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# taz.de -- Politikwissenschaftler über Journalisten: „Ich nenne sie Kopolit…
> Journalisten mischen sich auf undurchsichtige Art in die Politik ein,
> sagt Thomas Meyer. Klassische linke Themen spielen keine Rolle mehr – die
> Entpolitisierung wächst.
Bild: Peer Steinbrück im Gespräch mit dem ehemaligen „Spiegel“-Chefredakt…
taz: Herr Meyer, wenn man Ihr aktuelles Buch liest, hat man den Eindruck,
der größte Feind des Journalismus sind die Journalisten selbst.
Thomas Meyer: Das würde ich sofort unterschreiben. Weil es immer mehr
Journalisten gibt, die Politik machen, und zwar auf eine sehr
undurchsichtige Art. Ich nenne sie die „Unbelangbaren“ oder Kopolitiker.
Sie versuchen direkt darauf einzuwirken, welche Politiker eine zentrale
Rolle spielen und welche nicht. Welche Themen in den Vordergrund kommen und
welche nicht. Dieses direkte Mitmischen ohne Mandat hat in den vergangenen
Jahren stark zugenommen.
Ist das wirklich neu? Schon Rudolf Augstein hatte doch ein politisches
Anliegen.
Das wurde damals aber offen und identifizierbar gemacht, es war klar: Hier
ist der Journalist, der eine Polemik loslässt oder sich für eine Sache
einsetzt. Ich habe in meinem Buch analysiert, wie das heute läuft. Zum
Beispiel am Fall Steinbrück. Da veröffentlichte der Spiegel eine Woche vor
der Wahl ein Psychogramm über den Kandidaten, das sich als die ganz genaue
Beobachtung eines guten Journalisten präsentiert. Bei genauer Betrachtung
sieht man aber, wie da ein Mensch auf der Grundlage vorgefasster
Werturteile kaputtgeschrieben wird, in dem einfach behauptet wird, der sei
charakterlich defekt. Medienforscher haben dafür dieses Wort „schmutzige
Psychologie“ entwickelt.
Und das ist neu?
Ja, weil oft nicht Fakten präsentiert und recherchiert werden oder eine
Meinung als Kommentar ausgewiesen wird, sondern die politische
Wirkungsabsicht des betreffenden Journalisten in der Verkleidung als
Bericht oder Reportage dargeboten wird. Und diese Übergriffe nehmen zu, so
zeigen viele Beispiele.
Klingt nach Verschwörungstheorie.
Die Medien schaukeln sich einfach gegenseitig hoch, jeder will schneller
sein als der andere, noch etwas Neues herausgefunden haben. Das ist ein
Mainstream-Phänomen, ein gravierendes Problem für die Demokratie – nicht
nur für die Qualität der öffentlichen Auseinandersetzung, sondern auch für
das Vertrauen in die Medien selbst.
Was meinen Sie mit Mainstream-Phänomen?
Die meisten Medien vermitteln oft ein familialistisches Bild der Politik.
Politik wird nicht mehr als eine Mischung aus Konflikten, Interessen,
Akteuren, Institutionen und als längerer Prozess verstanden, sondern der
Einfachheit halber als so eine Art Familienzwist zwischen Promis
präsentiert. Das Symbol dafür ist die politische Talkshow. Dort wird das
politische Geschehen als Unterhaltung inszeniert, als ein Gezänk, bei dem
es eigentlich nur um den persönlichen Streit zwischen Politikern und
anderen Promis geht. Das ist ein entpolitisierendes, irreführendes Bild von
der Politik.
Andererseits: Die aktuellen Debatten, die – auch in Talkshows – geführt
werden, sind durchaus komplex: die Flüchtlingskatastrophe oder der
BND-Skandal.
Aber sie werden als persönlicher Zwist zwischen Politikern inszeniert: Da
ist etwa Sigmar Gabriel, der einfach mal Angela Merkel provozieren will, um
für sich Punkte zu sammeln. Da ist Angela Merkel, die das wieder alles
einfach aussitzt und da ist der harmlos-naive BND-Chef Schindler, der von
nichts gewusst hat.
Woran liegt das? An den Politikern oder den Journalisten?
An beiden. Es gibt starke Tendenzen von Politikern, sich selbst zu
inszenieren, Kampagnen für sich zu instrumentalisieren. Auf der anderen
Seite lassen sich Journalisten darauf aber auch ein. Hinzu kommt, dass
besonders bei großen Zeitungen eine Generation jüngerer Journalisten in
Einflusspositionen gekommen ist, die nicht mehr wie die
Nachkriegsgeneration eine stark liberale, im Zweifelsfall auch
linksliberale Sicht haben, sondern Milieus entstammt, die eine auffällige
neubesitzbürgerliche Prägung haben.
Der Klassiker: Früher war alles besser.
Nicht unbedingt, aber Tatsache ist, dass all die wichtigen Themen, die mit
der sozialen Frage von Ungleichheit, von Unterklassen, also die sozialen,
nahezu verachtet werden. Das merkt man an der Art, wie die
Berichterstattung über diese Felder intoniert wird: abschätzig, ironisch,
am liebsten gar nicht. Es herrscht das Dogma, linke Themen sind out, und
wer sich da noch dranhängt, tickt nicht richtig. Das führt natürlich dazu,
dass die unteren Schichten unserer Gesellschaft sich im öffentlichen
Diskurs nicht mehr wiederfinden.
Ist das nicht Spiegel einer postideologischen Gesellschaft, in der
Kriterien wie links, rechts, oben, unten als Orientierungshilfen wegfallen?
Das ist ein wechselseitiger Einfluss. Er ist für den Journalismus fatal,
denn er führt dazu, dass die großen Richtungsunterschiede, die es in den
Parteiprogrammen ja durchaus noch immer gibt, nicht mehr wirklich
thematisiert werden, weder in den Zeitungen selbst noch in den Redaktionen.
Das treibt die Entpolitisierung voran.
Wie meinen Sie das?
Bis in die 1990er Jahre gab es in den großen Medienhäuser unterschiedliche
politische Vorstellungen. Das führte zu wechselseitiger Kritik unter
Kollegen. Durch die Konzentration in der Verlagsbranche und die
postideologische Stimmung ist die Selbstkritik mittlerweile entfallen. Das
hat auch strategische Gründe. Heute, mit all den Schließungen und
Zusammenlegungen von Zeitungen, weiß ja kein Redakteur mehr, in welcher
Redaktion er morgen landen wird, wenn er überhaupt noch in einer landet.
Und das nimmt diesen Leuten komplett den Mut zu einer innerjournalistischen
Selbstkritik.
Sind Bewegungen wie Pegida mit Attacken gegen die „Lügenpresse“ auch
deshalb so erfolgreich?
Leider überdeckt diese Debatte die wirklich vorhandenen gravierenden
Probleme zwischen dem politischen Journalismus und der demokratischen
Öffentlichkeit, sie werden durch die Pegida-Demagogie verdrängt. Aber diese
Polemik greift doch das Gefühl vieler Menschen auf, dass ihre
lebensweltlichen Bedürfnisse, Empfindungen, Wahrnehmungen in dieser
Öffentlichkeit und dann auch in der Politik keine Rolle mehr spielen. Die
fühlen sich entfremdet und finden bei Pegida Anschluss. Das hat durchaus
etwas damit zu tun, wie sich der Journalismus entwickelt hat.
30 May 2015
## AUTOREN
Anne Fromm
Ines Pohl
## TAGS
Journalismus
Medienkritik
Inszenierung
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Podemos
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