# taz.de -- Debatte antirassistische Sprache: Infantile Sprachmagie | |
> Migrationsvordergründler oder Mehrheimischer? Sprache kann therapeuthisch | |
> gefärbt werden, aber die richtige Sprache gegen Rassismus gibt es nicht. | |
Bild: Wird Differenz aus der Sprache verbannt, werden wir sprachlos. | |
Ich bin nicht der Richtige, um den folgenden Text zu schreiben. Weiße haben | |
zu schweigen wie Kinder, wenn sich die eigentlich Betroffenen wie | |
Erwachsene über „antirassistische Sprache“ verständigen. Erstens, weil | |
angeblich privilegierte Weiße keine Erfahrung mit rassistischer Ausgrenzung | |
haben. Zweitens, weil man sich mit jeder Einlassung zu diesem heiklen Thema | |
in denkbar schlechte, weil reaktionäre Gesellschaft begibt. | |
Mit meiner Existenz als „weißer Deutscher“ oder „Biodeutscher“ kann es… | |
so weit nicht her sein. Dafür erinnert die Farbe meiner Haut zu sehr an | |
Ovomaltine. Leider endet das Wissen über meine Herkunft bei deutschen | |
Urgroßeltern, dahinter erstreckt sich das Reich familiärer Mythen. | |
Hugenotten waren ganz sicher dabei, sehr wahrscheinlich auch Sizilianer. | |
Oder waren es Sinti, Roma, Jenische, Manusch, Kalderasch? | |
Es könnten auch Hunnen gewesen sein, zumal ich an verkaterten Morgen | |
ziemlich asiatisch aussehen kann. Ja, asiatisch. Ist aber nur meine | |
„Selbstzuschreibung“, um im Jargon zu bleiben. Die Fremdzuschreibung wäre, | |
dass ich ein „weißer Deutscher“ bin. Als solcher bin ich so frei, einen | |
gewissen Redebedarf anzumelden. | |
Es geht damit los, dass dieser Text eigentlich eine sogenannte | |
Triggerwarnung bräuchte. Eine solche Warnung soll traumatisierten Menschen | |
signalisieren, dass sie sich durch die Lektüre böser Worte wie „Zigeuner“ | |
erneut verletzt fühlen könnten. Autoren, die das verhindern möchten, | |
verstecken den „Neger“ daher fürsorglich im „N-Wort“. | |
## Das Wort „wir“ als Ausgrenzung | |
Es spricht nichts dagegen, Sprache therapeutisch einzufärben. Es spricht | |
auch nichts gegen die Suche nach kreativen Neuschöpfungen für die allseits | |
gewünschte Einwanderungsgesellschaft. Wir sollten aber darüber reden | |
können, ob diese wichtige und notwendige Arbeit – sozusagen am Quellcode | |
unserer Sprache – nicht besser gebündelt und vermittelt werden sollte. Denn | |
im Moment führt sie zu nichts anderem als präventivem Verstummen. | |
Wir müssten reden, aber wir können es nicht. Weil alleine schon das | |
Wörtchen „wir“ inzwischen unter dem Verdacht steht, ein perfides Instrument | |
der Ausgrenzung zu sein. Für einen Verein aus Journalisten „mit und ohne | |
Migrationshintergrund“, die Neuen deutschen Medienmacher, ist das „wir“ | |
zunächst „ein harmloses Wort, das jedoch leicht zu Ausgrenzung führt. Wer | |
genau ist damit gemeint?“ Tja, wer könnte damit wohl gemeint sein? | |
Vielleicht einfach … wir? Aber es stimmt schon, das „wir“ markiert eine | |
Unterscheidung, wo doch keine Unterscheidung gewünscht ist – denn es | |
impliziert immer ein „ihr“. | |
Selbstverständlich soll die Minderheit selbst darüber entscheiden dürfen, | |
wie sie angesprochen werden will. In der „breiten Bevölkerung“ aber | |
herrscht keineswegs Konsens darüber, dass sich Bezeichnungen wie | |
„Negerküsse“ verbieten. Gewohnheit ist mächtig, hat Momentum und ist | |
allergisch gegen Bevormundung. Eben deshalb wurde diese schleichende | |
Rechtschreibreform zum Guten hin überhaupt erst in Gang gesetzt. | |
Aber wer genau spricht denn mit welcher Legitimation für wen? Ist nicht der | |
Begriff „Minderheit“ an sich schon diskriminierend? Ich kenne keine | |
Antwort. An welches Blog, welches Forum, welchen Ausschuss soll ich mich in | |
solchen Fragen halten? Seit wann ist die evidente Tatsache, dass Aung San | |
Suu Kyi „asiatisch“ und ein Robert Mugabe eher „afrikanisch“ aussieht, | |
besser zu verschweigen? Hätten denn beider Vorfahren auch Wikinger sein | |
können? Muss ich den Kaiser als nackt bezeichnen, auch wenn ich seine | |
Tracht deutlich erkenne? | |
Seit wann genau darf ich warum genau nicht mehr über die Genealogie, also | |
die „Wurzeln“ eines Menschen sprechen? Haben wir denn nicht alle welche? | |
Was wäre damit gewonnen, sie zu leugnen? | |
Wenn wir nun, vorsichtig geworden, vom „Farbigen“ sprechen, dürfen wir uns | |
von politisch korrekten Einsatzgruppen belehren lassen, „farbig“ im Sinne | |
von „eingefärbt“ beschönige die Abweichung von einer „weißen“ Norm, … | |
deshalb ebenfalls zu verwerfen. | |
## Migrant oder Postmigrant? | |
Im Regen steht auch, wer sich auf Höhe des Diskurses wähnt und die | |
vermeintlich progressive Umschreibung „People of Color“ für Nicht-Weiße | |
benutzt, zumal schon Martin Luther King von „Citizens of Color“ sprach. | |
Zwar muss sich einmal eine Repräsentationsgruppe für die Selbstzuschreibung | |
„People of Color“ ausgesprochen haben. Doch gibt es neue Gruppen, die darin | |
wiederum nur eine Variante von „Farbige“ erkennen. Nein, „Schwarzer“ ist | |
die korrekte Bezeichnung. Einstweilen. | |
Was klären sollte, stiftet eine ungesunde Verunsicherung. Ungesund, weil | |
sie ausgerechnet jene erfasst, die ohnehin um eine gerechte Sprache bemüht | |
sind. Lern- und Gutwillige nähern sich manchen Begriffsfeldern inzwischen | |
wie unbehelmte Radfahrer einer vielbefahrenen und absolut irrsinnig | |
beschilderten Großkreuzung. Nicht die Belehrung als solche, sondern die | |
Flut widersprüchlicher „Leitfäden“ und Ermahnungen ist problematisch. | |
Da wird der „Einwanderer“ vom latinisierten „Migranten“ abgelöst, der … | |
Gegensatz zum „Inlandsgeborenen“ oder gar „Postmigranten“ steht, dessen | |
Bedürfnisse sich wiederum von dem eines „Migrationsvordergründlers“ | |
unterscheiden, vom „Mehrheimischen“ ganz zu schweigen, der vielleicht doch | |
besser „Kulturbereicherer“ genannt werden sollte. Ich bin ein | |
Mehrheimischer. Aber ich bin nicht gemeint. | |
Wenn sprachgesetzliche Novellen sich alle fünf Minuten selbst | |
aktualisieren, sind irgendwann nur noch die ehrenamtlichen | |
Führungsoffiziere der Sprachpolizei auf dem neuesten Stand. Welches Wort | |
ist gerade in Quarantäne? Welches hat Freigang? Das ist Herrschaftswissen, | |
und entsprechend schnöselig klingen die Zurechtweisungen. Selbst Seminare | |
zum Training „antirassistischer Sprache“ für Journalisten finden unter der | |
Vorgabe statt, dass ihre Prämissen nicht diskutiert werden. | |
## Sprachverfechter sind naiv | |
Dabei müsste gerade über eine Prämisse gesprochen werden, die davon | |
ausgeht, eine „gerechtere Sprache“ sei die Grundlage einer gerechteren | |
Welt. Es könnte nämlich sein, dass das nicht stimmt. Es könnte sein, dass | |
die forcierte Dekonstruktion von „Konstrukten“ auch Unterschiede einebnet, | |
die kostbar sind. | |
In der Moderne ist noch jedes ideologische Projekt bei dem Versuch | |
gescheitert, einen Homo novus zu schaffen. Und nun sollen wir das hohe Ziel | |
durch ein paar läppische Manipulationen im Maschinenraum der Sprache | |
plötzlich selbst herbeipalavern können? Wirklich? | |
Wer glaubt, durch die beflissene Behandlung symptomatischer Sprache ließe | |
sich die Krankheit des Rassismus beheben, erliegt infantiler Sprachmagie. | |
Was ich nicht nenne, ist auch nicht da. Es ist diese bestürzende Naivität, | |
mit der gerade die furiosesten Verfechter einer ungeheuer wichtigen Sache | |
unser Anliegen torpedieren, ganz bequem aus dem elitär-akademischen | |
Elfenbeinturm heraus – und wirksamer, als ihre echten Gegner, auch die mit | |
den Baseballschlägern, das jemals könnten. | |
Sprache ist intuitiv und immun gegen technokratische Versuche, ihr gut | |
gemeinte, aber kontraintuitive Kunstbegriffe zu implementieren. Wer | |
„Zigeuner“ schmutzig finden möchte, der kann, wie unlängst in der | |
Süddeutschen Zeitung geschehen, auch „Sinti und Roma“ schmutzig finden. Wer | |
nur die Anzeichen bekämpft, lässt die Krankheit fortschreiten. | |
## Differenzen dürfen nicht verbannt werden | |
Wenn mein Kollege das „R“ rollt, frage ich ihn, ob er aus Bayern, Franken | |
oder Schwaben kommt. Wenn mein Kollege diese besondere Melodie in seiner | |
Stimme hat, frage ich ihn, ob er aus Pakistan, Indien oder Bangladesch | |
kommt. Das könnte man „Interesse“ nennen. Wenn es mein Gegenüber für | |
erstrebenswert hält, als „Deutscher“ mit oder ohne irgendwelche | |
Hintergründe wahrgenommen zu werden, wird er es mir sagen. Und ich werde es | |
respektieren. Weshalb sollte ich mir ohne Not selbst kryptorassistische | |
Tendenzen unterstellen? | |
Noch besser wären Gegenfragen – zu meiner Herkunft. Bestenfalls kommt es | |
dann zu einem dialogischen Abgleich der Lebenswelten, einem – ja, warum | |
denn nicht? – gleichberechtigten Austausch unterschiedlicher Erfahrungen. | |
Das könnte man „Gespräch“ nennen. Eine bewährte und bereichernde | |
Kulturtechnik, für die man sich nur auf eine gemeinsame Sprache einigen | |
muss. | |
Sprache ist Unterscheidung, zwischen rechts und links, gut und böse, | |
Schwarz und Weiß. Jeder Versuch, die Differenz aus ihr zu verbannen, führt | |
notwendigerweise in die Sprachlosigkeit. Nicht die Differenz ist der Feind. | |
Unsere Wachsamkeit sollte vielmehr den finsteren Absichten gelten, wegen | |
derer Differenz bisweilen über Gebühr betont wird. | |
6 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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