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# taz.de -- Debatte Podemos: Die Verwalter des Elends
> Trotz aller Unterschiede sind die Probleme in Griechenland und Spanien
> ähnlich. Für die spanische Partei Podemos bedeutet das nichts Gutes.
Bild: Die Krise hat die Massen erreicht – viele von ihnen strömen zu Podemos.
Beide sind jung, dynamisch, links – und kein Teil der bisherigen Elite.
Alexis Tsipras ist in Griechenland schon an der Macht; Pablo Iglesias will
mit seiner Protestpartei Podemos die spanischen Wahlen im Herbst gewinnen.
Die beiden inszenieren ihre Nähe. Zwei Tage vor den griechischen Wahlen
bekam Tsipras einen medienwirksamen Blitzbesuch. Iglesias reiste kurz nach
Athen, damit die Botschaft im restlichen Europa verstanden wird: Die
Krisenländer rebellieren gemeinsam gegen die neoliberale Sparpolitik, die
von EU-Kommission und Troika erzwungen wird.
Die Chancen stehen gut, dass die Protestparteien die spanischen Wahlen
gewinnen. In Umfragen liegt Podemos bei 22 Prozent und damit vor den
Sozialisten und den regierenden Konservativen. Eine weitere Neugründung,
die liberalen Ciudadanos, kommt auf 19,4 Prozent.
In Spanien könnte sich also wiederholen, was in Griechenland schon
eingetreten ist. Das tradierte Zweiparteiensystem aus Konservativen und
Sozialdemokraten wird zertrümmert, stattdessen gelangen unorthodoxe und
linke Kräfte an die Macht. Aber wie vergleichbar sind Griechenland und
Spanien tatsächlich?
## Ein funktionierender Staat
Auf den ersten Blick sind die Unterschiede größer als die Gemeinsamkeiten.
Denn anders als Griechenland ist Spanien ein funktionierender Staat. Dies
zeigt sich bei einem Thema, bei dem es nicht zu erwarten wäre: der
Korruption.
Auch in Spanien war und ist Betrug weit verbreitet – aber im Unterschied zu
Griechenland werden die Schuldigen rigoros verfolgt. Die spanische Justiz
ist unabhängig und zerrt sogar das Königshaus vor Gericht. Täglich werden
neue Skandale an die Öffentlichkeit gespült, weil Staatsanwälte und Richter
nicht locker lassen.
Die Hitliste der Korruptionsfälle ist kaum noch zu überblicken, aber
besonders „lustig“ in Anführungsstrichen war der Skandal rund um die
„schwarzen“ Kreditkarten bei der Pleitebank Bankia, die mit 24 Milliarden
Euro Staatsgeld gerettet wurde.
Diese „schwarzen“ Kreditkarten wurden an 86 Funktionäre verteilt, die damit
in Luxushotels, Luxusboutiquen und Luxusrestaurants bezahlen konnten.
Während Bankia auf den Konkurs zusteuerte, wurden rund 15 Millionen Euro
von diesen Chef-Aufsehern verprasst. Besonders pikant: Alle waren dabei.
Konservative und Sozialisten genauso wie die beiden großen Dachverbände der
Gewerkschaften.
Dieser Skandal steht für eine Kultur der Selbstbereicherung, bei der
Milliarden aus den staatlichen Kassen abgezweigt wurden. Aber, immerhin, in
Spanien wird jetzt aufgeräumt.
## Die Wirtschaft wächst
In Griechenland hingegen findet Syriza einen Staat vor, der faktisch nicht
existiert. Obwohl jeder weiß, dass Korruption zum Alltag gehört, wurden nur
wenige Fälle bekannt – weil sie im Ausland aufflogen. Zu Recht wird
kritisiert, dass [1][Siemens griechische Politiker bestochen hat]. Aber
dieser Vorgang kam nur an die Öffentlichkeit, weil die Münchner
Staatsanwaltschaft ermittelt hat. Die griechische Justiz bleibt bis heute
weitgehend untätig, wenn es um die heimische Korruption geht, weil sie
selbst zu tief verstrickt ist.
Auch sonst scheint es in Spanien besser zu laufen als in Griechenland.
Während Tsipras gegen eine Rezession kämpft, wächst die spanische
Wirtschaft. 2014 hat sie um 1,4 Prozent zugelegt, und für dieses Jahr
prognostiziert der IWF ein Plus von 2,5 Prozent.
Zudem ist die Staatsverschuldung nicht so belastend. In Spanien macht sie
knapp 100 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, während die Griechen schon
bei 175 Prozent sind. Man könnte also meinen, dass Podemos das historische
Glück hätte, ein florierendes Land zu übernehmen.
Doch leider ist dies eine optische Täuschung. Griechenland und Spanien sind
sich weitaus ähnlicher, als es an der Oberfläche aussieht. Die erste
schlechte Nachricht: Die Arbeitslosigkeit liegt in Spanien noch immer bei
23,8 Prozent. Besserung ist nicht in Sicht. Der IWF geht davon aus, dass
selbst im Jahr 2020 mehr als 20 Prozent keine Stelle haben werden.
In Spanien wächst eine verlorene Generation heran. Die Hälfte der
Jugendlichen findet sowieso keine Stelle, und wer einen Arbeitsplatz
ergattert, muss sich mit schlecht bezahlten, meist befristeten Verträgen
abfinden. Auch Akademiker erhalten oft nur 900 Euro im Monat.
## Die Arbeitslosen bleiben
Die zweite schlechte Nachricht: 2014 verloren 34.680 Familien ihr Zuhause,
weil sie die Kredite nicht mehr bedienen konnten und ihre Wohnungen
zwangsgeräumt wurden. Dies waren 7,4 Prozent mehr als 2013. Berücksichtigt
man auch Ferienhäuser, Büros und Bauernhöfe, dann stieg die Zahl der
Zwangsräumungen sogar um 9,3 Prozent auf 119.442.
Viele Spanier stecken in einer Schuldenfalle fest. Mit Krediten haben sie
Wohnungen gekauft, die inzwischen 40 Prozent ihres Werts verloren haben.
Aber dies ist nur eine Durchschnittszahl. Rund eine halbe Million
Apartments stehen leer und sind komplett unverkäuflich.
Doch während der Wert der Wohnungen sinkt, bleiben die Kredite unverändert
hoch und müssen monatlich abgestottert werden. Um ihre Schulden abzuzahlen,
reduzieren viele Spanier ihren Konsum, was dann auf die gesamte Wirtschaft
drückt.
In der Eurokrise wird immer über die Staatsschulden debattiert, aber
mindestens genauso gefährlich ist die private Verschuldung. Solange viele
Spanier von ihren Krediten zermalmt werden, kann sich die Konjunktur nicht
erholen. Falls Iglesias die Wahl gewinnt, wird er in die gleiche Falle wie
Tsipras geraten: Er kann nur Elend verwalten.
Es ist unwahrscheinlich, dass Griechen und Spanier es noch lange ertragen,
dass sie keine Perspektiven haben. Diese Verzweiflung dürfen die anderen
Euroländer und Deutschland nicht ignorieren. Längst ist nicht nur der Euro
in Gefahr, sondern die Demokratie. Dabei wäre die Lösung einfach: Da die
private Nachfrage ausfällt, muss ein europäisches Konjunkturprogramm
nachhelfen.
26 Apr 2015
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## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
Syriza
Griechenland
Podemos
Spanien
Schwerpunkt Finanzkrise
Populismus
EU
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