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# taz.de -- Wahl in Bremen: Der nette Herr Böhrnsen
> Bürgermeister Jens Böhrnsen wünscht sich die Schulden weg, hört geduldig
> zu und knallt die Hacken nur selten zusammen. Er möchte weiterregieren.
Bild: Ihm kann man so ziemlich alles abkaufen: Jens Böhrnsen ist derzeit der d…
BREMEN taz | Jens Böhrnsen hat Bremens Schuldenproblem gelöst. So ganz en
passant, ohne Sparterror – per Festrede. Also durch eines jener zu Recht
verschrienen Prosastücke, die ein pflichtbewusster Bürgermeister halt so
ablassen muss. Bei denen aber niemand recht zuhört, schon gar nicht, wenn
wie bei Bremens Regierungschef Böhrnsen bekannt ist, dass er
Verwaltungsrichter war und vielen als Langweiler gilt. Es war sicher als
Scherz gemeint.
Aber Witze, so heißt es, haben ihre eigenen Beziehungen zum Unbewussten.
Das gilt auch für die von Böhrnsen. So findet sich in der Ansprache zum 50.
Jahrestag des Élysée-Vertrags im Januar 2013 die Anekdote, dass Henri IV.
bei den Wirren um die Thronübernahme 4.572 Écu d’or von der Stadtrepublik
Bremen geliehen hat. Der Vertrag sieht einen Festzinssatz von 5 Prozent pro
Jahr vor, 1591 war das, mon dieu! Das wären heute 4 Billionen Gulden, fast
95 Billionen Euro, das ganz große Los. „Das Geld“, hat Böhrnsen dem
anwesenden Botschaftsrat, dem Fischereiminister und der Directrice des
Institut français eröffnet, „ist bis heute noch nicht zurückgezahlt“. Da…
lächelte er und sagte: „Unsere Freundschaft hält das aus.“
Schulden. Schulden, Schulden – man braucht keine Couch, um zu verstehen,
was Böhrnsen, der erneut zur Wiederwahl antritt, die Tage seines Regierens
verschattet und ihn in seinen Träumen heimsucht: Bremens Einwohner sind
zwar topzufrieden, sofern das messbar ist. Nach Hamburg ist es das
Bundesland mit der größten Wirtschaftskraft: 43.000 Euro pro Person. Aber
pro Kopf hat Bremen auch 31.000 Euro Schulden, klar mehr als Griechenland.
Und die Spitze des Senats, also Finanzsenatorin und Bürgermeisterin
Karoline Linnert (Grüne) und eben er, der Präsident des Senats,
Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), wirkt mitunter, als nähme sie das
persönlich: jeder Cent eine traurige Bürde, eine Haushaltsnotlage, in die
Bremen, so ist die politisch-juristisch durchs Bundesverfassungsgericht
adoptierte Sprachregelung, „ohne eigenes Verschulden“, geraten ist. Die im
Zinseszinsmodus unaufhaltsam anschwillt. Die untragbar ist. Da hilft nur
wegwünschen, und ein wenig neigt Böhrnsen dazu: Als er vor vier Jahren, vor
der Neuauflage der rot-grünen Koalition, ankündigte, dass den Sparkurs
niemand merken werde, war Linnert kurz ziemlich unfroh. Aber das war
wirklich nur kurz.
## Böhrnsen fehlt die Gabe, etwas vorzutäuschen
Heute gehen sie also als Losverkäufer, sowohl Linnert, als auch Böhrnsen.
Das ist noch nicht einmal ein Wahlkampftermin, sondern auch wieder so ein
klassisches Bürgermeisterding: Er kriegt einen Bauchladen vorgeschnallt,
posiert damit, ohne es zu genießen, kurz für Fotografen neben der
Rolandstatue. Der Bürgerpark, ein grandioser Landschaftspark, finanziert
sich teilweise über diese Tombola. Unter Oldiebeschallung werden die Lose
feilgeboten, mitten im malerischen Altstadtkern. „Und Sie?“, fragt er,
„wollen Sie jetzt auch ein Los kaufen?“
Böhrnsen kann man so ziemlich alles abkaufen. Klar, hört sich an wie:
falsche Berufsauffassung für Journalisten. Stimmt aber. Wer erklären will,
warum Böhrnsen, obschon in derselben Partei, so wie der Antipode seines
bundesweit viel bekannteren Vorgängers Henning Scherf wirkt, müsste auf ihr
gegensätzliches Verhältnis zur Wahrheit kommen. Böhrnsen fehlt nämlich die
Gabe, etwas vorzutäuschen. Ihn bei einer gezielten Unwahrheit zu ertappen –
keine Chance: Böhrnsen lügt einfach nicht. Selbst auf die Frage, welches
Los denn jetzt gewinnt, antwortet er bloß, dass er’s doch selbst nicht
weiß. „Viel Erfolg“, wünscht er noch.
Jens Böhrnsens Tante Tilla war verheiratet mit dem Widerstandskämpfer Willy
Hundertmark, einer Größe der Nachkriegs-KPD, einem der Gründer des VVN, und
dann auch bis zum Schluss in der DKP aktiv. Hundertmark erhielt 1989 das
Bundesverdienstkreuz, als erster bekennender Kommunist überhaupt. Jens
Böhrnsens Vater Gustav war Maschinenschlosser – einer, den man im
Arbeitertstadtteil Gröpelingen Kuddel rief, schon in der Lehrzeit Mitglied
der Sozialistischen Arbeiterpartei, ab 1932 im Kommunistischen
Jugendverband: Untergrund, drei Jahre Haft, dann erzwungener Frontdienst.
Später wird Kuddel Böhrnsen Betriebsratsvorsitzender der Großwerft AG Weser
und macht politische Karriere in der SPD. Weit, unendlich weit weg scheint
das, wenn du den Losverkäufer im dunkelblauen Nadelstreif siehst, mit
weichen Gesichtszügen unter grauen Haaren, der so nett mit den Passanten
plaudert. Bleibt das nicht für immer im Kopf?
## Keine eigene Botschaft
Die Passanten haben jetzt etwas über Ecuador gesagt. Böhrnsen fällt ein
Neffe ein, der dort mal war. Er lässt sich über alles Weitere belehren,
hört zu, als hätte er keine eigene Botschaft: Ist das wirklich einer aus
dem Ellbogengeschäft des Regierens, der dienstälteste Ministerpräsident
eines deutschen Bundeslandes gar?
Den Habitus eines Berufspolitikers hat sich Böhrnsen, der Mitte der 1990er
Jahre, nach 17 Jahren im Richteramt, erstmals fürs Parlament kandidierte,
nie zugelegt. Das kann eine Stärke sein im Umgang mit den Leuten. Das passt
wie gemalt zur einzigen deutschen Landesregierung, die laut Verfassung als
Kollegialorgan funktionieren soll – lauter Gleiche mit Präsident, aber ohne
Chef und Richtlinienkompetenz: Fachressorts hat Böhrnsen von sich
ferngehalten, abgesehen von Kultur, um die sich zu kümmern er seiner
Staatsrätin überlässt. Das bietet wenig Angriffsfläche.
Zur Schwäche gerät diese Politikferne immer dann, wenn Böhrnsen doch die
Lust überkommt, in den Diskurs hinabzusteigen, ihn zu prägen, wenn er eine
Ansage macht. Da taucht er dann, wie aufgewacht aus einem
Dornröschenschlaf, plötzlich auf, reibt sich die Augen und sagt einfach,
ganz ohne Hintergedanken, was er persönlich gerne hätte: dass vom Sparen
keiner was merkt – ach Mensch, das hätte er sich halt so sehr gewünscht.
Als eine Elterndemo gegen LehrerInnenmangel das Rathaus erreicht,
verspricht er „bei der Bildung eine Schippe drauf“ zu legen, ohne zu
bedenken, dass sich eine solche Metapher bei der nächsten Kundgebung
ratzfatz in einen medial eindrucksvollen Bagger verwandeln lässt.
Warum macht er das bloß?, fragen sich dann die strategischeren Köpfe in der
Partei, und verdrehen die Augen.
Aber mehr eben auch nicht. Es gibt keinen Widerstand gegen Böhrnsen, keine
hungrige Nachwuchskraft, die ihn beerben könnte, ihn vor Ablauf der
kommenden Legislatur verdrängen will. Nicht mal im Herbst 2013 hat sich
jemand gerührt, und das war schon ein drastischer Fall, als Böhrnsen zur
geplanten Aufhebung des Friedhofszwangs Stellung nahm. „Das war schon echt
eindrucksvoll“, heißt es aus der SPD, „wie unser Bügermeister da die Hack…
zusammengeknallt hat, auf bloßen Zuruf der Kirche“.
## Theokratie Bremen?
Die Diskussion war beendet. Ein halbes Jahr hatte sie vorher gedauert. Die
Initiative war von den Grünen ausgegangen. Man hatte gerungen, einen
Kompromiss erzielt. Die SPD hatte zugestimmt, auch die Linke war dafür. Nur
die Kirchen vertraten die historisch erstaunliche Ansicht, mit dem
Bestattungsgesetz von 1934 und seinem aus dem preußischen Geist erwachsenen
Friedhofszwang, für den es im Englischen und im Französischen bis heute
kein Wort gibt, sei in Deutschland die Menschenwürde hergestellt worden.
Aber Gottchen, Bremen ist schließlich keine Theokratie.
Der Bürgermeister: „Ich teile weitgehend die Kritik der Kirchen.“
Schließlich sei „der tote Mensch keine Verfügungsmasse, über die jemand
entscheiden“ könne. Stattdessen verfügte er, Menschen brauchten „einen Ort
zum Trauern“, und entschied: „Dieser Ort ist der Friedhof.“
Da war aber mal was los. Schweiß hat das gekostet, sogar Tränen, und Zorn.
Und die Debatte hat’s um ein Jahr verlängert, mit dem Ergebnis, dass jetzt
das Bestattungsrecht noch konsequenter liberalisiert wurde in Bremen als
ursprünglich ausgehandelt: Die Koalition hat das ausgehalten. Aber
merkwürdig war’s schon.
Zwei Euro kostet das Los. Das Geld klappert im hölzernen Kasten des
Bürgermeisters. Das Los ist orange, bedruckt mit diversen Firmenlogos,
immerhin, keine Niete: 0008522 lautet die Nummer. „Es ist …“, sagt der
Tombola-Aufseher, sein Finger fährt eine Liste ab, „hier! Es sind die
Cornflakes!“ Eine Aktionspackung, verrät der Schachtelaufdruck.
Der Erwerb zweier weiteren derselben Marke würde zugleich ein Anrecht auf
einen durch Prägung personalisierten Edelstahllöffel begründen. Das ist
nicht nichts. Keiner hat das Recht, enttäuscht zu sein. Einen Hauptpreis,
die Erlösung gar durfte niemand erwarten.
3 May 2015
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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