werden die Schülerfirmen auch durch Sponsoren, etwa
Krankenkassen.
Für Simone Gladasch, Beraterin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
(DGE), ist klar erkennbar, „dass bei den Jugendlichen zwischen 18 und 25
Jahren das Kochen wieder salonfähig wird“. Die äußert kreativen jungen
Köche legten ein neues Augenmerk auf die Zubereitung der Gerichte und die
Herkunft der Lebensmittel. „Diese Entwicklung ist sehr zu begrüßen und muss
von der Schule mit Bildungsangeboten untersetzt werden“, sagt Gladasch.
„Der Trend sei eindeutig, stellt sie fest: Vor allem das vegane Kochen,
welches in den Städten boomt, habe als eine neue Jugendbewegung in der
Küche Einzug gehalten.
30 Jan 2015
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Ernährung
Schule
Kultusministerium
Veganismus
Kindererziehung
Grüne
Berlin
Verpackungen
Kinder
Schule
Ernährung
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