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# taz.de -- Streamen, Containern, Rauchen, Asyl: Leben in der Grauzone
> Einige Lebensbereiche in Deutschland funktionieren nach eigenen,
> nebulösen Gesetzen – und nicht mal schlecht.
Bild: 1999 durfte man noch beim Essen rauchen: Königin Margrethe II. von Däne…
## Containern – mit kleinen Makeln aus dem Müll gefischt
Fünf Packungen Nudeln, Butter, eine Kiste voller Kohlrabi, drei ziemlich
reife Mangos. Alles ein bisschen vermanscht, denn irgendwo ist eine Packung
Milch aufgeplatzt und ausgelaufen, sonst aber in essbarem Zustand und
außerdem kostenlos. Gefischt aus dem Abfallcontainer eines Supermarktes.
„Gerettet“, würden die neuen Besitzer sagen. Gerettet vor der Deponie oder
Müllverbrennungsanlage. Und die Welt vor dem Verbrauch von noch mehr
Ressourcen, die für die Produktion von Lebensmitteln eingesetzt werden
müssten.
Knapp elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen bundesweit jährlich im Müll,
das hat eine Studie des Landwirtschaftsministeriums 2012 ergeben.
Weggeworfen von Verbrauchern, die den Joghurt im Kühlschrank übersehen, von
Restaurants, die die Nachfrage nach Schnitzel überschätzt haben, und von
Supermärkten, die Produkte schon vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums
in die Tonne schmeißen.
Der größte Teil fällt dabei laut Studie in den Privathaushalten an, doch
besonders augenfällig ist die Verschwendung im industriellen Maßstab:
Während Verbraucher ein Brot in der Regel entsorgen, wenn sich Schimmel
zeigt, geben Handel und Gastronomie Lebensmittel dann in den Müll, wenn sie
demnächst nicht mehr in Ordnung sind. Lieber wegwerfen als das Brot vom
Vortag zum halben Preis anbieten. Gleichzeitig soll möglichst ständig ein
möglichst umfangreiches Sortiment angeboten werden. Der Ausschuss ist
einkalkuliert.
Containern, mülltauchen, dumpstern – das soll zumindest einen kleinen Teil
dazu beitragen, die Verschwendung zu reduzieren. Rechtlich gesehen ist das
Vorgehen heikel: Auch was in den Abfalltonnen auf dem Supermarktparkplatz
liegt, gehört immer noch dem Händler. Doch wenn es bei einem Diebstahl nur
um „geringwertige Sachen“ – ein Wert von unter 50 Euro – geht, muss in …
Regel der Geschädigte Strafantrag stellen. Und Supermarktbetreiber haben
ebenso wenig Interesse an schlechter Publicity wie daran, dem Containern zu
noch mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.
Daher reagieren die Händler unterschiedlich. Manche rüsten auf: Zäune,
extra Schlösser an den Mülltonnen – dann ist die Botschaft eindeutig, und
neben einer Anzeige wegen Diebstahl können auch die Vorwürfe
Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch dazukommen. Ein Fall, in dem jemand
alleine dafür, dass er Lebensmittel aus Supermarktmülleimern geholt hat,
letztinstanzlich verurteilt worden wäre, ist bislang allerdings nicht
bekannt geworden.
Andere Händler tolerieren die Aktionen nach Ladenschluss. Bei einigen hat
das Vorgehen zu einem Umdenken geführt. Sie kooperieren mittlerweile mit
Foodsharern - Menschen, die Lebensmittel bei der Bäckerei oder beim
Supermarkt nach Ladenschluss abholen und kostenlos verteilen. SVENJA BERGT
##
## Kirchenasyl – letzte Rettung für Flüchtlinge
Es graut vielen, wenn sie an die Bestimmungen der Dublin-Regelungen denken.
Laut diesen müssen Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen, das sie als
Erstes erreicht haben. Aus der Bundesrepublik können sie daher innerhalb
von sechs Monaten in andere Länder abgeschoben werden. Fraglich, ob die
unterschiedlichen Sozialstandards der europäischen Staaten eine
menschwürdige Unterbringung der Flüchtlinge garantieren. Um eine
Abschiebung zu verhindern, nutzen christliche Gemeinden Kirchenasyl. Oft
ist dies letzte Zuflucht und Hoffnung für die Vertriebenen.
Rechtlich gesehen bewegt sich die seit Jahren gängige Praxis in einer
Grauzone. Offiziell gibt es, auch für Gotteshäuser, keine Sonderregelungen,
die Hilfe der Kirche für Flüchtlinge wird vom Staat jedoch weitestgehend
toleriert. Möglicherweise auch, weil die Pfarrei in allen Fällen die
zuständigen Behörden und Gerichte informiert. Flüchtlinge ohne einen
legalen Aufenthaltsstatus gelten so nicht mehr als untergetaucht. Fälle, in
denen Asylsuchende gewaltsam aus den Kirchengemeinden geholt werden, sind
kaum bekannt.
Ziel ist es, in bestimmten Fällen, eine drohende Abschiebung zu verhindern
und eine Überprüfung des Asylantrags zu erreichen. Den Respekt der Behörden
vor Eingriffen in sakrale Räume nutzt die Kirche gut. Eine Studie des
Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (Imis) in
Osnabrück aus dem Jahr 2013 zeigt, dass Kirchenasyle in der Regel
Betroffene vor staatlichen Fehlentscheidungen bewahren. Nach kirchlichen
Fürsprachen wird mehr als 90 Prozent der Asylsuchenden der Aufenthalt in
Deutschland gewährt.
Die langjährige christlich-humanitäre Tradition gewinnt durch die
verheerenden Kriege in Syrien und in der Ukraine, den Vormarsch des IS im
Nahen Osten und den Umgang der Europäischen Union mit Flüchtlingen, leider,
immer mehr an Bedeutung. Gegenwärtig schützt die Kirche mit über 230 Asylen
426 Frauen, Kinder und Männer. Zum Vergleich - im Januar vergangenen Jahres
waren kaum 40 Fälle bekannt. MAXI BEIGANG
## E-Zigarette – weder Tabakware noch Arznei
Sehen wir heute jemanden in einem Restaurant rauchen, sind wir darüber so
erstaunt, als würde sich jemand, bevor er seinen gebeizten Saibling
verspeist, eine Heroinspritze setzen. Dabei ist das Rauchverbot, Pardon!,
der Nichtraucherschutz in Deutschland flächendeckend erst seit 2008
gesetzlich festgeschrieben.
Das Abbrennen von Tabak mag verboten sein. Das Erhitzen nikotinhaltiger
Flüssigkeiten in einer E-Zigarette ist es nicht. Jahrelang wurde in der EU
gestritten, ob die E-Zigarette als Tabakware einzustufen ist, was bedeuten
würde, dass Nichtraucher vor ihr geschützt und Tabaksteuer erhoben werden
müsste. Diskutiert wurde auch, ob die E-Zigarette als medizinisches Produkt
einzustufen ist, weil sie Raucher vom Tabakkonsum entwöhnen kann, sie wäre
apothekenpflichtig geworden. Für beides gab es jedoch keine ausreichenden
Argumente.
Seitens des Gesetzgebers gibt es keine Einschränkung, was den Gebrauch von
E-Zigaretten in öffentlichen Räumen angeht. Seit April 2014 gilt die
EU-Richtlinie, dass die E-Zigarette kein Arzneimittel ist. Man kann überall
ungestraft dampfen. Jeder Hausherr hat natürlich das Recht, in seinem
Herrschaftsgebiet die Nutzung von E-Zigaretten genauso zu untersagen wie
das Verspeisen von Sushi, wenn ihm das nicht passt.
Wir wissen nicht, ob sich die E-Zigarette durchsetzen wird, ob man sie doch
irgendwann als Tabakerzeugnis einstufen wird, ob die alle paar Monate
hochgejazzten Pseudostudien, die behaupten, die gesundheitlichen Schäden,
die die E-Zigarette verursacht, seien sogar um ein Vielfaches schlimmer als
der Tabakkonsum, dazu beitragen, dass Dampfen irgendwann für schlimmer als
Hitler gilt. Wir werden es sehen. DORIS AKRAP
## Streaming – besser nicht bei Amazon, Netflix und Co?
Alle werben sie mit Exklusivität: die aktuellsten Folgen von „House of
Cards“ nur bei Sky, „Better Call Saul“ nur bei Netflix, „Transparent“…
bei Amazon und so weiter. Alles Quatsch. Exklusiv hat niemand irgendwas –
höchstens für wenige Stunden nach der Ausstrahlung. Dann sind Links zu all
diesen Serien, zu Filmen, zu Sportereignissen auf vielen Websites zu
finden. Und: Das Streamen, das bloße Anschauen, ist wohl nicht illegal.
„Wir (und mit uns viele andere Juristen) vertreten […] seit Langem die
Auffassung, dass auch das Ansehen rechtswidriger Streams eine rechtmäßige
Nutzung des Werkes ist“, schreibt die Kanzlei Wilde Beuger Solmecke auf
ihrer Website.
Endgültig juristisch geklärt ist die Sache aber nicht. Beim Streaming
entsteht zumindest eine flüchtige Kopie der Videos auf der Festplatte. Das
scheint aber nicht zu genügen, um eine Urheberrechtsverletzung zu begehen.
Das sah zumindest der Europäische Gerichtshof so.
Doch warum nutzen so viele die Streams, bei denen doch jedem klar sein
muss, dass zumindest derjenige, der das Werk zugänglich macht, eine
Straftat begeht? Warum schauen so viele bewusst weg beim Hinschauen? Ganz
einfach: Die Sites mit den Streaminglinks haben zusammengenommen das beste
Angebot – nicht in der Qualität, aber in der Breite. Die Filmstudios, die
Sender, diejenigen, die die Rechte an den Serien und Filmen halten,
verkaufen diese Land für Land an verschiedene Anbieter: Hier hält Netflix
die Rechte an einer Serie, dort Amazon und wieder woanders Hulu. Und in den
einzelnen Ländern werben diese dann mit Exklusivität, die ihnen zum
Verhängnis wird.
Denn wer alles sehen will, müsste gleichzeitig Amazon-Prime-Kunde,
Netflix-, Maxdome- und Sky-Abonnent sein. Das kostet. Und die Nutzung der
Abos endet an Landesgrenzen. Wer im Ausland ist, kann dort mit seinen
deutschen Accounts gar nichts streamen. So wie einst die illegalen
Musiktauschbörsen die einzigen Orte waren, an denen der Nutzer tatsächlich
ein großes Angebot an Stücken zur Auswahl hatte, sind es momentan noch die
Streamingsites, die das größte Angebot vorhalten. Ganz unexklusiv. JÜRN
KRUSE
11 Apr 2015
## AUTOREN
Svenja Bergt
Maxi Beigang
Doris Akrap
Jürn Kruse
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