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# taz.de -- Tabakalternative E-Zigarette: Religion für häretische Raucher
> In Deutschland fällt die E-Zigarette nicht unter das
> Nichtraucherschutzgesetz. Ist sie die langersehnte Alternative für
> Raucher?
Bild: Sieht aus wie Kugelschreiberlutschen, hat aber eine futuristische Eleganz
Die Zeiten, in denen der Papst das Rauchverbot im Petersdom aufhebt, kommen
wohl nicht wieder. Damals, 1724, konnte Benedikt XIII. nicht ahnen, dass es
für Kettenraucher wie ihn einmal Techniken geben würde, die vor der
Exkommunikation schützen: die E-Zigarette.
Dabei stammt die Grundlage dieser Technik, das Erhitzen von Flüssigkeiten
zur Energiegewinnung durch Dampf, aus der Ära Benedikts. Mit
Dampflokomotiven wurde das Industriezeitalter angeschoben – das Rauchverbot
in Kirchen und Fabriken aber wurde wieder eingeführt. Jetzt erleben wir
erneut revolutionären Pioniergeist. Die milliardenschwere
Zigarettenindustrie zittert nicht mehr nur vor den
Nichtraucherschutzgesetzen, sondern vor dem, was derzeit leise blubbernd
den Markt erobert: digitaler Dampf.
In den USA und in Großbritannien können die meisten Raucher längst folgende
Fragen beantworten: Welcher Tank? Welches Liquid? Wie viel Volt? Welche
coil unit? Es gibt in den USA ganze Dampfer-Vereinigungen, die sich als
„band of brothers“ und ihr Handeln als Widerstand gegen Big Tobacco
begreifen – dampfen als Religion für häretische Raucher. Das ist der
Untergrund.
Im Mainstream dagegen ist dampfen Lifestyle. Läden, in denen E-Zigaretten
und Fläschchen mit der nikotinhaltigen Flüssigkeit (liquid) angeboten
werden, sehen aus wie In-Bars im Prenzlauer Berg, und die Beschreibungen
der Aromastoffe lesen sich wie deren Weinkarten: „Crispy Mint, zart
grundiert von Schokolade und einem französischen Vanille-Finish“. Einige
werben sogar mit „Reserva“-Aromen, die in Eichenfässern gelagert sein
sollen.
## „Eisbonbon“ und „KiBa“
Auch in Deutschland wurden in diesem Jahr erste Läden eröffnet, die ihre
E-Zigaretten nicht mehr zwischen St.-Pauli-Fanartikeln verkaufen, sondern
sich „Liquid-Atelier“ nennen – die Aromen sind weniger delikat, noch kann
man nur zwischen „Eisbonbon“ oder „KiBa“ oder „Kreuzberger Ernte“ w…
Fakt ist, dass die E-Zigarette viel billiger und geruchsloser ist als die
herkömmliche Tabakzigarette. Das macht sie für trendbewusste,
gesundheitsbesorgte und finanziell engpässige Nikotinabhängige attraktiv.
Medizinisch und juristisch aber ist sie wilder Westen. Das Liquid besteht
aus Propylenglykol (auch bekannt als Diskonebel), Glycerin, Nikotin und
Aromastoffen. Es wird in einen Tank gefüllt und durch einen Verdampferkopf
(coil unit) erhitzt, der seine Energie über einen Akku bezieht, der per
USB-Anschluss aufgeladen wird.
Also alles nicht weiter wild und medizinisch zunächst für unschädlicher
befunden als das karzinogene Verbrennen einer herkömmlichen
Industriezigarette. Langzeitschäden lassen sich nicht belegen, da die
Geräte noch keine zehn Jahre auf dem Markt sind. Die Erfahrungen der
Umsteiger sind jedoch eindeutig: Kurzatmigkeit und das Gefühl, einen
Aschenbecher verschluckt zu haben, hören auf.
Wie bei allen gesellschaftlichen Neuerungen ist die Skepsis riesig, weil
das Wissen so klein ist. Dass über den USB-Stick chinesische Schadsoftware
auf den Rechner gelangt, ist ebenso wenig belegbar wie die Panikmeldung,
dass Kindern mit der E-Zigarette der Einstieg ins Rauchen erleichtert
werde.
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In den meisten Ländern gibt es keine Regeln für das Dampfen. In Deutschland
fällt die E-Zigarette nicht unter das Nichtraucherschutzgesetz. Jeder kann
überall dampfen, solange Hausherr, Restaurantbesitzer oder Bürochef es
nicht höchstpersönlich verbieten. Doch mit den steigenden Nutzerzahlen wird
diese Freiheit vielleicht schon bald eingeschränkt werden. In Los Angeles
etwa ist Dampfen in der Öffentlichkeit seit April verboten. Und EU, WHO und
der Zigarettengigant Philip Morris bieten seit Monaten allerlei Argumente
auf, um die E-Zigarette als Arzneimittel oder Tabakware zu deklarieren,
damit der Verkauf eingeschränkt und Steuern erhoben werden können.
Genießen wir also diesen vielleicht sehr kurzen Sommer der dampfenden
Anarchie. Letztes Jahr schließlich hätte keiner geglaubt, dass
Nikotinabhängigkeit wieder glamourös werden könnte. Mehrheitlich sind es
nun Umsteiger, die zu Dampfern werden. Ich gehöre dazu. Lange wollte ich
das nicht. Allein das Wort E-Zigarette war hässlich und generierte Bilder
von E-Herden und E-Werken, an die man sich klemmen sollte, um seine Sucht
zu befriedigen.
Außerdem war die Geste des Rauchens immer auch eine der Emanzipation:
Lauren Bacalls Karriere begann mit den Worten „Anyone got a match?“, Coco
Chanel nahm die Zigarette nicht mal aus dem Mund, wenn sie an den Models
die Stoffe zurechtzupfte. Eine Frage der Ästhetik war es auch: Erwachsen
spielen, rebellisch ohne Grund sein und dabei verführerisch aussehen – so
zu rauchen, war eine Kunst und ein Statement. Die Zigarette zwischen den
Fingern so zu balancieren brauchte Übung.
Aber egal. Lippenstiftspuren und Aschenbecher sind tempi passati, wie man
in der Zeit schreiben würde. Und das beliebte Format „Auf eine Zigarette
mit …“ war schon mit seiner Erfindung ein Signal für das Verschwinden
seines Gegenstands. Nun hat nicht nur die Tabakindustrie Angst, den
Anschluss zu verlieren. Sondern auch Zigarettenliebhaber wie ich. Würde ich
irgendwann allein in der Raucherecke stehen, weil ich romantischen Bildern
nachhing, die längst vergilbt waren? Raucher sind dreckig, machen unsere
Kinder kaputt und ruinieren unser Gesundheitswesen – das Bild hatte sich
durchgesetzt. Da half auch keine letzte und allerletzte Zigarette.
Das Verführerische der E-Zigarette liegt nun darin, auf den grundlosen
kleinen Rausch nicht verzichten zu müssen, den gesellschaftlichen
Veränderungen aber auch nicht mehr mit Ästhetiken aus dem letzten
Jahrhundert begegnen zu müssen. Die Geste des Dampfens ist neu und
entsprechend unscharf. Popstars wie Bruno Mars, Katy Perry, Lindsay Lohan
und undergroundigere Stars wie der Sänger der Postpunk-Band Sleaford Mods
machen es. Doch dampfende Posen in Film, Literatur, Kunst fehlen. Die Geste
ist noch nicht genug definiert und ausprobiert.
Es gibt verschiedene Varianten, vom Blockflöten-für-Anfänger-Griff über die
entschlossene Handwerkerfaust bis zum flüchtig angedeuteten Umschlingen. In
dem, was für Nichtraucher wie Kugelschreiberlutschen aussieht, entdecken
Umsteiger wie ich eine futuristische Eleganz. Das Design spielt eine große
Rolle und steht doch erst ganz am Anfang: Hierzulande herrscht kühle,
strenge Metalloptik, anderswo verspielteres Art déco.
## Dampfen: Wort des Jahres
Nun hat keine geringere Institution als das Oxford Dictionary „vape“, also
„dampfen“, zum Wort des Jahres 2014 gewählt. Vape – gebildet aus dem
Begriff „vaporizer“ („Verdampfer“) – gab es bisher nicht im bedeutend…
Wörterbuch der englischen Sprache. Und natürlich war die Wahl der Jury
umstritten. In der Begründung heißt es, dampfen berühre einige der
zentralen gesellschaftlichen Debatten, darunter die um das öffentliche
Gesundheitswesen, die Frage nach der Regulierung alltäglicher
Lebensbereiche und das Verhältnis von privat und öffentlich.
So wie „selfie“ im letzten Jahr hält die Jury auch „dampfen“ für mehr…
einen vorübergehenden Trend. Die Begründung ist interessant: Es ist das
Verhältnis zwischen privat und öffentlich, das sich dramatisch ändert und
dem das Dampfen Rechnung trägt. Denn – so ließe sich spekulieren –
vielleicht ist draußen gar nicht mehr draußen. In der Kneipe ist man im
Zweifel mehr für sich als zu Hause vor dem Laptop.
Tatsächlich hat das Dampfen weniger mit Zigaretten als mit Pfeiferauchen zu
tun. Befriedigung bringt die Dauer, nicht der Augenblick. Der Augenblick,
dieser intime Moment des „die letzte Zigarette zusammen rauchen“ ist
verloren. Ins Dampfen lässt sich aber etwas hineininterpretieren, das über
die Konzernkritik der häretischen Anti-Big-Tobacco-Bewegung hinausgeht: Wir
dehnen den Augenblick des Rauchens, des Hedonismus, der Hingabe an den
sinnlosen Kick auf die Dauer einer ganzen Akkulänge aus.
1 Dec 2014
## AUTOREN
Doris Akrap
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