# taz.de -- Kommentar Aufarbeitung der Justiz: Späte Scham nach 60 Jahren | |
> Der Bundesgerichtshof hat sechs Jahrzehnte gebraucht, um sich für ein | |
> Schandurteil aus dem Jahre 1956 zu entschuldigen. | |
Bild: Die Justiz zieht nach: Das Mahnmal zum Gedenken der im Nationalsozialismu… | |
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – das gilt für den Alltag. Die | |
Justiz kann – schwer nachweisbare Fälle wie Rechtsbeugung ausgenommen – | |
nicht bestraft werden. Die deutsche Nachkriegsjustiz, überantwortet sich | |
durch ihren Umgang mit Nazi-Verbrechern und deren Opfern nicht Gerichten, | |
sondern der ewigen politisch-moralischen Peinlichkeit und Schäbigkeit. | |
Von einzelnen Personen wie dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer | |
(1903-1968) und seinen Mitarbeitern abgesehen, ist die Nachkriegsgeschichte | |
der deutschen Justiz eine Kette von Skandalen und Versagen. Der | |
Bundesgerichtshof hat 60 (sechzig!) Jahre gebraucht, um sich für ein | |
Schandurteil aus dem Jahre 1956 zu entschuldigen. | |
Das hohe Gericht in Karlsruhe kam nicht etwa von sich aus auf die Idee, | |
sondern wurde 2015 von Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats von | |
Sinti und Roma auf das skandalöse BGH-Urteil vom. 7.1.1956 hingewiesen. | |
Jetzt kam die BGH-Präsidentin Bettina Limperg dem Wunsch Roses nach, | |
distanzierte sich vom damaligen Urteil und räumte Schuld und Scham ein. | |
Endlich. | |
Das Urteil von 1956 ging tatsachenwidrig davon aus, die Deportation von | |
Sinti und Roma datiere vom 1.3.1943 und schließe damit | |
Entschädigungsansprüche der Deportierten aus. Himmler hatte, was 1956 | |
bekannt war, schon 1940 die Deportation von Sinti und Roma angeordnet. Das | |
Urteil beruhte aber nicht nur auf völlig falschen Tatsachen, sondern auch | |
auf Begründungen, die direkt aus Nazi-Hirnen stammten. | |
Demnach haben die Sinti und Roma ihre Deportation und spätere Ermordung | |
durch „eigene Asozialität, Kriminalität und Wandertrieb“ provoziert. | |
Obendrein, so das Urteil, neigten sie zu „Diebstählen und Betrügereien“, | |
weil „ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor dem Eigentum“ | |
fehlten und „ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen“ sei. Unauslöschbares | |
Schandmal einer ehrlosen Justiz. | |
19 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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