# taz.de -- Kinderbücher: Lesend neue Welten erschließen | |
> Erstmals hat die Neuköllner Werkstatt der Kulturen eine Kinderbuchparty | |
> veranstaltet. Vorgestellt werden Bücher, die gesellschaftliche Vielfalt | |
> anbieten. | |
Bild: Neue Welten erschließen sollen Bücher - nicht ausgrenzen. | |
Fünf kleine Mädchen tummeln sich auf der Bühne, die eingerichtet ist wie | |
ein Kinderzimmer. Plüschbären, Schaukeltiere, Spielzeugkiste. An der Wand | |
im Hintergrund flimmern Bilder von lesenden Kindern. Sie liegen auf der | |
Wiese, lümmeln auf Sesseln oder lesen gemeinsam mit der Mama kuschelnd im | |
Bett. „Meine Damen und Herren, liebe Botschafter und Kinder! Ich | |
präsentiere Ihnen: gar nichts!“ ruft ein Mädchen mit geflochtenen Zöpfchen | |
ins Mikrofon. Ganz so stimmt das natürlich nicht. Die Werkstatt der | |
Kulturen hat an diesem Sonntag Nachmittag zur Kinderbuchparty geladen. | |
„Empowerment durch Lesen“ ist das Motto. Kindern jeder Herkunft soll hier | |
ein Forum geboten werden, sich mit Kinder- und Jugendliteratur auseinander | |
zu setzen, die frei von Diskriminierung und Rassismen ist. „Geschichten zum | |
Tagträumen und Mitfiebern, zum Lachen und Gruseln, zum Kichern und Staunen“ | |
heißt es in der Einladung. | |
Ein Büchertisch steht bereit. Kinderwelten, ein Projekt zur | |
vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen und | |
Grundschulen, stellt eine Auswahl an Kinder- und Jugendbüchern vor. Die | |
Kinder und Eltern können sie sich ausleihen und gemeinsam an den | |
Bistrotischen darin lesen. Auch die Stadtbibliothek Neukölln hat für den | |
Tag Bücher zur Verfügung gestellt. Es sind größtenteils Bücher in deutscher | |
Sprache, aber auch englische, türkische oder arabische Titel finden sich | |
darunter. Gemeinsam haben alle, dass sie die gesellschaftliche Vielfalt | |
abbilden wollen. Vom Cover des Buches „I love my Hair“ lacht einem ein | |
Mädchen mit schwingenden Rastazöpfen entgegen. „Das schwarze Buch der | |
Farben“ ist in Blindenschrift geschrieben, und Leser können die | |
dazugehörigen Bilder mit den Fingern erfühlen. Gabriele Koné, eine | |
Pädagogin von Kinderwelten, erzählt, dass es in der Auswahl darum geht, | |
nicht nur das typische Familienbuch anzubieten, sondern auch Bücher, die | |
pädagogisch in ganz neue Richtungen weisen. Ein Junge schaut die Kisten | |
durch. Gabriele Koné fragt: „Willst du das anschauen?“ und setzt sich mit | |
ihm zusammen, um ihm das ausgewählte Buch vorzulesen. Familiär ist die | |
Stimmung hier, viele kennen sich. Mitglieder einer Facebook-Gruppe mit dem | |
Namen „Empowerment durch Lesen“ haben hier –außerhalb der virtuellen Wel… | |
Gelegenheit zum Austausch. Als Maisha Eggers und Mekonnen Mesghena die | |
Bühne betreten, stellen sie als erstes klar, dass sich hier alle duzen | |
dürfen. | |
Der Saal ist inzwischen gut gefüllt. Dr. Maureen-Maisha Eggers ist | |
Erziehungswissenschaftlerin. Sie forscht aktuell zu den Themen „Differenz, | |
Dominanz und Diversität“ in Medien, die sich an Kinder und Jugendliche | |
richten. Sie und Mekonnen Mesghena, der Diversity-Beauftragte der | |
Heinrich-Böll-Stiftung, treffen sich auf der Bühne zum Gespräch. | |
Maureen-Maisha Eggers erzählt von der Lesebiografie ihrer Kindheit, die sie | |
in Kenia verbracht hat. Natürlich sei sie im British Commonwealth sehr früh | |
mit den Büchern Enid Blytons konfrontiert worden. Sie hätte sie | |
verschlungen, sagt sie, wie Kinder überall auf der Welt. „Aber ich als | |
schwarzes Kind kam da nicht handelnd vor. Überhaupt gab es in den Büchern | |
meiner Kindheit sehr wenig schwarze Leute. Und wenn, dann waren sie negativ | |
besetzt. Soviel zu dominanter Literatur.“ | |
Ein Mädchen aus dem Publikum bemerkt, dass ihr das gar nicht so wichtig | |
wäre, sie könne sich die Figuren ja schwarz vorstellen. Maisha Eggers | |
antwortet, dass es aber eine große Anstrengung wäre, sich selbst immer | |
mitdenken zu müssen. „Es ist ein bisschen wie bei einem Toaster, der nur | |
Brötchen toastet, aber keinen Toast. Dann ist die Hauptaufgabe nicht | |
erfüllt.“ Denn die Aufgabe von Kinder- und Jugendliteratur sei es, Kinder | |
handlungsfähig zu machen in einer von Ungleichheiten durchzogenen | |
Gesellschaft. Mekonnen Mesghena ergänzt, dass das im Film ganz ähnlich sei. | |
Für viele Weiße sei es immer noch schwer, sich schwarze Personen in | |
Hauptrollen vorzustellen – als Ärztin oder Anwältin beispielsweise. „Alle | |
haben sich damit arrangiert, auch People of Color selbst, dass sie nicht | |
vorkommen.“ Man müsse das einfach viel öfter machen, damit alle sich daran | |
gewöhnen. Während des Gesprächs flitzen Kinder umher, quietschen und | |
schnattern. Es wird Zeit, dass endlich das Kinderprogramm losgeht. | |
Mekonnen Mesghenas Tochter Timnit betritt die Bühne. Sie hat sich hübsch | |
gemacht, weißes Kleid und frisch geflochtene Haare. Sie wird heute aus der | |
überarbeiteten Ausgabe aus Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ lesen. Sie | |
und ihr Vater hatten sich im Frühjahr an den Verlag gewandt, um über die | |
Verwendung verletzender Begriffe, die im Buch vorkamen, ins Gespräch zu | |
kommen. Der Verlag zeigte sich verständnisvoll und strich ein Wort. Das | |
löste eine große gesellschaftliche Diskussion über Sprache und Zensur aus, | |
die sogenannte Kinderbuchdebatte. Die Achtjährige kündigt an: „Ich lese | |
euch jetzt das Kapitel vor, das wir letztes Jahr nicht lesen wollten, aber | |
es wurde geändert.“ Applaus, dann wird gebannt gelauscht. Im Kapitel seien | |
immer noch fragwürdige Passagen, merken einige Eltern an. Heute will man | |
hier jedoch abseits der Debatte zusammenkommen, um sich unaufgeregt | |
auszutauschen. | |
Hier auf der Veranstaltung, wolle man keinem etwas vorwerfen, sagt Philippa | |
Ebéné, die Chefin und kulturelle Leiterin der Werkstatt der Kulturen, das | |
bringe nichts. „Neue Räume zu öffnen und Perspektiven aufzuzeigen ist viel | |
befriedigender.“ Die Kinderbuchparty fand diesen Sonntag zum ersten Mal | |
statt. Für nächstes Jahr sind weitere Veranstaltungen geplant. Timnit | |
Mesghena freut sich. Obwohl sie vor ihrem Auftritt ganz schön aufgeregt | |
war, hätte es großen Spaß gemacht. Sie kann es sich vorstellen, wieder | |
einmal für andere Kinder vorzulesen. | |
20 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Katja Musafiri | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Anti-Rassismus | |
Anti-Rassismus | |
Preußler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte antirassistische Sprache: Missionarskopf im Brötchen | |
Wer unsere Sprache nicht hinterfragt, will sich nicht mit Rassismus | |
beschäftigen. Wir müssen endlich aus der Euphemismus-Tretmühle ausbrechen. | |
Debatte antirassistische Sprache: Es gibt keine „Sprachpolizei“ | |
Sensibel über Differenz zu sprechen ist nicht so schwer, wie manche denken. | |
Die Angst vor einer „politisch korrekten“ Sprachlosigkeit ist übertrieben. | |
Debatte antirassistische Sprache: Infantile Sprachmagie | |
Migrationsvordergründler oder Mehrheimischer? Sprache kann therapeuthisch | |
gefärbt werden, aber die richtige Sprache gegen Rassismus gibt es nicht. | |
Diskriminierende Sprache bei Preußler: Die Kleine Hexe, ohne Rassismus | |
„Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler wird künftig ohne diskriminierende | |
Begriffe erscheinen. Ein Leserbrief hat die Nachkommen des Autors | |
überzeugt. |