# taz.de -- Urteil zu US-Whistleblower Barrett Brown: Copy. Paste. Knast. | |
> Der Journalist Barrett Brown sollte für das Kopieren eines Links | |
> Jahrzehnte ins Gefängnis. Kann Verlinkung eine Straftat sein? | |
Bild: Brown im Kreuzverhör: Ausschnitt eines Posters des Anonymous-Solidaritä… | |
Irgendwann ging es in dem Gerichtssaal im Earle Cabell Federal Building in | |
Dallas, Texas, dann doch wieder um den Link. An diesem Tag Ende Januar | |
sollte das Urteil gegen Barrett Brown fallen, den Satiriker, | |
Investigativjournalisten und Anonymous-Aktivisten. | |
105 Jahre für einen Link. So hatte die etwas vereinfachte Schlagzeile zum | |
Fall Brown einige Monate lang geheißen. Ihm wurde vorgeworfen, diesen Link | |
von einer Chat-Gruppe in eine andere kopiert zu haben. Der Link führte zu | |
einer Datei, die Hacker bei einem Angriff erbeutet hatten. Daran war Brown | |
nicht selbst beteiligt. Einiges deutet gar darauf hin, dass er überhaupt | |
nicht wusste, was genau der Link beinhaltete, nämlich Daten von den Servern | |
des privaten Nachrichtendienstes Stratfor. | |
Copy. Paste. Klick. Klick. | |
Wie man das so macht, wenn man mit anderen an einer Recherche arbeitet. | |
Brown interessierte sich vor allem für die E-Mails, die die Hacker erbeutet | |
hatten. Mails, die viel über das Netzwerk privater Geheimdienste in den USA | |
erzählten. Der Link, den er postete, enthielt allerdings Kundendaten. | |
Kreditkarteninformationen. Weshalb die Staatsanwaltschaft Brown unter | |
anderem versuchten Betrug zur Last legte. | |
Jahrzehntelange Haft für das Teilen eines Links? Konnte das sein? | |
## Auch haftbar für die Herkunft des Links | |
Jeder, der soziale Netzwerke nutzt, verlinkt doch ständig. Wenn jeder, der | |
einen Link veröffentlicht, nicht nur für die Inhalte dahinter, sondern | |
sogar für ihre Herkunft haftbar gemacht werden könnte, könnten wir digital | |
nicht mehr kommunizieren, wie wir es gerade tun. Investigative | |
Berichterstattung, Arbeit mit Daten aus Hacks und Leaks wie die | |
Snowden-Enthüllungen, wären im Grunde unmöglich. | |
Im Frühjahr 2014 verdeutlichten Browns neue Anwälte in Anträgen, was eine | |
derartige Rechtsauffassung für die Architektur des Internets bedeuten | |
würde. Die Staatsanwaltschaft ließ sämtliche Anklagepunkte zum Link fallen. | |
Der Prozess gegen Brown wandte sich seinen Drohungen gegen einen | |
FBI-Agenten zu. Der Behinderung einer Hausdurchsuchung – bei der er seine | |
Quellen im Nahen Osten habe schützen wollen, so Brown. In beiden Punkten | |
befand ihn das Gericht für schuldig. Und verurteilte ihn außerdem wegen | |
Beihilfe nach dem Anonymous-Hack gegen Stratfor: Brown habe angeblich mit | |
dem Unternehmen Kontakt aufgenommen, sich als Vermittler von Anonymous | |
angeboten und die Identität des Hackers verschleiert. | |
Kurz vor der Verkündung des Strafmaßes brachte Bundesanwältin Candina Heath | |
wieder das alte Argument: Brown habe durch das Teilen des Links illegal mit | |
Kreditkarten gehandelt. Was den Richter so überzeugte, dass Brown zwar | |
nicht deswegen verurteilt wurde, das Strafmaß aber nach oben ging. Am 22. | |
Januar wurde Brown zu 63 Monaten Gefängnis plus 890.000 Dollar | |
Schadensersatz verurteilt. | |
Die Bundesanwältin Heath berief sich, so berichtet es das Dallas Magazine, | |
auf einen Präzedenzfall mit kinderpornografischen Bildern, bei dem jemand | |
solche Aufnahmen verteilte. Der Fall liege etwas anders, hielt Browns | |
Anwältin Marlo Cadeddu dagegen. Ihr Mandat habe höchstens „Da drüben sind | |
Pornos“ gerufen – indem er den Link kopierte –, das Material aber nicht | |
selbst weitergegeben. | |
Daraufhin versuchte Candina Heath es noch einmal anders: Brown habe sich | |
verhalten wie Drogendealer, die ihren Stoff ja auch von einem Ort an einen | |
anderen verschieben. Er habe aber doch gar nichts verschoben, entgegnete | |
seine Anwältin, lediglich auf etwas hingewiesen. Er habe, beharrte die | |
Anklägerin, gewissermaßen den Schlüssel zu dem Drogendepot übergeben. An | |
der Stelle muss Browns Anwältin den Schilderungen des Dallas Magazines | |
zufolge gerufen haben, dass ein Drogendepot doch kein öffentlicher Ort sei | |
– wie Pastebin, die öffentliche Seite, auf die Browns Link verwies. | |
Vorher jedoch hatte die Anklägerin, die in diesem Fall die US-Regierung | |
vertrat, einen noch viel interessanteren Satz gesagt: Brown habe sich den | |
„Besitz der Zugänglichkeit verschafft“. Strafbar erscheint der | |
Obama-Regierung damit offenbar schon die Möglichkeit, dass man etwas | |
ansehen oder verwenden könnte. Weil aber klar zu sein schien, dass sie sich | |
damit in diesem Prozess nicht durchsetzen würde, verzichtete sie auf den | |
Anklagepunkt. Um ihn dann am Tag des Urteils wieder hervorzuholen. „Die | |
Regierung kann Anklagepunkte fallen lassen, wenn sie möchte, aber wenn das | |
Gericht denkt, dass der Angeklagte es wahrscheinlich doch getan hat, kann | |
er immer noch aufgrund dieser Anklagepunkte verurteilt werden“, erklärte | |
Browns Anwältin. Für juristische Laien möge das absurd wirken. | |
## Brown warnte vor Präzedenzfall | |
Jetzt versuchen Aktivisten, Juristen und Journalisten abzuschätzen, welche | |
Folgen das Urteil haben könnte. Brown warnte vor einem „gefährlichen | |
Präzedenzfall“. Seine Anwältin kritisierte nach dem Urteil: „Für das Pos… | |
eines Links verantwortlich gemacht zu werden, auch wenn man nicht einmal | |
die Möglichkeit hatte, nachzusehen, was sich dahinter verbirgt – das wird | |
eine abschreckende Wirkung auf journalistische Arbeit haben und auch | |
Probleme bei Wissenschaftlern nach sich ziehen.“ | |
Die Aktivistin und Tech-Reporterin Quinn Norton zog eine radikale | |
persönliche Konsequenz: Sie kündigte in einem Artikel auf [1][medium.com] | |
an, ihre Recherchen zu Sicherheitslecks einzustellen. Norton hatte immer | |
wieder über Hacker geschrieben, etwa für das Magazin Wired. | |
„Ich kann mir jetzt die Daten anderer Journalisten nicht mehr anschauen, | |
ich kann sie nicht an Sicherheitsexperten weitergeben, ohne das Gefühl zu | |
haben, dass ich sowohl andere Journalisten, Sicherheitsexperten als auch | |
mich selbst gefährde.“ Sie wisse, dass viele ihrer Hacker-Kontakte das für | |
feige halten könnten. „Aber ich habe Familie, ich habe ein Kind, und ich | |
kann von meiner Familie nicht verlangen, dass sie mir auf dieses düstere | |
rechtliche Terrain folgt.“ | |
Journalisten und Whistleblower wie Glenn Greenwald oder Thomas Drake lesen | |
das Urteil gegen Brown als Machtdemonstration. Als Versuch, alle | |
abzuschrecken, die zu Geheimdiensten recherchieren. | |
„Es herrscht ein Klima der Angst seit diesem Urteil“, sagt auch Hanni | |
Fakhoury von der Electronic Frontier Foundation, die sich für Bürgerrechte | |
in der digitalen Welt einsetzt. Ihn stören vor allem die jüngsten | |
Bemühungen von Barack Obamas Regierung, den Computer Fraud and Abuse Act zu | |
reformieren. Damit würden die ohnehin schon „drakonischen und | |
überflüssigen“ Strafen noch einmal erhöht. Ginge es nach dem Weißen Haus, | |
würde das Weitergeben von Passwörtern etwa künftig nicht mehr nur dann | |
bestraft, wenn dahinter eine Betrugsabsicht steht. Die Betrugsabsicht will | |
Obama streichen lassen. | |
Das Gesetz war schon gegen den Aktivisten Aaron Swartz eingesetzt worden. | |
Der nahm sich das Leben. Ihm wurde vorgeworfen, Artikel aus einem | |
Zeitschriftenarchiv illegal heruntergeladen zu haben. | |
Orin Kerr, Professor an der George Washington University und Spezialist für | |
Computerstraftaten, dämpfte in einem Text in der Washington Post die | |
Aufregung der digitalen Bürgerrechtler: Einen Krieg gegen Hacker oder | |
Journalisten erkennt er nicht. Juristisch relevant sei nicht, ob Browns | |
Verhalten auf Handel mit den Informationen hinter dem Link hinauslief – | |
sondern ob der Hack, mit dem Brown zu tun hatte, einen Handel beinhaltete, | |
von dem er wusste oder hätte wissen sollen. „Der Kern ist nicht, was Brown | |
getan hat, sondern was Brown darüber wusste oder hätte wissen sollen, was | |
andere taten.“ | |
## Welche Folgen hat das Urteil für Deutschland? | |
Wäre es nach dieser Logik möglich, Publikationen wie die Washington Post, | |
den Guardian oder den Spiegel dafür zu belangen, Teile der Snowden-Leaks zu | |
veröffentlichen? Der Berliner Richter und Internetspezialist Ulf Buermeyer | |
vergleicht den Fall Brown mit dem deutschen Cicero-Fall: Wegen der | |
Veröffentlichung von Material, das wohl vom BKA geleakt worden war, wurde | |
ein Journalist verklagt. Das Verfassungsgericht entschied, die reine | |
journalistische Verarbeitung von Material, das durch eine Straftat erlangt | |
worden ist, soll nicht mehr strafbar sein. Doch auch das habe Grenzen, | |
sagte Buermeyer im Deutschlandradio Kultur: Wer bei einem Amtsträger einen | |
Leak bestelle, sei von dieser Ausnahme nicht geschützt. | |
Der Kölner Internetanwalt Christian Solmecke verweist auf eine Entscheidung | |
des Bundesgerichtshofs, wonach ein Onlinemedium in Deutschland auch auf | |
rechtswidrige Inhalte verlinken darf, solange es dem Informationsinteresse | |
des Lesers diene und sich der Berichterstatter den Inhalt nicht zu eigen | |
mache. Die Verlinkung als Beleg sei erlaubt. „Sollte es in den USA so sein, | |
dass Journalisten solche Verlinkungen nicht mehr vornehmen dürften“, stellt | |
Solmecke fest, „ist nicht auszuschließen, dass deutsche Journalisten, die | |
auf rechtswidrige US-amerikanische Quellen verweisen, auch dementsprechend | |
belangt werden könnten.“ | |
24 Feb 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://medium.com/message/we-should-all-step-back-from-security-journalism-… | |
## AUTOREN | |
Johannes Gernert | |
Meike Laaff | |
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