# taz.de -- Die Wahrheit: Die Sprache ist voll | |
> Öffentliche Dudenverbrennungen in Berlin: Unterstützer des Vereins | |
> Deutsche Sprache demonstrieren für eine Vernichtung unwerter Fremdwörter. | |
Bild: Lautes Johlen und „Goethe! Goethe!“-Rufe auf den Straßen Berlins. | |
Wegen der Aufnahme „lächerlicher Angeber-Anglizismen“ erhält der Duden | |
jetzt vom Verein Deutsche Sprache (VDS) [1][den Titel „Sprachpanscher des | |
Jahres 2013“]. Der VDS-Vorsitzende Professor Walter Krämer vermisst | |
verbindliche Sprachregelungen, die aus dem „Laptop“ den „Klapprechner“ … | |
aus dem „Stalker“ den „Nachsteller“ machen. Damit steht der Sprachwart | |
Krämer nicht allein da. Stimmgewaltige Unterstützer gegen diese „unnötige | |
Verdrängung deutscher Begriffe“ demonstrierten am vergangenen Samstag vor | |
einem Bürohochhaus in Berlin-Mitte. Hier der Bericht unseres | |
Wahrheit-Korrespondenten vom Ort des Geschehens: | |
Die Menge ist aufgebracht. Transparente fordern in Fraktur und Sütterlin: | |
„Deutsch den Deutschen!“, „Sofortige Heimführung sämtlicher Anglizismen… | |
„Wider die Verdudung der deutschen Sprache!“ sowie „Todesstrafe für | |
Sprachschänder!“ Unter lautem Johlen und „Goethe! Goethe!“-Rufen wird ein | |
Duden verbrannt, als sich herumspricht, dass Duden-Chefredakteur Werner | |
Scholze-Stubenrecht vor den militanten Sprachschützern in Venezuela | |
untertauchen musste. | |
Geduckt versuchen sich junge Nerds seitlich an dem Mob vorbei aus dem | |
Gebäude zu schleichen, bevor die bereits züngelnden Flammen eine Flucht | |
unmöglich machen. Einer wird entdeckt, bespuckt und verprügelt. Verzweifelt | |
versucht er unter den Rufen „Das ist ein Apfel-Klapprechner MacBuch Luft!“ | |
mit seiner Notebooktasche den Kopf gegen die Schläge zu schützen. Doch | |
vergeblich. Ein Strick wird über eine Straßenlaterne geworfen, und Sekunden | |
später baumeln die zuckenden Beine des Sprachverderbers in der dicken | |
Berliner Luft. | |
„Das geschieht ihm recht“, sagt Heinrich P. (71) grimmig. „Die deutsche | |
Sprache muss rein bleiben. Sonst kennt sich am Ende gar keiner mehr aus.“ | |
Der pensionierte Deutschlehrer, der eigens für die Kundgebung „mit dem | |
Zwischenstadt-Schnellzug“ aus Braunschweig angereist ist, begründet seine | |
Haltung näher: „Fremde Wörter stinken nach einer Welt, die wir nicht | |
verstehen. Eine Welt, in der der Inzest regiert, der Müll einfach aus dem | |
Fenster geworfen, auf den Bürgersteig gekotet und die Hauskatze zu scharfer | |
Wurst verarbeitet wird.“ | |
Dabei ist Heinrich P. kein rückständiger Technologiefeind – auf diese | |
Feststellung legt der Rentner, wohl aus schlechter Erfahrung, wert: „Ich | |
habe sogar ein eigenes Gewebelogbuch im Zwischennetz, in dem ich auf die | |
Gefahren von Anglizismen und Welschwörtern hinweise.“ | |
Ein kurzgeschorener Nebenmann, der sich als „Besitzer einer Farbballhalle“ | |
in Vorpommern vorstellt, ergänzt: „Wir können nicht jeden Anglizismus bei | |
uns aufnehmen, wir haben doch jetzt schon kaum noch Platz für unsere | |
eigenen Wörter. Und die gehen nun mal vor. Die deutsche Sprache ist voll. | |
Da können die Gutmenschen noch so heulen. Wir müssen aufpassen, dass | |
deutsche Wörter nicht komplett an den Rand gedrängt werden und ihre | |
Bedeutungen an die Fremdwörter verlieren. Außerdem wollen uns die | |
Fremdwörter unsere Frauen wegnehmen. Sie reden ihnen ein, sie wären ’hot‘, | |
und die dummen Dinger finden auch noch, dass das gut klingt. Die deutsche | |
Frau kann ja nicht selber denken, sie ist schließlich zum Gehorsam | |
bestimmt.“ | |
Sein Vokabular kommt uns irgendwie bekannt vor. Doch ehe wir nachhaken | |
können, hat er unsere Gedanken schon erraten und weist den Verdacht einer | |
rechtspopulistischen Einstellung weit von sich: „Ich hab doch gar nichts | |
gegen Fremdwörter. Die sind ja nicht schlecht an sich und mögen in ihren | |
Herkunftsländern sogar durchaus ihren Nutzen haben. Sie sollen einfach nur | |
dort bleiben, wo sie sind. Wir fahren jederzeit gern im Urlaub dahin und | |
hören uns die da an, wo sie eben hingehören.“ | |
Doch es gibt auch einige wenige Gegenstimmen. „Ich bin seit vielen Jahren | |
Stalker“, gesteht Herbert B. (42), der aus sicherer Entfernung die | |
Protestierenden beobachtet. „Und das aus vollem Herzen. Aber ich bin kein | |
Nachsteller – so was gibt es vielleicht bei der Di Äitsch El.“ Er schütte… | |
sich und schlägt den Kragen mit dem selbstumgeschriebenen Etikett seiner | |
Jakob-Wolfshaut-Außentürjacke hoch. Auffallen will hier keiner. | |
8 Sep 2013 | |
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## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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