# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Die Freiheit, im Gefängnis zu sitzen | |
> Der US-Journalist Barrett Brown muss lange hinter Gitter und Politiker in | |
> Europa und den USA kämpfen gegen die Meinungsfreiheit. Ein | |
> Wochenrückblick. | |
Bild: 63 Monate Haft und 890.000 Dollar kostet Barrett Brown seine Verquickung … | |
Wer nicht alles Charlie war in den vergangenen zwei Wochen, am Ende konnte | |
man es kaum noch hören. Und während das Eintreten für Pressefreiheit | |
drohte, vericebucketchallenged zu werden, hätte sich am Donnerstag eine | |
Gelegenheit ergeben, endlich einmal zu beweisen, wie ernst man es damit | |
meint. | |
Am Donnerstag ist Barrett Brown verurteilt worden. 63 Monate Haft und | |
890.000 Dollar kostet den Journalisten aus Texas seine Verquickung mit dem | |
Hackerkonglomerat Anonymous und dessen Hack der US-Sicherheitsfirma | |
Stratfor im Jahr 2011. | |
Die gute Nachricht daran ist: Ursprünglich wollte die Staatsanwaltschaft | |
Brown für über 100 Jahre ins Gefängnis stecken – nicht, weil er selbst an | |
dem eigentlichen Hack des Sicherheitskonzerns beteiligt gewesen ist, | |
sondern weil er einen Link mit Informationen dazu verbreitete. Die | |
schlechte Nachricht, so lesen es vor allem Netzaktivisten, ist: Das Urteil | |
ist einmal mehr ein Statement zum Umgang mit Whistleblowern – und | |
Journalisten, die mit dem Material dieser Whistleblower arbeiten. Und die | |
lautet: Wer petzt, wird bestraft. | |
So einfach ist der Fall Barrett Brown natürlich nicht: Drogen spielen eine | |
Rolle, wirre Videos mit Drohungen gegen das FBI und das lose Mundwerk eines | |
Journalisten, der mal investigativ, mal satirisch arbeitet. All das mag man | |
dafür heranziehen, dass ein paar sehr unbequeme französische Satiriker sich | |
eben doch besser als Märtyrer für Pressefreiheit eignen als ein unbequemer | |
US-Journalist. | |
## Furcht vor Repressionen | |
Und doch ist der Fall Barrett Brown ein weiterer, in dem Verbrechen gegen | |
Vertraulichkeit und Informationsbehütung im Digitalen zu Kapitaldelikten | |
hochgejazzt werden, wegen denen zumindest zeitweilig Gefängnisstrafen | |
drohen, die weit über denen für einen Axtmord liegen. So geschehen beim | |
Hacker Aaron Swartz, dem wegen Veröffentlichung von massenhaft | |
wissenschaftlichen Artikeln mehrere Dekaden Gefängnis drohten. So geschehen | |
bei der weggesperrten Wikileaks-Informantin Chelsea Manning. Der | |
Investigativjournalist James Risen musste lange fürchten, mit Haft dafür zu | |
bezahlen, seine Quellen nicht offenlegen zu wollen. Viele Journalisten, die | |
mit den Snowden-Leaks arbeiten, ziehen vor, das außerhalb der USA zu tun. | |
Aus Furcht vor Repressionen. | |
Charlie wollten alle sein, Brown fast keiner. So einfach und klar | |
einzuordnen in Gut und Böse muss ein Fall liegen, um Massensolidarität zu | |
bekommen. Es ergibt wenig Sinn, abzuwägen, ob es mutiger ist, als | |
Journalist über eine Religion zu lachen oder mit brisanten Informationen | |
über Staaten, Dienste und Wirtschaft zu hantieren. Zur Presse- und | |
Meinungsfreiheit in offenen, demokratischen Gesellschaften gehört aber | |
beides. | |
Ebenfalls dazu gehört natürlich, sich in Freiräumen bewegen zu dürfen. | |
Unbeobachtet kommunizieren zu dürfen. | |
Und doch werden wir in diesen Wochen Zeuge eines weltweiten | |
Kryptografie-Dominos: Erst war es der britische Premier David Cameron, der | |
die Möglichkeit, digitale Kommunikation verschlüsseln zu können, faktisch | |
abschaffen wollte. Dann US-Präsident Barack Obama. Mitte der Woche kamen | |
auch noch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière und der | |
EU-Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove hinzu. | |
## Neu: Kryptografie wird verteufelt | |
Absurd daran: Seit anderthalb Jahren wird tröpfchenweise bekannt, in welch | |
gigantischem Ausmaß die NSA und andere Geheimdienste praktisch jeden | |
Internetnutzer bereits ausspähen. Weil Deutschland sich nicht in der Lage | |
sah, eine politische Reaktion darauf zu finden, dass ihre Bürger von | |
ausländischen Geheimdiensten derart nackig gemacht wurden, verlegte sich | |
selbst der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich darauf, | |
Verschlüsselung von privater Kommunikation als Ausweg zu suchen. Bedeutet: | |
Weil der Staat keine politischen Antworten zum Schutz seiner Bürger vor | |
massenhafter Ausspähung fand, empfahl er digitale Selbstverteidigung. Und | |
kündigte umfassende Förderungen an. | |
Anderthalb Jahre später ist immer noch nichts passiert. Außer dass | |
neuerdings eben auch jene Kryptografie verteufelt wird. Schon blasen | |
Netzaktivisten zur Neuauflage der sogenannten Cryptowars. In dieser | |
Auseinandersetzung ging es Anfang der 1990er Jahre bereits darum, ob | |
Verschlüsselungstechnologien legal sind, ob sie als Waffen angesehen werden | |
könnten, die unter Exportverbot gestellt werden können. Eine | |
Auseinandersetzung, die Netzaktivisten und -unternehmer damals für sich | |
entscheiden konnten. Der Chaos Computer Club jedenfalls rüstet bereits | |
verbal auf und fordert ein striktes Verbot jeglicher unverschlüsselter | |
Kommunikation. Klingt absurd? Nicht absurder, als das genaue Gegenteil zu | |
wollen. | |
24 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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