# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Karneval der Schrecklichkeiten | |
> Es gibt eine gute Nachricht: Sigmar Gabriel will, dass der Bund die | |
> Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen übernimmt. | |
Bild: Das Palästinenserviertel in Damaskus wzrde seit 2013 vom Assad-Regime ab… | |
Wo bleibt der Deutschen Lieblingskanzlerin? Hat sie zu Tröglitz in | |
Sachsen-Anhalt nichts zu sagen? Immerhin gelang es der NPD dort erneut, | |
einen Bürgermeister mit Morddrohungen zum Rücktritt zu zwingen und ein | |
geplantes Flüchtlingsheim abzubrennen. Nach den nicht enden wollenden | |
Skandalen um den NSU sollte man meinen, die Politik hätte begriffen, dass | |
Fremdenhass Chefsache ist. Hat sie aber nicht. | |
Also wittert Sigmar Gabriel Morgenluft, macht sich nach Tröglitz auf und | |
steigt nun gegen den Innenminister in den Ring. In Sachen | |
Menschenverachtung ist Thomas de Maizière ja verlässlich. Und so fordert | |
Gabriel, dass fortan der Bund die Kosten für die Unterbringung von | |
Flüchtlingen übernimmt. Die von de Maizière erst im März zugesagte | |
Milliarde reiche vorne und hinten nicht. | |
Natürlich ist kaum vorstellbar, dass den Agenda-2010-Verteidiger Gabriel | |
das Schicksal von Menschen, die in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz | |
unten stehen, interessiert. Das ist aber egal. So wie de Maizière mit | |
seiner Flüchtlingspolitik der AfD Konkurrenz machen will, hat der SPD-Chef | |
offenbar bemerkt, dass seine Klientel den bis dato normalen Zynismus | |
gegenüber Vertriebenen nicht mehr gut findet. Seine Forderung ist richtig. | |
Das ist die gute Nachricht der Woche. | |
## Hungerstreik in Hoyerswerda | |
Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigt eine Geschichte aus Sachsen. Im | |
traurig berühmten Hoyerswerda sind drei syrische Flüchtlinge am Donnerstag | |
in den Hungerstreik getreten. Seit sieben Monaten sitzen sie in einem Heim | |
– und nichts passiert. Niemand hat sie bislang erkennungsdienstlich | |
behandelt, also Fingerabdrücke genommen, und eine Akte unter ihrem Namen | |
angelegt. Warum lässt man Leute über Monate in Heimen vergammeln? Ohne Akte | |
– der Zynismus sei kurz erlaubt – kann man sie auch nicht abschieben. | |
Die Ausländerbehörde Bautzen reagiert auf Anfrage der taz prompt. Die | |
Situation der drei Syrer sei kein Einzelfall. Allein in ihrem | |
Zuständigkeitsbereich ergehe es etwa 200 Vertriebenen so. Und in ganz | |
Sachsen seien rund 3.500 Flüchtlinge vom Bundesamt einfach „auf die Fläche | |
verteilt worden“, ohne dass jemand eine Akte über sie angelegt hätte. Keine | |
Akte, keine Zukunft in Deutschland. | |
Das soll nun anders werden. Gleichwohl betonte die Pressesprecherin, dass | |
Gegenmaßnahmen gegen den Verwaltungsstau bereits vor zwei Wochen ergriffen | |
worden seien. Die Kommune werde Amtshilfe fürs Bundesamt leisten und die | |
Fingerabdrücke selbst abnehmen. Juchhu! Gleich am Montag soll es losgehen | |
damit. Tarek Ions Ahmed, Walid Awad und Hasan Salame werden, so die | |
Sprecherin aus Bautzen, die Ersten sein, deren Daten erfasst werden. | |
## Todeslager Jarmuk | |
Im internationalen Maßstab stehen auch diese Woche die Zeichen auf Krieg. | |
In Jarmuk, dem Damaszener Palästinenserviertel, sind die Milizen der | |
Terrorgruppe IS einmarschiert. Das Assad-Regime hat sie bislang offenbar | |
gewähren lassen, nun aber eine Großoffensive angekündigt. Jarmuk ist seit | |
zwei Jahren von der Wasser-, Brot- und Stromversorgung abgeschnitten. | |
Genauso lange trommelt das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der UN, dass | |
endlich humanitäre Hilfe zugelassen werden soll. | |
Selbst UN-Generalsekretär Ban erkennt dieser Tage, dass das nur zehn | |
Kilometer vom Präsidentenpalast entfernte Stadtviertel zu einem | |
„Todeslager“ geworden ist. Schon die Bilder von 2014 erinnerten ans | |
Warschauer Ghetto. Die Erkenntnis kommt also nicht eben früh. Seit Ende | |
letzten Jahres durfte keine Hilfsorganisation mehr Nahrungsmittelpakete | |
verteilen – auf Geheiß des Assad-Regimes. | |
Gleichzeitig soll al-Nusra ihren Konkurrenten vom IS Listen mit Namen | |
säkularer Rebellen übergeben haben. Die dann folgenden Exekutionen dauern | |
an. Nach Schätzungen leben noch etwa 18.000 Menschen in Jarmuk. | |
Ein weiterer Höhepunkt im Karneval der Schrecklichkeiten ist die von den | |
Saudis betriebene Eskalation im Jemen. Die westlichen Verbündeten setzen | |
alles daran, die Nuklearverhandlungen zwischen den USA und Iran zu | |
torpedieren. Sie wollen verhindern, dass der Iran dank gelockerter | |
Sanktionen zur Regionalmacht aufsteigt. Ihnen käme ein Krieg gegen den Iran | |
unter dem Label Konfessionenstreit mehr als recht. Die Eskalationsstrategie | |
verfängt und iiranische Militär bringt sich in Stellung. Und wenn es im | |
Jemen richtig knallt, dürften auch die Atomverhandlungen geplatzt sein. | |
So ist auch diese Woche die Lektion: Wer Außenpolitik als reine | |
Lobbypolitik betreibt, schafft Krieg. Und wer sich Verbündete wie | |
Saudi-Arabien hält, tut das sowieso. Während nun Obama auf den | |
Amerikagipfel nach Panama reist, um den US-Wahnsinn zumindest im Hinblick | |
auf Kuba zu beenden, geht der Terror im Nahen Osten mit neuer Härte weiter. | |
11 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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