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# taz.de -- Vorzeigeprojekt in Wien: Hoffnungszimmer für Flüchtlinge
> Im Wiener Prater steht das erste Hotel Europas, das gemeinsam mit
> Asylsuchenden betrieben wird. Es setzt ein Zeichen gegen Diskriminierung.
Bild: Die Mitarbeiter von Magdas Hotel kommen aus 14 verschiedenen Nationen.
Dinis steht an der Rezeption. Er beantwortet geduldig die Fragen deutscher
und französischer Hotelgäste und kümmert sich um Reservierungen. Dabei
wirkt er wie ein Profi, obwohl er eigentlich erst seit einer Woche als
Rezeptionist arbeitet. Doch sein Weg hierher, hinter den Empfangstresen,
war lang. Sehr lang. Zehn Jahre musste der 28 Jahre alte Flüchtling aus
Westafrika auf eine Arbeitserlaubnis warten. Vor einem Jahr bekam er sie.
Nur wenige Flüchtlinge dürfen in Österreich arbeiten, und noch weniger
finden einen Job. Dinis gehört zu diesen Wenigen. Er arbeitet in Magdas
Hotel. Das Magdas ist das erste Hotel Europas, das gemeinsam mit
Flüchtlingen betrieben wird. Das Social-Business-Projekt mit Sitz in Wien
soll Flüchtlingen, deren Zugang zum Arbeitsmarkt beschränkt ist, die Chance
geben, eigenes Geld zu verdienen.
Zwanzig Flüchtlinge aus 16 Nationen arbeiten hier als Kellner,
Nachtwächter, Reinigungskräfte und an der Rezeption. Alle sind anerkannte
Flüchtlinge oder „subsidiär Schutzberechtigte“ – also Personen, deren
Asylantrag zwar abgelehnt wurde, die in Österreich aber aber dennoch eine
einjährige Aufenthaltsgenehmigung bekommen haben.
„Wir wollten immer schon ein Projekt machen, um Flüchtlinge in den
Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagt Projektleiter Clemens Foschi.
„Irgendwann haben wir gemerkt, dass ein Hotel das perfekte Setting dafür
bietet – hier können sie ihre kulturellen und sprachlichen Hintergründe
perfekt zum Einsatz bringen.“
## Vom grauen Seniorenheim zum Retro-Hotel
So wurde aus einem grauen Seniorenheim ein modernes Hotel im Retro-Design
mit Blick auf das Riesenrad des Praters. Finanziert wurde die Renovierung
mithilfe eines Kredits der Caritas, unter deren Schirm das Hotel steht, und
einer Crowdfunding-Aktion, die fast 60.000 Euro einbrachte. Mitte Februar
wurde das Haus offiziell eröffnet. Zwei Wochen später ist das Magdas
erstmals ausgebucht.
Das Hotel zieht aber nicht nur Touristen an. Auch die Nachbarschaft ist
neugierig, will Bücher oder Möbel spenden, nur einen Blick in das Hotel
werfen oder Kaffee trinken und sich mit den Mitarbeitern unterhalten,
erzählt Hotelmanager Sebastian de Vos.
Die Flüchtlinge, die im Magdas arbeiten, haben viel zu erzählen. Die
meisten von ihnen wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. So wie Maryam
aus Marokko. Sie musste fliehen, weil sie lesbisch ist. In Marokko hätte
sie dafür ins Gefängnis gehen müssen. Oder Dinis, der wie alle Geflohenen
seinen Nachnamen lieber nicht nennen möchte.
Seine Eltern arbeiteten in Guinea-Bissau für den Präsidenten. Dinis
erzählt, dass er untertauchen musste, weil er Informationen über die
korrupten Tätigkeiten des Präsidenten aus dem Palast entwendet und an die
Presse weitergeleitet habe. Auf einem kleinen Boot sei er nach Italien
gekommen. Da war er 17 Jahre alt. „Eigentlich wollte ich nach Schweden“,
sagt er. Wie so oft endete die Flucht aber auf halber Strecke: Dinis
landete in Wien.
Es sind nicht nur Geschichten von der gefährlichen Flucht, von Gewalt und
Traumatisierung, die die Mitarbeiter des Magdas Hotels teilen, sondern vor
allem auch die Erfahrungen des Wartens, des unfreiwilligen Nichtstuns, die
sie im Ankunftsland gemacht haben.
## Asylsuchende brauchen Geduld
„Als ich die Geschichten der Bewerber hörte, ist mir oft übel geworden“,
sagt de Vos. „Ich kann nicht verstehen, wie man Menschen so viel Zeit
rauben kann.“ Wer als Asylsuchender in Österreich arbeiten möchte, braucht
viel Geduld.
Erst wenn das Asylverfahren positiv abgeschlossen und man als Flüchtling
anerkannt wird oder subsidiären Schutz bekommt, erhält man vollen Zugang
zum Arbeitsmarkt. Und das kann, wie Dinis Fall zeigt, viele Jahre dauern.
Ohne Arbeitsbewilligung dürfen Asylsuchende in Österreich nur gemeinnützige
und ehrenamtliche Arbeiten ausüben.
Von dem Anerkennungsbeitrag, den sie dafür erhalten, kann aber niemand
leben. In Deutschland ist die Lage für Asylsuchende ähnlich prekär: Bisher
war es ihnen in den ersten neun Monaten gänzlich verboten zu arbeiten. Zwar
wurde diese Frist vor Kurzem auf drei Monate reduziert, doch auch mit
Arbeitserlaubnis haben Asylsuchende schlechte Chancen auf einen Job. Vor
allem, weil EU-Bürger vom Arbeitgeber bevorzugt eingestellt werden müssen.
Und für die meisten Unternehmen ist es zu riskant, Flüchtlinge zu
beschäftigen, da ihre Zukunft meist ungewiss ist. Das bekam auch Dinis zu
spüren: „Als ich meine Arbeitserlaubnis endlich bekam, habe ich über 500
Bewerbungen rausgeschickt und war bei unzähligen Vorstellungsgesprächen.“
Er bekam nur Absagen.
„Das hat mich sehr frustriert“, sagt er. Besonders schwer haben es
subsidiär Schutzberechtigte – bei ihnen liegt die Arbeitslosenquote in
Österreich bei 60 Prozent. Sie haben zwar Aufenthaltserlaubnis und
Arbeitsberechtigung für ein Jahr, doch weiß niemand, ob sie danach bleiben
dürfen. „Niemand will jemanden einstellen, der nach einem Jahr vielleicht
nicht mehr im Lande ist“, sagt Hotelleiter de Vos.
## Das Warten auf die Arbeitserlaubnis
Dinis hatte in den letzten zehn Jahren nur zweimal Kontakt mit den
österreichischen Behörden. Jahr für Jahr wartete er auf seine
Arbeitserlaubnis. Als er zum Bundesasylamt ging und um Arbeit bettelte, sei
er ausgelacht worden, erzählt er. Hier sei man nicht dafür zuständig, sagte
man ihm.
Die meisten Flüchtlinge müssen sich mit Spenden und Geld von Bekannten über
Wasser halten. Und sie haben mit Vorurteilen zu kämpfen. Oft werden sie als
Last für den Steuerzahler wahrgenommen, dabei wollen die meisten von ihnen
arbeiten. So auch Dinis: „Ich wollte nie das Geld vom Staat oder den
Steuerzahlern bekommen. Das macht keinen Sinn. Ich wollte immer mein
eigenes Geld verdienen.“
Im Magdas Hotel ist das möglich. Dinis arbeitet dort Vollzeit und wird, wie
alle Mitarbeiter, nach Tarif bezahlt. Ihnen steht ein Jobcoach zur Seite,
der Auskunft bei arbeitsrechtlichen Fragen gibt oder bei der Wohnungssuche
hilft. Schließlich ist es für die meisten Mitarbeiter der erste Job seit
vielen Jahren. Viele müssen sich an die tägliche Arbeit erst wieder
gewöhnen.
## Fähigkeiten nutzen
Im Magdas Hotel können Flüchtlinge aber nicht nur ihr eigenes Geld
verdienen, sondern auch ihre Fähigkeiten einsetzen. Dinis etwa spricht
sieben Sprachen. Viele seiner KollegInnen bringen ähnliche Kenntnisse mit.
Insgesamt werden im Magdas 24 Sprachen gesprochen.
Das haben wohl die wenigsten Hotels in Wien zu bieten. Projektleiter Foschi
möchte gezielt auf diese übersehenen Talente der Flüchtlinge aufmerksam
machen: „Es geht nicht darum, dass die Leute nur aus Mitleid im Hotel
bleiben, um ihr Gewissen zu beruhigen, sondern weil wir ein spezielleres
Angebot als andere Hotels haben, etwa was die gute Lage im Prater oder die
kulturelle Vielfalt des Personals betrifft.“
Auf Dauer soll das Magdas ganz ohne Förderungen überleben. Für Herbst sind
die ersten Ausbildungsplätze geplant, für jugendliche Asylbewerber. Ob das
Magdas auf Dauer bestehen wird, ist noch ungewiss, obwohl die Idee viele
überzeugt und schon Nachahmer in Deutschland und Holland findet.
Vorerst sollen die Türen des Hotels fünf Jahre lang geöffnet bleiben. Dinis
möchte in dieser Zeit hier bleiben, an der Rezeption arbeiten. Wenn möglich
auch länger. Im Magdas hat er nicht nur Freunde mit ähnlichen Schicksalen
gefunden, hier konnte ihm auch ein Traum erfüllt werden: zu arbeiten.
6 Apr 2015
## AUTOREN
Simone Grössing
## TAGS
Refugees
Arbeit
Asyl
Wien
Integration
Nordafrika
Flüchtlinge
Dresden
Ausstellung
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