# taz.de -- Einmaleins der Flüchtlinge: Das Spiel mit den Zahlen | |
> Nach Prognosen der Bundesländer sollen dieses Jahr eine halbe Million | |
> Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Das klingt viel, aber es geht vor | |
> allem um Geld. | |
Bild: Fünf vor zwölf oder eine halbe Million Flüchtlinge: Mit solchen Zahlen… | |
BERLIN taz | Wer glaubt, es gebe keine magischen Zahlen, irrt: In der | |
Asyldebatte sind es die Hunderttausenderschritte, denen politisch | |
übernatürliche Kräfte zugeschrieben werden. | |
100.000 war lange die Marke – mit ihr beschwor der einstige Innenminister | |
Friedrich in routiniertem Alarmismus gute zwei Jahre lang die Gefahr vom | |
Balkan. Das Ergebnis: Länder wie Bosnien gelten heute per Gesetz als | |
sicher, obwohl sie es zum Beispiel für Roma nicht sind. | |
Im letzten Jahr machte Innenminister de Maizière weiter mit der | |
200.000er-Marke. Er benutzte sie vor allem dazu, seine Pläne, Flüchtlinge | |
aus anderen EU-Staaten einsperren zu können, als alternativlos | |
hinzustellen. Das Gesetz wird kommen, die 200.000er-Marke wurde nicht | |
erreicht, auch wenn das Innenministerium anderes behauptet: Tatsächlich | |
waren es 2014 nur etwa 170.000 Flüchtlinge, die fehlenden 30.000 wurden | |
einfach noch einmal gezählt, weil sie einen Asylfolgeantrag stellten. | |
Jetzt spielen die Länder das Spiel der großen Zahl. Und sich kleckern | |
nicht, sie klotzen. Nicht 300.000 Flüchtlinge werden in diesem Jahr kommen, | |
argwöhnen sie, nein, es werden eine halbe Million sein. Das klingt monströs | |
und soll das Gleiche bezwecken wie die Hunderttausendergipfel zuvor: Druck | |
machen. Den Ländern geht es ums Geld. Und auch wenn die Zahlen, mit denen | |
sie dafür hantieren, nicht unbedingt seriös sind: Ihr Anliegen ist es. | |
Denn so viele Aktivitäten der Bund 2014 auch entfaltet hat, um die | |
Flüchtlingszahlen zu drücken, so wenig hat er für eine auskömmliche | |
Versorgung derer getan, die trotzdem kamen. Zwei Flüchtlingsgipfel waren | |
angesetzt, um die Finanzierungsmisere zu lösen. Zuerst bot der Bund nichts | |
– und dann nur einen Kredit, der zudem noch gar nicht vollständig | |
ausgezahlt werden soll. Doch selbst wenn das Geld flösse, das strukturelle | |
Problem bleibt: Der finanziell derzeit bestens dastehende Bund überlässt | |
die Finanzierung der Flüchtlinge den meist klammen Kommunen, die auf | |
Finanzspritzen der Länder angewiesen sind. Die Folge: Zu wenig Unterkünfte | |
und prekäre Zustände in denen, die es gibt. | |
## Ein Rückstau von 190.000 Asylanträgen | |
Dass Länder den Prognosen des Bundes nicht trauen mögen, kann ihnen niemand | |
verdenken. Die Große Koalition hat bei Amtsantritt versprochen, die | |
Bearbeitungsdauer für Asylanträge auf drei Monate zu drücken. Das wäre eine | |
echte Erleichterung gewesen, denn anerkannte Flüchtlinge fielen nicht mehr | |
den Kommunen zur Last, sondern könnten in den Arbeitsmarkt integriert | |
werden – die Voraussetzungen dafür sind günstig. Trotz der hohen | |
Flüchtlingszahlen. Doch selbst viele SyrerInnen warten heute acht Monate | |
auf ihre Anhörung. Und sie werden weiter warten müssen: Beim Bundesamt für | |
Migration und Flüchtlinge liegt ein Rückstau von 190.000 Asylanträgen. | |
Am Donnerstag wird die Sache bei der Ministerpräsidentenkonferenz | |
besprochen. Seit deren letztem Treffen habe sich die Lage „in nicht | |
vorhersehbarer Weise zugespitzt“, sagte deren Vorsitzender, Brandenburgs | |
Regierungschef Dietmar Woidke. Die Kommunen stoßen „an die Grenzen des | |
finanziell Leistbaren“, sagte seine rheinland-pfälzische Amtskollegin Malu | |
Dreyer. Berlin soll also zahlen. | |
Solange es politisch opportun schien, hat das Innenministerium die Zahlen | |
zu weit oben angesiedelt. Jetzt tritt das Bundesamt auf die Bremse und | |
lehnt eine Korrektur seiner Prognose ab. Eine Anpassung für das laufende | |
Jahr sei „verfrüht“. Erst im weiteren Verlauf des Jahres sei eine Korrektur | |
„durchaus möglich“. Das Zahlenspiel wird weitergehen. | |
23 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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