# taz.de -- Diskriminierungen von Sinti und Roma: Der Blick des „Herrenmensch… | |
> Durch Europa rollt eine antiziganistische Welle. Der Vorsitzende des | |
> Zentralrats der Sinti und Roma kritisiert die mediale Berichterstattung | |
> und die Politik. | |
Bild: Romani Rose appelliert an die Verantwortung der Medien | |
BERLIN taz | Frauen werden im Supermarkt angepöbelt. Männer verschweigen im | |
Sportverein ihre Zugehörigkeit. Kinder werden von Mitschülern gefragt, ob | |
ihre Eltern sie irgendwo gestohlen haben. Das sind die Folgen jener | |
antiziganistischen Welle, die gerade durch Europa rollt. | |
Betroffen von Vorurteilen und Diskriminierungen sind Sinti und Roma. | |
„Unsere Menschen sind nach 600, 700 Jahren in diesem Land gezwungen, ihre | |
Zugehörigkeit zu verbergen“, sagt Romani Rose bitter. | |
Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, ist am Dienstag | |
in die Bundespressekonferenz gekommen, um über „Roma am Pranger – die | |
Verantwortung der Medien“ zu sprechen. Der Zentralrat, so Rose, sei „tief | |
besorgt über die Auswirkungen der nationalen und internationalen | |
Berichterstattung über in Griechenland und Irland angeblich von Roma | |
,geraubte blonde Kinder‘“. | |
Gemeint sind die Fälle zweier blonder Mädchen, die Polizisten in | |
Griechenland und in Irland bei Roma-Familien fanden. Der Verdacht der | |
Kindesentführung und des Menschenhandels stand im Raum, die Behörden nahmen | |
die Kinder in Obhut. Das irische Mädchen ist mittlerweile wieder bei seiner | |
Familie, ein DNA-Test hatte bewiesen, dass das zunächst verdächtigte Paar | |
tatsächlich die leiblichen Eltern des Kindes sind. | |
## Falsche Spekulationen | |
Und auch der Fall der griechischen Maria klärte sich recht unspektakulär | |
auf: Das Mädchen war ihren Zieheltern im Roma-Camp laut Aussage dessen | |
leiblicher Mutter, einer bulgarischen Roma, freiwillig übergeben worden, | |
als diese vor vier Jahren als Erntehelferin in Griechenland arbeitete. | |
Die Polizeiaktionen, so Rose, führten zu Berichterstattungen, die zum Teil | |
„eigene Versionen des Falles“ erschufen und in Deutschland und weltweit auf | |
die gesamte Minderheit der Sinti und Roma projiziert wurden. Sie basiere | |
„auf rassistischen Grundmustern, unter denen jetzt die gesamte Minderheit | |
zu leiden hat“. | |
Der Zentralratschef forderte den nächsten Bundestag auf, eine | |
Expertenkommission einzusetzen, die die Feindlichkeit gegenüber Sinti und | |
Roma in Deutschland dokumentiert. Zudem solle das Gremium einmal pro | |
Legislaturperiode einen entsprechenden Bericht vorlegen. | |
## Unterstützung bleibt aus | |
Rose kritisierte, dass es trotz der wieder vermehrt zirkulierenden | |
Vorurteile gegen Sinti und Roma keine Unterstützung seitens der | |
Bundesregierung gibt. Die Bundeskanzlerin habe im Wahlkampf versprochen, | |
sich nach der Wahl mit Vertretern des Zentralrats zum Gespräch zu treffen. | |
Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz machte in einem Statement auf die | |
mediale Konjunktur des Wortes „Zigeuner“ aufmerksam. Grund seien | |
Überfremdungsängste der EU-Bürger, aber auch Fotoreportagen aus | |
südosteuropäischen Roma-Elendsquartieren, die „den Blick des | |
Herrenmenschen“ einnähmen. | |
„Im Fall von Juden“, so Benz, „ist in den Redaktionen vierfache Vorsicht | |
selbstverständlich.“ Das Schicksal der Sinti und Roma im | |
Nationalsozialismus sei offenbar noch nicht jedem Journalisten bewusst. | |
5 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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