Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Spanien im Wahljahr: Links? Rechts? Überholte Kategorien
> Keiner fragt, woher jemand kommt: Die linke Gruppierung Podemos hat in
> Spanien großen Zulauf und räumt in allen Umfragen ab. Ein Profil der
> Bewegung.
Bild: Auch der „Marsch der Veränderung“ im Januar in Madrid wurde per Crow…
MADRID taz | „2015 stehen wir vor der Herausforderung, die Wahlen zu
gewinnen und die Regierung zu stellen“, erklärt Pablo Iglesias
selbstsicher. Ein solcher Satz ist für einen Oppositionspolitiker nichts
Ungewöhnliches. Nicht so in diesem Fall. Es spricht ein 36-jähriger
Politikprofessor, dessen politische Formation Podemos („Wir können“) nicht
viel älter als ein Jahr ist.
Laut Umfragen liegt Podemos in der Gunst der Wähler ganz vorn: mal auf dem
ersten, mal auf dem zweiten Platz. Egal wo Iglesias auftritt, er füllt
Plätze und Säle. Seine Fernsehinterviews erzielen Zuschauerrekorde. Podemos
ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie Spanien noch nicht erlebt hat.
„Wir sind nicht nur die Konsequenz unseres eigenen politischen Erfolgs,
sondern sicherlich auch der gescheiterten Politik, mit der in Europa
regiert wird“, erklärte Iglesias. Der wortgewandte junge Mann stellte die
Idee zu Podemos Ende Januar 2014 in einem alternativen Theater in Madrid
vor. Über Nacht gewann die Partei 50.000 Unterstützer, bei den Europawahlen
im Mai 2014 erhielt sie 1,2 Millionen Stimmen und stellt nun fünf
Abgeordnete.
Anstatt dies zu feiern, trat Iglesias vor seine Anhänger und erklärte: „Wir
geben uns mit dem heutigen Erfolg nicht zufrieden. Es werden weiterhin
sechs Millionen Menschen arbeitslos sein, man wird weiterhin Familien
zwangsräumen und weiterhin privatisieren. Ab morgen werden wir dafür
arbeiten, dass dieses Land wieder eine anständige Regierung bekommt.“
Iglesias zeigte Entschlossenheit und damit das, worauf viele der Menschen,
die seit Jahren gegen die Austeritätspolitik auf die Straße gegangen sind,
gewartet haben.
Mittlerweile treffen sich über 1.000 Kreise – Basisversammlungen – überall
im Land. Selbst im Ausland organisieren sich viele Spanier. 350.000
Menschen haben sich online bei Podemos eingeschrieben.
## „Keiner fragt, woher du kommst“
Raquel Carrasco ist eine von ihnen. „Podemos ist Bewegung und eine mächtige
Maschinerie zugleich, um Wahlen zu gewinnen“, erklärt die 38-Jährige. Sie
hat einen Master in Kommunikation und arbeitet dennoch nur mit immer neuen
Zeitverträgen als Kundenberaterin bei einer Telefonhotline. Carrasco
schloss sich noch vor den Europawahlen einem der ersten Kreise in der
Madrider Altstadt an. Dieser tagte damals in einem kleinen Ladenlokal,
längst ist die Parteispitze in Büros unweit der Prunkstraße Gran Via
umgezogen.
Carrasco war immer in sozialen Bewegungen tätig, doch von Parteien wollte
sie nichts wissen, bis der doppelte Charakter von Podemos sie in den Bann
zog. Die Kreise haben nichts mit einer herkömmlichen Partei zu tun. Es sind
vielmehr offene Bürgerversammlungen, wo konkrete Probleme erörtert und
Aktionen geplant werden. „Keiner fragt, woher du kommst und wen du zuvor
gewählt hast“, sagt Carrasco.
„Irgendwann wurde mir klar, dass wir an die Macht müssen, um all das, was
privatisiert wurde – die öffentlichen Einrichtungen und den öffentlichen
Raum –zurückzugewinnen“, erklärt Carrasco, warum ausgerechnet sie, die
absolute Gegnerin von Parteien, sich in den Bürgerrat, den lokalen
Parteivorstand in Madrid, wählen ließ.
Egal ob interne Ämter, Programme oder Kandidaten für die 2015 anstehenden
Kommunal-, Regional und Parlamentswahlen, darüber entscheiden bei Podemos
online die Menschen, die sich eingeschrieben haben. Mitgliedsbeträge gibt
es keine. Von der kleinsten Veranstaltung bis hin zum „Marsch für
Veränderung“, der am 31. Januar 300.000 Menschen in Madrid versammelte,
alles wird per Crowdfunding finanziert.
## Soziale Medien geschickt genutzt
Keine andere Partei in Spanien versteht es so geschickt wie Podemos, die
sozialen Netzwerke zu nutzen. Noemí Pizarroso ist eine von zwanzig, die
rund um die Uhr die 955.000 Anhänger der zentralen Facebookseite und die
550.000 Follower bei Twitter betreuen. „Als ich in der Arbeitsgruppe
Netzwerke anfing, hatte ich keine Ahnung.“ Die 38-jährige
Psychologieprofessorin, die an der Fernuniversität arbeitet, schwärmt vom
„kollektiven Lernprozess“. Jetzt schiebt sie Samstag für Samstag
Spätschicht am Computer. Primetime, Zeit der politischen Talkshows.
Pizarroso kommentiert in Echtzeit die Auftritte von Podemos-Politikern.
„Ich gehöre zu denen, die glaubten, alles sei geregelt, Spanien ein
modernes, soziales Land. Bis die Krise begann und alles zusammenbrach“,
erzählt Pizarroso. Es waren die Talkshowauftritte von Pablo Iglesias, die
sie politisierten. Iglesias nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um die
sozialen Folgen der Sparpolitik ging. Er forderte, „Menschen statt Banken“
zu retten. „Solche Sätze haben für Risse im Einheitsdenken gesorgt“, teilt
Pizarroso die Erinnerungen vieler bei Podemos. Als sie erfuhr, dass
Iglesias plante, eine Partei zu gründen, „konnte ich gar nicht anders, als
zur Vorstellung zu gehen“. Seither ist sie aktiv.
## Die Anfänge mit 15M
Auch Carlos Fernández erinnert sich noch gut, wie alles anfing. „Mir
erzählte ein ehemaliger Student, der heute in der Podemos-Führung sitzt,
sie hätten da eine Sache in Planung, die das gesamte politische Spektrum
verändern würde.“ Der 55-jährige Philosophieprofessor von der Madrider
Universität Complutense glaubte zunächst, es handele sich um eines der
vielen linken Projekte, die immer wieder entstehen und verschwinden. „Als
ich dann sah, was tatsächlich geschah, war ich mehr als überrascht“,
erklärt Fernández, der sich der neuen Partei angeschlossen hat, aber nie
auf einen Führungsposten aus war. Als Philosoph beobachtet und analysiert
er die Bewegung und steht ihr mehr mit Rat als mit Tat zu Seite.
„Viele in der Führungsebene haben meine Vorlesungen besucht“, erklärt der
überzeugte Marxist stolz. Es ist die Generation der „Bewegung gegen
Bologna“, der Uniproteste gegen die europaweite Anpassung der Studienpläne.
Einige Aktivisten bildeten Anfang 2011 „Jugend ohne Zukunft“. Sie
protestierten gegen die Perspektivlosigkeit angesichts einer
Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent, prangerten an, dass immer mehr
junge Menschen ihre Zukunft im Ausland suchen müssen, wie einst die
Großeltern.
„Es war eine Bewegung, die ganz gezielt den breiten Konsens suchte“,
erklärt Fernández. „Sie verzichtete auf politische Symbole und wählte Gelb
für ihre Fahne, weil die Farbe politisch nicht vorbelastet ist.“ Jugend
ohne Zukunft ging schließlich in dem auf, was seit der Großdemonstration
der Empörten am 15. Mai 2011 Bewegung 15M genannt wird.
## Mehr Bürgerbeteiligung
Íñigo Errejón ist einer derjenigen, der über 15M zu Podemos gekommen ist.
„Wir stehen vor einer neuen gesellschaftlichen Mehrheit, die im
herkömmlichen Parteiensystem keinen Platz findet“, erklärt der 31-Jährige
Politikwissenschaftler, Mitbegründer von Podemos und im staatlichen
Bürgerrat – dem Parteivorstand – für Strategie und Kampagnen zuständig.
„Wir waren der Meinung, dass ein neues Werkzeug für Bürgerbeteiligung
notwendig ist“, erinnert er sich an die Anfänge vor einem Jahr.
Links? Rechts? Das sind für Errejón überholte Kategorien. Denn „ob
Mitte-links oder Mitte-rechts, die Politik ist die gleiche: Austerität,
Sozialkürzungen“. Podemos spricht von „unten“ und „oben“, von „den…
und von „der Kaste“, dem Klüngel aus Politik und Wirtschaft, die sich dank
der Spekulationsblase in der Bauindustrie bereicherten. „Reiner
Populismus“, lautet der Vorwurf der Podemos-Gegner.
Errejón weist dies von sich. „Das ist ein Schlagwort, das gegen all
diejenigen Verwendung findet, die eine Veränderung anstreben. Sie werfen
uns vor, dass wir ’einfache Lösungen für komplizierte Probleme anbieten‘.
Dabei ist es genau das, was die Parteien der Politikkaste gemacht haben.
Sie haben Aufschwung versprochen und gleichzeitig die Rechte der Bürger
beschnitten und per Verfassung die der Gläubiger gesichert.“
## Kniefall vor Brüssel
Errejón meint damit eine Verfassungsreform, die mitten in der Sommerpause
2011 von den beiden großen Parteien verabschiedet wurde. Seither haben
Schulden Vorrang vor Sozialausgaben. Viele Wähler – vor allem die der
Sozialisten – haben diesen Kniefall vor Brüssel und „la Merkel“ nie
verziehen.
Leicht wird das Wahljahr 2015 nicht, das wissen alle bei Podemos. Nach den
Europawahlen machten sich Presse und Politiker noch lustig über die neue
Partei, nannte sie „Freakies“ und „Eintagsfliege“. Doch seit sie in den
Umfragen so gut abschneidet, wird die Kampagne gegen Podemos aggressiver.
## Illegal finanziert
So wurde Errejón in der Presse vorgeworfen, er habe von einer Universität
für einen Forschungsauftrag Geld kassiert, ohne dafür etwas getan zu haben.
Dies stellte sich als falsch heraus. Selbst das Finanzministerium gab unter
der Hand Informationen über die Einkünfte eines Podemos-Vorstandsmitglieds
weiter. Er hatte für viel Geld mehrere lateinamerikanische Regierungen
beraten, darunter Venezuela. Rechte Tageszeitungen versuchten daraus
abzuleiten, Podemos werde illegal von der dortigen Regierung finanziert.
Beweise gibt es auch hierfür keine.
„Podemos hat die historische Möglichkeit, ein neues Projekt für dieses Land
in Angriff zu nehmen“, erklärt Errejón euphorisch. „Aber wir wissen auch,
dass sie alles gegen uns versuchen werden. Diejenigen, die aus den
Institutionen ihren privaten Schrebergarten gemacht haben, werden ihre
Privilegien und ihre Machtposition nicht kampflos abgeben.“ Das ist bei
Podemos allen klar ist. Sie sind davon überzeugt, Geschichte zu schreiben.
12 Mar 2015
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Austeritätspolitik
Soziale Bewegungen
Pablo Iglesias
Podemos
Spanien
Syriza
Mariano Rajoy
Podemos
PSOE
Andalusien
Mariano Rajoy
Syriza
Griechenland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte Podemos: Die Verwalter des Elends
Trotz aller Unterschiede sind die Probleme in Griechenland und Spanien
ähnlich. Für die spanische Partei Podemos bedeutet das nichts Gutes.
Geldwäsche- und Steuerbetrugsvorwurf: Hausdurchsuchung bei Ex-IWF-Chef
Der spanische Politiker Rodrigo Rato wurde am Donnerstag vorübergehend
festgenommen. Die Ermittlungen belasten auch die konservative Regierung.
Medien in Spanien: Im Griff der Mächtigen
Die spanische Regierung hat Angst vor Podemos. Deswegen werden Journalisten
nun auf Linie gebracht, versetzt oder sogar entlassen.
Regionalwahl in Andalusien: Sozialisten weiter vorne
Spaniens Sozialisten gewinnen in Andalusien. Ihr Sieg ist ein Dämpfer für
die aufstrebende linke Partei Podemos, die weit hinter den großen Parteien
zurückbleibt.
Regionalwahl in Spanien: Testdurchlauf für Podemos
Am Wochenende wird in Andalusien gewählt. Der Protestpartei werden dort
knapp 20 Prozent der Stimmen zugetraut. Vorn liegt sie damit nicht.
Debatte Podemos: Griechenland ist Innenpolitik
Die linke Bewegung Podemos hat eine kluge Strategie im Umgang mit
Griechenlands Syriza entwickelt. Und Spaniens Ministerpräsident Rajoy hat
Sorgen.
Kommentar spanische Protestbewegung: Syriza, Podemos – venceremos?
In Spaniens Superwahljahr 2015 will die neue Partei „Podemos“ Syrizas
Erfolg nachmachen. Doch das Jahr ist lang, Höhen und Tiefen sind absehbar.
Protestbewegung in Spanien: Der Wind der Veränderung
Hunderttausende demonstrieren in Madrid für eine andere Politik. Noch 2015
hoffen sie auf einen politischen Wechsel von den Altparteien zu Podemos.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.