# taz.de -- Debatte antirassistische Sprache: Missionarskopf im Brötchen | |
> Wer unsere Sprache nicht hinterfragt, will sich nicht mit Rassismus | |
> beschäftigen. Wir müssen endlich aus der Euphemismus-Tretmühle | |
> ausbrechen. | |
Bild: Ein Schaumkuss auf einem deutschen Brettchen | |
Sprachbewahrer mussten in den vergangen Monaten ganz tapfer sein. Erst | |
wurde das Wort „Neger“ aus dem Kinderbuch „Die kleine Hexe“ von Otfried | |
Preußler gestrichen. Dann musste sich ein süddeutscher Konditor für seine | |
„Mohrenköpfle“, die er auf einem Tübinger Schokoladenmarkt feilbot, einen | |
neuen Namen suchen. Und jetzt soll auch noch das Zigeunerschnitzel dran | |
glauben? In Hannover haben gleich mehrere Restaurants, der Vorgabe der | |
Stadt folgend, den Begriff – nicht das Gericht! – von der Speisekarte | |
gestrichen. Es heißt jetzt Schnitzel nach Balkan, Budapester oder | |
Ungarischer Art. | |
Erstaunlich daran ist weniger, dass bestimmte Begriffe, in denen sich der | |
tradierte Alltagsrassismus spiegelt, heute in Frage gestellt werden. | |
Erstaunlich ist, dass das erst jetzt geschieht. Und erstaunlich ist, auf | |
was für eine erregte Abwehr das oft stößt – auch bei Menschen, die sich | |
gemeinhin für links, fortschrittlich und aufgeklärt halten. Die reagieren | |
oft auch nicht anders als der dumpfe Stammtischbruder: mit einem empörten | |
„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Außerdem habe man das immer | |
schon so gemacht, was sei also dabei? | |
Dabei ist die Bezeichnung „Zigeunerschnitzel“ zum Beispiel jüngeren Datums. | |
Wie der Linguist Anatol Stefanowitsch herausgefunden hat und im sehr | |
lesenswerten „Bremer Sprachblog“ erläutert, taucht der Begriff erst seit | |
den Fünfzigerjahren in deutschen Kochbüchern auf – wahrscheinlich, um dem | |
herkömmlichen Paprikaschnitzel, wie es davor genannt wurde, einen | |
zusätzlichen exotischen Anstrich zu geben. Den Völkermord an den Sinti und | |
Roma hatte man bis dahin offenbar erfolgreich verdrängt und durch | |
romantische Assoziationen ersetzt. Der Begriff „Mohrenkopf“ hingegen | |
spiegelt einen kolonialistischen Blick wieder, der schwarze Menschen zum | |
Objekt degradiert. Man stelle sich vor, im Kongo gäbe es ein Gebäck, das | |
als „Missionarskopf“ verspeist würde: der Gedanke an einen ins Symbolische | |
verlagerten Kannibalismus läge nicht fern. | |
Natürlich ändert sich noch nichts an der Ablehnung einer Gruppe, wenn man | |
statt „Mohrenköpfe“ jetzt „Schokoküsse“ sagt, „Zigeuner“ durch �… | |
Roma“ ersetzt und „türken“ nicht mehr als Synonym für „fälschen“ b… | |
Der Linguist Steven Pinker hat das „Euphemism Treadmill“ genannt, eine | |
Euphemismus-Tretmühle: Tritt an die Stelle von belasteten Begriffen ein | |
neues, neutrales Wort, dann nimmt dieses bald eine negative Färbung an, | |
wenn sich an der grundsätzlichen Wahrnehmung der Gruppe nichts ändert. | |
So ging es in den USA mit Begriffen wie „Negro“, „Black“ und „African | |
American“, die einander abgelöst haben, und so ging es auch in Deutschland | |
mit Bezeichnungen wie „Gastarbeiter“, „Ausländer“ und „ausländischer | |
Mitbürger“. Diese Spirale lässt sich nur aufbrechen, wenn sich die | |
grundsätzliche Wahrnehmung der jeweiligen Gruppe verbessert – und das | |
passiert meistens erst, wenn sich an den Machtverhältnissen etwas ändert | |
und sich bislang marginalisierte Gruppen ihr Recht auf Mitsprache | |
erkämpfen. | |
## | |
Sich der eigenen Sprache bewusst zu werden zwingt einen aber dazu, auch die | |
tiefer liegenden Denkmuster zu reflektieren. Deutsche Journalisten, die | |
gedankenlos jahrelang einen Begriff wie „Dönermorde“ benutzt haben, um | |
einen Serienmord an überwiegend türkischstämmigen Kleinunternehmern zu | |
bezeichnen, hätten allen Grund dazu. | |
Aus solchen Fehlleistungen spricht die Unfähigkeit und der Unwillen, sich | |
in den anderen hinein zu versetzen. Dabei können Menschen, die sich für | |
offen und modern halten, genauso diskriminierend sein wie andere – aus | |
Ignoranz, Selbstgerechtigkeit oder Lust an der Provokation. Sie denken, | |
wenn sie Worte wie „Negerküsse“ und „Zigeuner“ benutzen oder Witze üb… | |
„Türken“ machen, dann kann das gar nicht rassistisch sein. Sie sind doch | |
schließlich gegen Nazis! Als ob sich nicht jeder Mensch, egal welcher | |
Herkunft und Überzeugung, diskriminierend verhalten könnte. | |
## Sprache kann verletzen | |
Man braucht wirklich keine Koryphäe der Sprachwissenschaft zu sein, um zu | |
wissen, dass Sprache verletzen kann: Niemand lässt sich gerne beleidigen. | |
Und wer aufgrund seiner Herkunft oder Hautfarbe sowieso schon weniger | |
Chancen auf einen Job oder eine Wohnung hat, möchte sich bestimmt nicht | |
auch noch über schlechte Witze oder respektlose Bemerkungen ärgern müssen. | |
Doch genau über diesen Alltagsrassismus wollen viele nicht nachdenken. | |
Hinter dem, was vordergründig nur ein Konflikt um die Deutungshoheit über | |
die deutsche Sprache ist, verbirgt sich deshalb ein Kampf um Anerkennung. | |
Durch die Kritik von Minderheiten fühlen sich aber die, die bislang die | |
Definitionsmacht inne hatten, plötzlich in die Situation gebracht, sich für | |
ihren bisherigen Sprachgebrauch rechtfertigen zu müssen. Das führt zu | |
dieser Mischung aus aggressiver Abwehr, Verhöhnung und Weinerlichkeit („Ich | |
bin doch kein Rassist!“), die für diese unsägliche Debatte so kennzeichnend | |
ist. | |
Dabei unterliegt unsere Sprache einem ständigem Wandel. Wir gewöhnen uns | |
fortlaufend an neue Begriffe. Worte wie „Handy“, „Internet“ und „chat… | |
aber auch „chillen“ und „Meeting“ oder „Hartz IV“, „guttenbergen�… | |
„Niveaulimbo“ sind ganz selbstverständlich in unseren Wortschaft | |
eingegangen. Wir sind außerdem der ständigen Manipulation unserer Sprache | |
durch Werbung und politische Spin-Doktoren ausgesetzt, die Bombardements | |
als „chirurgische Eingriffe“ bezeichnen und Tote hinter dem Wort | |
„Kollateralschäden“ verbergen. Warum aber rufen solche Neuerungen nicht | |
annähernd so viel Widerstand hervor wie der Versuch von Minderheiten, auf | |
eine diskriminierungsfreie Sprache zu drängen? | |
Es ist ja nicht so, dass dies zum ersten Mal geschieht. Nach dem Zweiten | |
Weltkrieg haben die Deutschen schließlich gelernt, antisemitische | |
Redewendungen und den Nazi-Jargon aus ihrem Wortschatz zu tilgen – ob aus | |
Einsicht oder aus moralischem Druck sei einmal dahin gestellt. Wer heute | |
noch von „Entartungen“ spricht, wie es Bernd Lucke von der Alternative für | |
Deutschland getan hat, der macht sich deshalb zu Recht verdächtig. | |
Auch Redewendungen wie „Hier geht es ja zu wie in der Judenschule“, die | |
vielen älteren Deutschen noch geläufig sein dürften, sind so gut wie | |
ausgestorben, ohne dass dies empörte Sprachschützer auf den Plan gerufen | |
hätte. Und der Ausdruck „Judenfurz“, der in Süddeutschland für eine | |
bestimmte Form von Feuerwerkskörpern verbreitet war, ist zu Recht auf dem | |
Müllhaufen der Geschichte gelandet. | |
Zu behaupten, der Verzicht auf diskriminierende Begriffe mache sprachlos, | |
ist genau so absurd wie die Befürchtung, dass Flirts nicht mehr möglich | |
seien, weil Rainer Brüderles anzügliche Dirndl-Äußerung skandalisiert | |
wurde. Nein, ein Dialog auf Augenhöhe bleibt weiter jederzeit möglich. | |
Wenn nun Gruppen wie Afrodeutsche und Sinti und Roma Änderungen fordern, | |
dann führt das zwar zu neuen Diskussionen. Diese sind aber unvermeidbar, | |
notwendig und produktiv. Gut möglich, dass künftige Generationen in einigen | |
Jahren mit ungläubigem Staunen auf manche Debatten von heute blicken | |
werden. Vielleicht werden unsere Kinder dann einmal fragen: Tatsächlich, | |
ihr fandet bis 2013 nichts dabei, das Wort „Neger“ in Kinderbüchern zu | |
lesen? Und ihr habt „Zigeunerschnitzel“ gegessen? Wie wart ihr denn drauf? | |
12 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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