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# taz.de -- Bürgermeister-Rücktritt in Tröglitz: Innigkeit und Ignoranz
> Weil ihn die NPD bedroht, trat Markus Nierth von seinem Amt zurück. Er
> hatte sich für Flüchtlinge starkgemacht. Ein Ortsbesuch.
Bild: „Tröglitz ist kein braunes Nest“, sagt Markus Nierth. „Es gibt vie…
TRÖGLITZ taz | Es gab einen Moment in seinem Leben, da erfuhr Markus
Nierth, wie es ist, Flüchtling zu sein. Der Vater, ein Pfarrer, war
schwerkrank und konnte in der DDR nicht ausreichend behandelt werden. Die
Familie reiste 1986 aus. Und so saß der junge Markus Nierth auf einem
Eisenbett im Notaufnahmelager Gießen. In ein Loch sei er gefallen, erzählt
er. „Nicht, dass ich ausgegrenzt worden wäre. Aber es gab diese typische
Gleichgültigkeit.“
Und dann kam sein 17. Geburtstag. „Ein wildfremder Mensch brachte mir eine
Torte.“ Die Verblüffung ist bei Nierth noch heute herauszuhören. Vermutlich
ist es diese Erfahrung, die ihn von vielen hier in Tröglitz unterscheidet,
sie hat sie ihn empfänglich gemacht für das Schicksal von Flüchtlingen. Und
es ist ganz sicher das, was ihn hat zur Zielscheibe werden lassen.
Markus Nierth, bis vergangenen Freitag ehrenamtlicher Ortsbürgermeister von
Tröglitz, sitzt in seinem Wohnzimmer, ausgestattet mit stilvollen Möbeln,
Leuchtern, Kunstwerken, den fünfjährigen Silas fest im Arm. Nierth, 46
Jahre alt, ist im Ledersofa versunken. Er wirkt müde von der Aufregung.
Sein Abschied zieht Kreise. Am Abend wird er sich in den „Tagesthemen“
sehen können.
Sohn Silas ist schläfrig. Es ist sein gutes Recht, an Vaters Seite zu
liegen. Vergangenen Sonntag wäre diese Welt fast zerbrochen – mindestens
für Silas, vielleicht auch für alle Nierths. Denn erstmals sollte direkt
vor ihrem Anwesen demonstriert werden. Vor dem „Lindenhof“, einer
ehemaligen Gastwirtschaft, in der Nierth seit 1999 wohnt, sollte die
wöchentliche Demonstration gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in
Tröglitz enden, angemeldet von einem im Landkreis bekannten NPD-Funktionär.
## Ein „Laternen-Spaziergang“ wird angekündigt
Es sollte wohl so etwas wie ein Denkzettel werden – dafür, dass der
Bürgermeister Verständnis für die Flüchtlinge zeigt, dass er seine Bürger
ermuntert, die Situation anzunehmen, die weder er noch die anderen im Ort
beeinflussen könnten. Schließlich ist es nicht der Ortsbürgermeister, der
über die Zuweisung von Flüchtlingen zu entscheiden hat. Ein
„Laternen-Spaziergang“ in der heimeligen Gasse war angekündigt, wohl um dem
Bürgermeister und seiner Familie heimzuleuchten. Markus Nierth, 2009 mit
knapp 600 Stimmen im Amt bestätigt, ist binnen drei Monaten zum Sündenbock
geworden.
„Wenn ich geahnt hätte, was kommt, hätte ich es nicht noch mal gemacht“,
sagt er zu seiner zweiten Amtszeit, die er im Mai 2014 antrat. Nierth ahnte
aber die Schwierigkeiten, als im Dezember im Gemeinderat bekannt wurde,
dass die Kreisverwaltung des Burgenlandkreises in Tröglitz 60 Flüchtlinge
in Wohnungen unterbringen will. „Leute, das wird ein Problem geben“, hat er
den Räten der Gemeinde Elsteraue prophezeit, zu der Tröglitz gehört. „Ich
selbst habe auch Bedenken, dass wir als Sozialstruktur überfordert sein
könnten“, wiederholt er jetzt. Tröglitz, geprägt von Industrie und
Mietskasernen, ist kein homogenes Dorf. Der größte Fehler war, dass die
Abgesandten vom Kreis darauf bestanden, dass die Sitzung unter Ausschluss
der Öffentlichkeit stattfindet. Der einzige Gemeinderat mit NPD-Parteibuch
dürfte die Nachrichten begierig aufgenommen haben. Schnell kursierten
Gerüchte.
Und Markus Nierth tat etwas Ungewöhnliches. „Ich habe offensiv versucht,
meine Tröglitzer abzuholen“, sagt er rückblickend. Nierth setzte gemeinsam
mit seiner Frau an die „lieben Tröglitzer“ eine zweiseitige Botschaft auf
und ließ sie im Blickpunkt drucken, dem sonst eher drögen „Informations-
und Heimatblatt der Gemeinde Elsteraue“.
## Zweiseitige Seelenbotschaft
„Ich traue mich von meinem Innersten zu erzählen, weil ich glaube, dass wir
offen miteinander umgehen müssen“, beginnt er. Es liest sich wie eine
Epistel von Paulus. Der Apostel und begnadete Briefschreiber hat mit seiner
Gemütslage keinen geschont. Nierth tut es ihm gleich. Er reißt seine Brust
auf, schreibt über seine Ängste, Vorurteile, Hoffnungen. Denn auch Nierth
ist bange um sein Dorf. Die Tröglitzer sollten die neue Aufgabe
„durchdenken, vorbereiten und angehen“. Und er hat Ideen. Er schlägt vor,
für Asylsuchende Paten zu suchen, regt an, sie an Vereine heranzuführen,
und ermuntert Tröglitzer, ihre Sprachkenntnisse aufzubessern. Dann bitten
Markus und Susanna Nierth: „Liebe Tröglitzer, geben Sie den Fremden eine
Chance, schon um unseretwillen, denn sonst verliert Tröglitz womöglich!“
Dieser geradezu inbrünstige Ton hat seine Vorgeschichte. Markus Nierth, der
seit sieben Jahren als Trauerredner arbeitet, ist evangelischer Theologe.
Das Lutherrelief hängt nicht als Zierrat über der Wohnungstür. Nierth kam
1999 als Menschenfischer hierher. Er habe seine ganz persönliche Bekehrung
erlebt, erzählt er, und es huscht eine Freude über sein Gesicht. „Ich
wollte Missionar werden.“ Wo? Schnell kam ihm seine alte Heimat in den
Sinn. Nierth wuchs in Weißenfels auf, kaum 25 Kilometer nördlich von hier.
„Ich werde einen Hof im Osten kaufen und ein Missionsprojekt starten“, war
sein Plan. Der heruntergekommene „Lindenhof“ hat es ihm angetan. So kam er
nach Tröglitz. Im Saal, in dem seine Frau, eine Choreografin und
Tanzpädagogin, heute Ballettunterricht gibt, fanden die Gottesdienste
statt. Nierth war Pfarrer im Ehrenamt.
Doch es war wohl so, dass viele Tröglitzer verstockt blieben. Nierth
scheiterte. Die erste Ehe zerbrach. Doch Gott, so sagt es Nierth jetzt,
gibt immer wieder „Lebensweisung“. Er wurde Bürgermeister. Zuvor lernte er
seine heutige Frau Susanna kennen. Nierth wird Trauerredner. Und dann
fragte ihn die CDU, ob er als Parteiloser nicht für den Ortschaftsrat
kandidieren wolle? Er wollte. „Meine Kinder werden hier wohnen, und deshalb
wollte ich gestalten.“ Bald darauf wählten sie ihn zum Ortsvorsteher.
## Friedensgebete in der Kirche
Und nun sind sie ihn wieder los. Seit Anfang Januar zogen Tröglitzer,
Leute, die Nierth „Wutbürger“ nennt, durchs Dorf – angetrieben von der
Angst vor Flüchtlingen, inspiriert vom Pegida-Protest und befeuert von der
NPD. „Die Leute hatten Informationsbedarf“, gibt er zu. Er selbst baute
einen Infostand auf und sagte: „Demonstrieren ist okay, aber ohne NPD!“
Es kam zu Wortgefechten. „Da war ich erstmals über die Fremdenfeindlichkeit
mancher Bürger erschreckt.“ Gemeinsam mit dem Ortspfarrer organisiert er
sonntags parallel zu den Demonstrationen Friedensgebete in der Kirche, die
immer gut besucht sind. „Tröglitz ist kein braunes Nest“, beteuert er. „…
gibt viele herzliche Menschen.“ Die NPD stellt in der Gemeinde einen Rat.
Allerdings liegt Tröglitz im Dreiländereck zwischen Sachsen, Thüringen und
Sachsen-Anhalt, wo fernab der Landeshauptstädte rechtsradikale
Kameradschaften ihr Unwesen treiben – und über Mobilisierungspotenzial
verfügen.
Bald fanden die Ausfälle ihre Fortsetzung im Internet. Bei Facebook tauchte
ein Foto auf, das ein geköpftes syrisches Mädchen zeigt, Bildtext: „So
etwas werden wir auch in Tröglitz haben.“ Nierth war entsetzt. Doch je mehr
er dagegenhielt, desto mehr wurde er selbst zur Zielscheibe. Da hilft es
auch nicht, dass Nierth im neuen Blickpunkt eindringlich vor der NPD
warnte.
## Durch Zufall davon erfahren
Am 8. März sollte es bei Nierth an der Tür klopfen, doch ganz anders, als
es sich der Theologe erhofft hatte. Nur durch Zufall erfährt er, dass die
Demo vor seinem Haus enden soll. Der zuständige Beamte, der die Straße
zusammen mit dem NPD-Anmelder inspizierte, hielt es nicht für nötig, bei
Nierth zu klingeln. Zudem fühlte er sich außerstande, die Demo zu
untersagen oder zumindest den geplanten Verlauf zu unterbinden. Der
Landrat, ein Jurist, stellte sich vor die Entscheidung seiner Verwaltung.
„Wenn das so ist, dass ich als Ortsbürgermeister nicht geschützt werde,
trete ich zurück“, kündigte Nierth mit Tag und Stunde an: Freitag, 14 Uhr.
Es muss hektisch zugegangen sein im Landratsamt in Naumburg. Am Nachmittag
brüteten der Landrat, Beamte, Polizei und ein Anwalt darüber, ob der
Aufmarsch doch verboten werden könnte. Um 14 Uhr gab Nierth seinen
Rücktritt bekannt – und der NPD-Mann strich die geplante Kundgebung vor
Nierths Haus. Schließlich sei Nierth jetzt nur noch Privatperson.
Nein, es war nicht die NPD, die ihn resignieren ließ, bekräftig Nierth noch
einmal. Es war die fehlende Unterstützung durch die Verwaltung. Für den
Landrat äußert er dennoch Verständnis.
## Die Flüchtlinge kommen trotzdem
Jetzt liegt Nierth fast schon in seinem Sofa. „Ich bin ziemlich kraftlos“,
räumt er ein. Viele Tröglitzer haben ihn gebeten weiterzumachen. „Es tut
mir leid, sie jetzt alleinzulassen“, sagt’s, überlegt und korrigiert sich:
„Nein, es tut mir weh.“ Sacht hebt er Silas hoch. „Die Kinder mussten in
den letzten Wochen viel aushalten“, flüstert er, entschuldigt sich und
verschwindet mit dem Jungen durch die Diele.
Die gepflasterte Thälmannstraße liegt in der Märzsonne, das Pflaster
glänzt. Sie ist die Hauptachse von Tröglitz. Hier in einem gelben Mietshaus
werden im Mai die ersten Flüchtlinge einziehen. Noch ist alles leer. Am
oberen Ende der Straße ragt das Schwarze Brett der Gemeinde aus dem Boden.
Man habe die Asylanten nicht hergeholt, „und der überwiegende Teil will sie
auch nicht“, steht da geschrieben. Nierth schreibe in seinen Briefen nur
„Mist, Mist, Mist“. „Leute mit ehrbarer Arbeit“ fordern: „Wir wollen …
einfach nur unsere Ruhe haben.“
Dazu wird es nicht kommen. Am Montagabend beschließt der Kreistag mit
großer Mehrheit, dass 40 Flüchtlinge nach Tröglitz kommen sollen. Zuvor
bedauert der Landrat Nierths Rückzug. „Der Rücktritt wird eine Lücke
reißen.“ Vor dem Eingang ist man da anderer Meinung. NPD-Anhänger stecken
die Köpfe zusammen und freuen sich über Nierths Schritt. „Ich hab’s durch
Zufall im Internet gesehen“, ruft einer begeistert. Es klingt, als hätten
sie einen großen Sieg errungen.
11 Mar 2015
## AUTOREN
Thomas Gerlach
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