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# taz.de -- Blonde Roma-Kinder: Schema King Kong
> In Griechenland sollen Roma ein blondes Mädchen entführt haben. In Irland
> gibt es einen ähnlichen Fall. Wer hier nach Mustern sucht, wird woanders
> fündig.
Bild: Mutter und Kind in Nikolaevo, Bulgarien.
Geschichten von kinderraubenden Zigeunern kursieren seit Jahrhunderten
„Mehrere Schriftsteller“, schrieb Heinrich Grellmann, „reden von
Menschenraub der Zigeuner und beschuldigen sie, dass sie besonders Kindern
nachstellen.“
Glauben mochte der deutsche Aufklärer die beliebte Story schon anno 1783
nicht mehr. „Die Wahrheit jener Beschuldigung“, meinte er, werde schon
„durch den Umstand äußerst verdächtig, dass lange zuvor, ehe noch ein
Zigeuner europäischen Boden betreten hatte, die Juden damit verschrien
wurden.“
Ob Zigeuner wirklich Kinder stehlen, konnte der Kulturhistoriker Grellmann
nicht recherchieren. Er verfügte aber über genügend aufgeklärte Skepsis, um
die Rede vom Kinderraub einem Plausibilitätstest zu unterwerfen. Wenn ein
altes Märchen von den Juden nach seiner Entmystifizierung so mir nichts,
dir nichts auf eine andere Gruppe übertragen wurde, konnte etwas nicht
stimmen.
230 Jahre später schaffte es die Geschichte von der blonden kleinen Maria
in einer griechischen Roma-Siedlung zur elektrisierenden Top-Meldung – ganz
ohne Plausibilitätstest.
## Skinheads auf der Suche nach dem blonden Kind
Binnen Tagen entdeckte die Polizei ein zweites blondes Mädchen im Kreise
der dunklen Gestalten, diesmal in Irland. In Serbien waren es nicht
Polizisten, sondern Skinheads, die sich auf die Suche nach kleinen weißen
Frauen in den Händen eines King Kong machten.
Eine Gruppe in Novi Sad versuchte, einem Roma-Vater seinen allzu
hellhäutigen zweijährigen Sohn abzunehmen. Dass ein Angehöriger der
Roma-Volksgruppe auf dem Balkan ein blondes Kind stiehlt, lässt sich nicht
ausschließen; möglich ist schließlich alles unter der Sonne. Dass es aber
„viele Marias“ gibt, wie man in der Bild lesen konnte, ist ausgeschlossen.
Die Eltern der in Portugal verschwundenen Madeleine McCann, erfuhr man,
schöpften nach der Nachricht von der kleinen Maria gleich wieder Hoffnung.
Das Detail hätte uns daran erinnern können, dass mittel- und
westeuropäische Kinder nicht einfach so verschwinden. Gäbe es irgendwo
einen Ring von kinderraubenden Roma, so wäre wenigstens die Geschichte der
Opfer bekannt.
## Der „schwarze Mann“ kommt
Weder die irische noch die griechische Geschichte bietet nur einen Schatten
eines Motivs. Ein Muster von tatsächlichem Kinderraub durch Roma gibt es
nicht. Ein solches Schema ist nicht dokumentiert, auch nicht historisch.
Was es aber gibt, ist ein Muster von Geschichten. Dass demnächst der
„schwarze Mann“ kommt und einen mitnimmt, ist fester Bestandteil der
Gruselpädagogik nicht nur auf dem Balkan.
Ein Muster, und das nicht nur unter Roma, sind in Armen- und Elendsvierteln
auf dem Balkan allerdings informelle Pflegeverhältnisse. Mütter, die nach
Westen ziehen, lassen ihre Kinder nicht selten bei Verwandten oder
Bekannten. Dass „die Papiere nicht in Ordnung“ sind, wie im griechischen
und im irischen Fall, ist in solchen Quartieren eher die Regel und
begründet noch keinen Verdacht.
Zum Amt geht man, wenn man etwas will, nicht um einer ominösen guten
Ordnung willen, an die in diesen Vierteln niemand glaubt.
## Muster gesucht, Polizei gefunden
Blonde Haare und blaue Augen sind unter Roma auf dem Balkan keine
Seltenheit. Eine bevölkerungsgenetische Untersuchung der Forscherin Luba
Kalydijewa an einer Roma-Population in Bulgarien hat ergeben, dass rund die
Hälfte ihrer Vorfahren sich vom Erbgut her von der übrigen bulgarischen
Bevölkerung nicht unterscheidet.
Wenn man nach Mustern sucht, wird man eher bei der griechischen und der
irischen Polizei fündig als bei den Roma. Bei einer vergleichenden
Untersuchung der Europäischen Union in allen Mitgliedsstaaten gaben 56
Prozent der befragten Roma in Griechenland an, innerhalb des letzten Jahres
von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Das sind die höchsten Werte
für irgendeine Minderheitengruppe in der gesamten Union. An zweiter Stelle
folgen Afrikaner in Irland.
24 Oct 2013
## AUTOREN
Norbert Mappes-Niediek
## TAGS
Roma
Kind
Polizei
Schwerpunkt Rassismus
Roma
Roma
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