# taz.de -- Wohnungsbau in Deutschland: Wunschträume für Wohnräume | |
> Die Ampelkoalition verfehlt ihre Ziele für neu gebaute Wohnungen, vor | |
> allem bei Sozialwohnungen. Bauministerin Geywitz gibt sich aber | |
> optimistisch. | |
Bild: Potemkinsche Brachen: Eine Baulücke mit plakatierten Plänen in Berlin | |
BERLIN taz | Vielleicht hängt es manchmal vom eigenen Status, von der | |
eigenen Wohnsituation ab, wie man die Neubautätigkeit bewertet. Am | |
Donnerstag veröffentlichte das Bundesamt für Statistik, wie viele neue | |
Wohnungen im vergangenen Jahr gebaut wurden. Es ist also der Tag, an dem | |
sich die Bundesregierung an ihren selbst gesteckten Zielen messen lassen | |
muss. 400.000 neue Wohnungen hatte sie pro Jahr versprochen, 100.000 davon | |
öffentlich gefördert. | |
Nun steht fest: Dieses Ziel hat sie erneut krachend verfehlt. 2023 wurden | |
294.400 Wohnungen neu gebaut, das bewegt sich auf einem ähnlichen Niveau | |
wie 2022, es ist ein Minus von 0,3 Prozent. | |
Nun muss man wissen: Wirklich niemand hat im Vorfeld daran geglaubt, dass | |
400.000 Wohnungen geschafft werden können. Seit dem [1][russischen | |
Angriffskrieg auf die Ukraine] steckt der Bau in der Krise. Die Bauzinsen | |
sind hoch, die Materialpreise auch. Zudem muss die Vielzahl an Geflüchteten | |
aus der Ukraine und anderen Ländern mit Wohnraum versorgt werden. Manche | |
schätzen den Bedarf an neuen Wohnungen [2][mittlerweile auf 800.000 pro | |
Jahr.] | |
Angesichts dieser Krise bedarf es doch einer gewissen Chuzpe, sich als | |
Bundesbauministerin in Berlin vor die Presse zu stellen und zu sagen, dass | |
die Bauindustrie doch „stabil durch die Krise des letzten Jahres gekommen“ | |
sei. [3][Klara Geywitz (SPD)] befand: Die Zahlen seien „überraschend gut.“ | |
Zudem befänden sich noch 390.000 weitere Wohnungen im Bau. | |
## Weniger Sozialwohnungen | |
Die Statistik selbst schlüsselt nicht auf, wie viele Sozialwohnungen | |
entstanden sind. Aber Geywitz wies darauf hin, dass es einen Aufwuchs im | |
sozialen Wohnungsbau gegeben habe. „Die Zahl der geförderten Wohneinheiten | |
stieg mit 8.400 um mehr als 20 Prozent auf insgesamt 49.430 an“, erklärte | |
sie – was aber auch weit vom Ziel entfernt ist. Immer mehr private | |
Wohnungsbaugesellschaften würden in den sozialen Wohnungsbau einsteigen, so | |
die Bauministerin. | |
Was Geywitz an dieser Stelle aber unerwähnt ließ: Die Gesamtzahl der | |
Sozialwohnungen sinkt nach wie vor, weil Sozialwohnungen nach der aktuellen | |
Fördersystematik immer nach einer gewissen Zeit ihren Status als | |
Sozialwohnung verlieren. Laut Zahlen des Bundesbauministeriums, die der taz | |
vorliegen, ist der Gesamtbestand von 2022 auf 2023 um 14.000 Wohnungen auf | |
insgesamt 1,07 Millionen Wohnungen gesunken. | |
Eigentlich wollte die Bundesregierung eine [4][neue Wohngemeinnützigkeit] | |
einführen. Gemeinwohlorientierte Wohnungsbauunternehmen, die dauerhaft | |
günstigen Wohnraum schaffen, bekommen dann steuerliche Vorteile. Doch diese | |
ist immer noch nicht umgesetzt. „Wir sind jetzt gerade in Verhandlung über | |
eine Lösung mit dem Finanzministerium“, sagte Geywitz auf Nachfrage und | |
stellte eine baldige Einigung in Aussicht. | |
Insgesamt sei die Situation „immer noch unter Druck“, resümierte Geywitz. | |
Wichtig sei deshalb, auch durch [5][seriellen Wohnungsbau], also das Bauen | |
mit vorgefertigten Teilen, die Produktivität zu steigern. Derzeit arbeite | |
man zudem auch an einer „Leerstandsaktivierungsstrategie.“ | |
Mit dieser recht optimistischen Sichtweise schien die Bauministerin an | |
diesem Tag aber ziemlich alleine zu sein. Die linke Bundestagsabgeordnete | |
Caren Lay warf der Bundesregierung vor, „nicht dem Ernst der Lage | |
entsprechend zu handeln. „Insbesondere der soziale und gemeinnützige | |
Wohnungsbau kommt zu kurz“, kritisierte Lay gegenüber der taz und forderte | |
dafür „ein öffentliches Wohnungsbauprogramm und Investitionen in Höhe von | |
20 Milliarden Euro jährlich.“ Derzeit stellt der Bund den Bundesländern für | |
den Sozialen Wohnungsbau für den Zeitraum 2022 bis 2027 rund 18,15 | |
Milliarden Euro zur Verfügung. | |
Jutta Hartmann vom Deutschen Mieterbund forderte „durch mehr Mieterschutz | |
endlich Druck vom völlig überhitzten Wohnungsmarkt zu nehmen.“ | |
Selbst von den Koalitionspartnern kamen recht scharfe Töne gegenüber der | |
Bauministerin. Geywitz fehle „ein Plan zur Lösung der sozialen | |
Wohungskrise“, sagte der Baupolitiker Kassem Taher-Saleh (Grüne). Es | |
brauche deshalb die neue Wohngemeinnützigkeit und ein soziales Mietrecht. | |
Auch Baupolitiker Daniel Föst (FDP) sieht „noch lange keine Entwarnung für | |
die Baubranche“. Man müsse Maßnahmen ergreifen, „damit mehr, schneller und | |
günstiger gebaut wird“, sagte er der taz. Der baupolitische Sprecher der | |
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, warf der Ampel vor, „die | |
Baukosten durch immer strengere Standards in die Höhe getrieben“ zu haben. | |
Auch die Wohnungsbranche schien wenig erfreut. Axel Gedaschko, Präsident | |
des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, wies darauf hin, dass sich | |
die Folgen der zahlreichen Stornierungen erst in den nächsten Jahren zeigen | |
würden. „Der Pfeil bei der Entwicklung der Baufertigstellungen“ zeige | |
deutlich in eine Richtung. „Nach unten.“ | |
23 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Russischer-Vormarsch-in-der-Ukraine/!6012169 | |
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/wohnungsbau-wohnungsnot-mieten-inves… | |
[3] /Bundesbauministerin-Klara-Geywitz/!5939857 | |
[4] /Wohnungsbautag-in-Berlin/!6000201 | |
[5] /Serielles-Bauen-feiert-Comeback/!5855327 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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