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# taz.de -- Medien in Spanien: Im Griff der Mächtigen
> Die spanische Regierung hat Angst vor Podemos. Deswegen werden
> Journalisten nun auf Linie gebracht, versetzt oder sogar entlassen.
Bild: Angsteinflößend: Tausende folgten dem Aufruf von Podemos zum „Marsch …
MADRID taz | Zwei Wochen dauerte es, bis der spanische TV-Moderator Jesús
Cintora auf dem Kurznachrichtendienst Twitter erste Worte fand. „Ihr wisst,
dass sie beschlossen haben, dass ich nicht weitermache. Es ist nicht
leicht, aber ich lass mich nicht unterkriegen“, lautete [1][die Nachricht
Cintoras an seine Fans], nachdem er pünktlich zur Osterwoche als Moderator
der allmorgendlichen Politiktalkshow im Privatsender Cuatro abgesetzt
worden war. Betreiber Mediaset begründete dies mit dem „klaren Ziel, die
Zuschauer mit Pluralismus zu informieren, mit Moderatoren, die die
Informationen objektiv darstellen“.
Die Entscheidung kam überraschend und war doch die Chronik eines
angekündigten Todes. Cintora war vielen zu kritisch. Er überging keinen
noch so kleinen Fehltritt der regierenden konservativen Partido Popular
(PP) unter Ministerpräsident Mariano Rajoy. Seine Gäste debattierten über
die tiefe Krise des Zweiparteiensystems, das Spanien seit Ende der Diktatur
regiert. Korruption war ein wichtiges Thema. Berichte über die Opfer der
Sparpolitik durften nicht fehlen. Cintora ließ neue Stimmen aus der Mitte
der krisengeschüttelten Gesellschaft zu Wort kommen. Allen voran Vertreter
der neuen Protestpartei Podemos (Wir können). Dem Fernsehmoderator wurden
gute Beziehungen zu deren Gründer Pablo Iglesias nachgesagt.
Cintoras Linie hatte Erfolg. In seinen zwei Jahren bei „Las manañas de
Cuatro“ stieg die Zuschauerquote von gerade einmal sechs Prozent auf über
13 Prozent. Seine Nachrichtenshow war immer wieder das meistgesehene
Programm am Morgen.
Doch was dem Publikum gefällt, war nicht nach dem Geschmack der Mächtigen
im Lande. Es war ein offenes Geheimnis, dass immer wieder vor allem
Vertreter der regierenden PP beim Sender vorstellig wurden, um sich über
Themenwahl und Gäste Cintoras zu beschweren. Die Chefetage bei Mediaset gab
dem Druck nun nach. In zwei Monaten stehen Kommunal- und Regionalwahlen und
im Herbst Parlamentswahlen an. Die beiden großen Parteien – PP und die
sozialistische PSOE – rutschen seit Monaten bei den Umfragen ab. Spanien
steht – darauf deutet alles hin – vor dem Ende des Zweiparteiensystems.
Fernsehauftritte neuer Kräfte wie Podemos sind deshalb nicht länger
erwünscht.
Das Druckmittel der Regierung: Es ist geplant, zusätzliche Frequenzen für
das Digitalfernsehen zu vergeben. Alle in der Branche wissen, nur wer sich
gut benimmt, wird etwas vom Kuchen abbekommen.
## Das mediale Ende von Podemos
Seit etwas mehr als drei Jahren ist Ministerpräsident Rajoy im Amt. Noch
nie hat eine Regierung in Spanien so wenig vor der Presse Rede und Antwort
gestanden wie das derzeitige Austeritätskabinett. Und noch nie hatte eine
Regierung die Medien so im Griff wie die Konservativen. Im öffentlichen
Radio und Fernsehen RTVE wurden alle kritischen Geister abgesetzt.
Podemos wurde ausdrücklich von den neuen Chefs zum unerwünschten Thema
erklärt. Seit die neue Kraft bei den Europawahlen im vergangenen Mai
überraschend acht Prozent erzielte, verging mehr als ein halbes Jahr, bevor
Gründer Iglesias interviewt wurde – mit dem Ziel, ihn völlig zu
diskreditieren. Unvergessen bleibt die Frage, ob er mit seiner Partei die
Freilassung zweier ETA-Terroristen ordentlich gefeiert habe.
„Der Redaktionsrat der Nachrichtenabteilung beim staatlichen Funk und
Fernsehen beschwert sich immer wieder über die fehlende Unabhängigkeit der
redaktionellen Inhalte“, erklärt Miguel Álvarez, Professor an der Fakultät
für Journalismus der Universität im zentralspanischen Cuenca.
Die Liste der Themen, bei denen RTVE der Informationspflicht nicht genüge
tut, ist lang: Podemos, die Sozialproteste oder die Mobilisierungen für die
Unabhängigkeit im nordostspanischen Katalonien. „Das gilt auch für die
regionalen, öffentlichen Fernsehsender“, weiß Álvarez, der auch im
Parteivorstand von Podemos in der Region Madrid für das „Recht auf
Information“ zuständig ist.
## Zuschauer bemerken die Manipulation
Telemadrid ist eines der traurigen Beispiele für die Medienpolitik der PP.
Zuerst wurde eine Schattenredaktion eingerichtet, die streng über die
Inhalte wachte. Als die Zuschauer ausblieben, weil sie es leid waren, statt
eines öffentlichen Fernsehens einen Parteisender vorgesetzt zu bekommen,
geriet Telemadrid in die roten Zahlen. Ein Großteil der Belegschaft wurde
entlassen. Die Programme werden seither von PP-nahen Unternehmen
produziert. In Valencia wurde das Regionalfernsehen gar ganz geschlossen.
„Sie treiben die Sender gezielt in den Ruin“, beschwert sich Professor
Álvarez.
RTVE – so befürchtet die Belegschaft – soll ähnlich gegen die Wand gefahr…
werden. „Die semitotalitäre Tendenz der PP gegenüber den öffentlichen
Medien ist ziemlich eindeutig. Doch der qualitative Sprung, der die
bedauernswerte Lage der Medienlandschaft in Spanien besiegelt, ist die
Unterwerfung der großen privaten Mediengruppen“, [2][//:schreibt der
Blogger Pere Rusiñol] auf der beliebten, unabhängigen
Online-Nachrichtenseite El Diario. Nirgends in Europa sind die privaten
Medien in den Händen so weniger wie in Spanien. Diese Wenigen sind
hochverschuldet.
Als in Folge der Krise die Werbeeinnahmen dramatisch zurückgingen, einigten
sich die Unternehmen mit den Banken. Statt Schuldentilgung akzeptierten die
Finanzinstitute Aktienpakete und wurden so Teilhaber an den
Medienkonzernen. Dies wirkte sich auf die redaktionelle Linie aus.
Bei der katalanischen Vanguardia, der Madrider El Mundo und selbst bei der
größten spanischen Tageszeitung El País wurden die Chefredakteure durch der
Regierung wohlgesonnene Journalisten ersetzt. El País ging noch einen
Schritt weiter. Der Journalist, der bisher über die PP schrieb, wurde als
Korrespondent nach Argentinien versetzt. „Auf Druck der Regierung“, heißt
es unter Kollegen.
Alle Blätter reden mittlerweile unisono vom Aufschwung, auch wenn die
Bürger nichts davon spüren. Alle schießen sich auf Podemos ein –
beschimpfen die neue Partei als populistisch, suchen verzweifelt nach
Skandalen, um die jungen Politiker in Misskredit zu bringen. Das bisherige
Parteiensystem soll gerettet werden, selbst zum Preis der eigenen
Glaubwürdigkeit.
## Boykottkampagne auf Twitter
Wie es mit Cintora weitergehen wird, weiß keiner. Mediaset plane ihn – so
heißt es im [3][Kommuniqué zu seiner Absetzung] – „für neue Projekte“ …
Seit Cintoras Entlassung ist eine Boykottkampagne auf Twitter gegen Cuatro
und Mediaset jeden Tag Trending Topic, also Hauptthema im sozialen
Netzwerk. Über 90.000 Zuschauer haben eine [4][Solidaritätserklärung mit
Cintora] auf der Petitionsplattform change.org unterzeichnet.
„Wenn selbst das rentabelste Fernsehen seine Söhne opfert, um die Götter zu
besänftigen, was können wir dann vom Rest erwarten?“, fragt Blogger Rusiñol
und gibt die Antwort gleich selbst: „Der Kopf Cintoras ist eine klare
Nachricht an die restliche Branche im Superwahljahr mit neuen politischen
Kräften, die nicht nur die Regierung, sondern das ganze System in Frage
stellen.“ Jetzt wüssten alle – bei den Führungskräften angefangen –, d…
die Politik Ernst mache.
11 Apr 2015
## LINKS
[1] http://twitter.com/JesusCintora/status/585375240601083904
[2] http://onlinetaz.hal.taz.de/http
[3] http://twitter.com/mediasetcom/status/581456715360706561
[4] http://www.change.org/p/mediasetcom-readmisi%C3%B3n-inmediata-de-jes%C3%BAs…
## AUTOREN
Reiner Wandler
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