# taz.de -- Wie umgehen mit Rechtspopulismus?: Weniger Moral wagen | |
> Warum Kontaktverbote, Nazivergleiche und schwungvolle Verdammung nicht | |
> viel gegen Rechtspopulismus in Deutschland helfen. | |
Bild: Gründlich eingehegt? | |
CSU-Chef Markus Söder hat kürzlich erklärt, man werde sich mit AfD-Leuten | |
noch nicht mal zum Kaffeetrinken im Kommunalparlament treffen, und auch ein | |
„Grußwort beim Grillfest“ komme nicht infrage. Dieses Kontaktverbot sei die | |
einzig anständige Haltung. Das ist eine verblüffende Wendung. Hatte die CSU | |
nicht lange und demonstrativ [1][den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor | |
Orbán] hofiert, ein Vorbild der Rechtspopulisten? | |
In der CDU ist es verpönt, über eine Zusammenarbeit mit der AfD öffentlich | |
nachzudenken. Die SPD bekundet fast täglich ihren Abscheu vor den | |
Rechtspopulisten. | |
Wenn wir den Harvard-Politikwissenschaftlern [2][Steven Levitsky und Daniel | |
Ziblatt folgen], dann machen Union und SPD in Sachen Rechtspopulismus alles | |
richtig. Sie grenzen sich resolut ab. Denn es gibt, so die These, frappante | |
Ähnlichkeiten zwischen Mussolinis Aufstieg 1922, der Machtergreifung 1933 | |
in Deutschland und dem aktuellen Rechtspopulismus. Auch Trump & Co | |
bewirtschaften, wie es die faschistischen Führer taten, kollektive Ängste | |
und greifen, mal vehementer, mal gedämpfter, Demokratie und Rechtsstaat an. | |
Bei dem Weg an die Macht waren die Rechten, Levitsky und Ziblatt zufolge, | |
stets auf politisch kurzsichtige Helfer angewiesen. Mussolini und Hitler | |
benötigten das zeitweilige Bündnis mit den Eliten, mit Konservativen und | |
Großbürgertum, um nach oben zu kommen. Donald Trump wäre ohne die | |
Republikanische Partei nie US-Präsident geworden. Und die AfD braucht die | |
Union. | |
Daraus folgt: Egal ob konservativ oder grün, links oder liberal – | |
Demokraten müssen heute tun, was damals misslang, und den Angriff auf die | |
Demokratie entschlossen abwehren, um nicht zu den nützlichen Idioten der | |
Rechten zu werden. „Die Mainstreamparteien müssen eine geschlossene Front | |
bilden, um Extremisten zu schlagen“, so Levitsky und Ziblatts Conclusio. | |
Dafür spricht im Fall der AfD, dass diese trotz ihrer Wahlerfolge nur ein | |
Potenzial von ungefähr 30 Prozent hat. Mehr als zwei Drittel der Deutschen | |
können sich nicht vorstellen, rechtspopulistisch zu wählen. Wir müssen also | |
nur geduldig abwarten, dass das Publikum irgendwann der Hetze, der | |
rassistischen Grenzüberschreitungen, der Daueragitation gegen die Eliten | |
müde wird. | |
Deshalb muss die Brandmauer der CDU im Osten gegen die Rechten unbedingt | |
halten. Und deshalb unterdrückt man am besten auch jede Debatte darüber, ob | |
und wie eine Zusammenarbeit mit der AfD vertretbar sein könnte, und | |
demonstriert lieber Verachtung für die Rechtspopulisten. | |
## Ein wetterfester Cordon sanitaire | |
Diese Haltung leuchtet, gerade in Deutschland, erst mal ein. Schon eine in | |
Aussicht gestellte Zusammenarbeit wertet die AfD ja womöglich auf, und | |
lässt sie als normalen Mitspieler erscheinen. Es spricht, so gesehen, alles | |
dafür, einen wetterfesten Cordon sanitaire gegen die rechte Gefahr zu | |
bilden, die rechtsextreme Vergangenheit mancher AfD-Führer ins Rampenlicht | |
zu rücken und der Partei somit die Maske des Wohlanständig-Bürgerlichen vom | |
Gesicht zu reißen. | |
Alles spricht dafür – außer dem Ergebnis. Denn all das geschieht ja | |
bereits. In den Leitmedien wird der extremistische Kern der AfD enthüllt, | |
die demokratischen Parteien grenzen sich entschieden ab. Der Bundestag | |
wählt keinen AfDler zum Vizepräsidenten. Doch die Wirkung ist bescheiden. | |
Die Gleichheitszeichen zwischen Geschichte und Gegenwart sind allzu forsch | |
gesetzt. Bei den neuen Rechten haben wir es von den USA bis Ungarn mit | |
einem „Defensivnationalismus“ (Micha Brumlik) zu tun, der anders gepolt ist | |
als der expansive historische Faschismus. Er zielt nicht auf Eroberung, | |
sondern auf Abschottung. Nach innen versuchen Rechtspopulisten an der Macht | |
die Justiz zu manipulieren, freie Medien einzuschränken und die Opposition | |
zu diffamieren. | |
Doch mit den faschistischen Diktaturen à la Franco oder Mussolini hat das | |
wenig zu tun. Einen Gegenentwurf zur bürgerlichen Demokratie verkörpert | |
weder Trump noch die FPÖ. Anders als der Nationalsozialismus, der eine | |
extrem gewalttätige rassistische Utopie entwarf, ist die AfD-Ideologie eher | |
schwach ausgeprägt – eine Mixtur aus Kulturpessimismus und Nationalismus, | |
Globalisierungsskepsis, konservativen Werten, völkischen Reinheitsideen und | |
viel Nostalgie. | |
## Verhältnisse wie in Wien 2018 | |
Der Rechtspopulismus von FPÖ und AfD ist keine Wiederkehr des Faschismus. | |
Er ist etwas Neues, eine ressentimentgeladene Revolte der Provinz gegen den | |
Lebensstil der urbanen, liberalen, weltoffenen Eliten und Mittelschichten, | |
als deren Opfer sich viele diffus fühlen. Orbáns Wort von der „illiberalen | |
Demokratie“ beschreibt am genauesten, was die Rechtspopulisten wollen. | |
Würde die AfD mit der Union in Berlin regieren, würden wir wohl | |
atemberaubende Korruption und Inkompetenz erleben, aber keine Lager, in | |
denen Oppositionelle gefoltert werden. Wir hätten Verhältnisse wie in Wien | |
2018, nicht wie in Berlin 1933. | |
Verweise auf historische Schreckensbilder perlen am Rechtspopulismus ab. | |
Auch Höckes und Gaulands skandalöse Relativierungen der Naziverbrechen | |
haben den konservative Teil der AfD-Klientel nicht verschreckt. Offenbar | |
hält man Vergangenheitspolitik dort für nicht wichtig. | |
Natürlich ist Kritik am völkischen Flügel der AfD nötig, und auch die | |
Erhellung der rechtsextremen Vergangenheit von Figuren wie Andreas Kalbitz | |
und Björn Höcke. Aber: Es nutzt nicht viel. Die schwungvolle Verdammung der | |
AfD als rechtsextremistisch schürt in deren Anhängerschaft eher den | |
Verdacht, mal wieder als moralisch minderwertig disqualifiziert zu werden. | |
Mag sein, dass die Beobachtung durch den Verfassungsschutz manche | |
abgeschreckt hat. Doch der Extremismusvorwurf bestätigt auch das Selbstbild | |
der Rechten als einsame Künder der Wahrheit. Ein Mittel, das das Ziel noch | |
ferner rückt, sollte man nicht für das einzig mögliche und lautere halten. | |
Die AfD ist ein fragiles Bündnis von lauten und einflussreichen | |
Rechtsextremen, frustrierten Globalisierungsverlierern und verunsicherten | |
Konservativen, die Diversity-Kultur und linksliberale Meinungsführerschaft | |
scharf ablehnen. Neben Höckes völkischen Hassreden und Kalbitz’ | |
Gewaltdrohungen („Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für dieses | |
Land. Danach kommt nur noch ‚Helm auf‘ ), gibt es auch den Handwerker, der | |
als Unabhängiger im Kreistag war und nun für die AfD antritt. Oder den | |
Vermögensberater, der früher mal in der SPD war und es unmöglich findet, | |
dass Deutschland Kindergeld jenseits deutscher Grenzen auszahlt, und | |
Migration ablehnt. Beides sind unterkomplexe, moralisch fragwürdige, | |
ökonomisch kurzsichtige und auf Deutschland fixierte Sichtweisen. Aber sie | |
sind nicht extremistisch – sondern legitime Positionen im demokratischen | |
Streit. | |
## Die AfD wirksam bekämpfen | |
Die Erfolge von Gauland und Co. kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Fast | |
jeder Zweite, der 2017 die AfD wählte, hatte zuvor bei Union, SPD oder | |
Linkspartei sein Kreuz gemacht. Die Stärke der AfD ist ja die Kehrseite der | |
Schwäche der alten Volksparteien, deren Bindungskräfte schwinden und die | |
ihre Hilflosigkeit mitunter durch moralische Abgrenzung kompensieren. | |
Nützlicher wäre es, die Große Koalition in Berlin rasch zu beenden. Denn | |
die wirkt wie ein Energiespender für die Rechtspopulisten. Union und SPD | |
erscheinen als zwei Flügel einer technokratischen Staatspartei, die | |
alternativlos die Mitte definiert. Nur wenn sich die SPD auf ihre linke, | |
etatistische Tradition besinnt und die Union auf ihre konservative, haben | |
sie eine Chance, die AfD wirksam zu bekämpfen. | |
Die AfD hat die Republik repolitisiert, was nicht nur an der steigenden | |
Wahlbeteiligung ablesbar ist. Bis 2015 herrschte ein in der Geschichte der | |
Bundesrepublik fast einmaliger Konsens zwischen Regierung, Leitmedien, | |
WählerInnen. Politik als Streit um Grundsätzliches schien in der Ära Merkel | |
ein Modell des 20. Jahrhunderts geworden zu sein. Im Merkelismus, der die | |
Neigung der Bundesrepublik zu Mitte und Konsens krönte, verwandelte sich | |
Politik in freundliche Technokratie. Die Merkel-Regierungen, mit der SPD | |
mehr als mit der FDP, waren geräuscharm arbeitende Maschinen, die aus | |
Interessen und Stimmungen einen Kompromiss filterten, der am Ende von fast | |
allen wohlwollend abgenickt werden konnte. | |
Seit fünf Jahren erleben wir eine Repolitisierung von rechts. In fast allen | |
westlichen Ländern haben sich Protestbewegungen etabliert, die männlich, | |
weiß, aggressiv, xenophob und globalisierungskritisch sind. Sie lehnen, so | |
die Soziologin Cornelia Koppetsch, „emanzipatorische Politikmodelle und | |
linksliberale Eliten“ ab, wollen „Zuwanderung begrenzen, kosmopolitische | |
Lebensformen zurückdrängen, nationalstaatliche Souveränität | |
wiederherstellen“ und jene technokratische Expertenherrschaft beenden, die | |
in der Ära Merkel perfektioniert wurde. Diese neue Rechte ist eine „soziale | |
Gegenbewegung gegen die globale Moderne“. | |
## Brandmauer der CDU im Osten | |
Darauf mit Diskursverboten, moralischen Vorhaltungen bis hin zur | |
Tabuisierung von Grillfesten zu antworten ist unsouverän. Es versteckt | |
eigene Verunsicherung hinter einer entschlossenen Geste. Auch jenseits | |
deutscher Grenzen war der Cordon sanitaire gegen die Rechten nicht von | |
Dauer. In Dänemark und Österreich, Italien, den Niederlanden und der | |
Schweiz sind die Versuche, Rechtspopulisten zu isolieren, durchweg | |
gescheitert. | |
In Sachsen kann die Debatte über eine Regierungsbeteiligung der AfD | |
schneller kommen als gedacht. Es gilt, zwischen zwei miserablen | |
Möglichkeiten die weniger schauerliche zu wählen. Eine Koalition mit der | |
im Osten scharf rechten AfD ist gefährlich. Ein Rechtsextremer als Minister | |
oder Staatssekretär ist inakzeptabel. | |
Doch auch eine ganz große Koalition aus CDU, SPD, FDP, Grünen, deren | |
wesentlicher Daseinszweck es wäre, die AfD fernzuhalten, wäre bedrohlich. | |
Sie verstärkt das Außenseiter-Image der AfD, die einzig wahre Opposition zu | |
sein. Eine Mega-Groko wäre weniger Rettung als vielmehr der letzte | |
Ausweichschritt vor dem Fiasko. | |
Früher oder später wird die Debatte kommen. Wenn die CDU nur die Botschaft | |
„Nie mit euch“ sendet, ist das zu wenig. Ingo Senftleben, CDU-Chef in | |
Brandenburg, will mit der AfD reden, aber nicht regieren. Das ist noch | |
keine Lösung, – aber klüger, als sich hinter Kontaktverboten zu | |
verschanzen, die nur der AfD nutzen. | |
26 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Viktor-Orban/!t5010201 | |
[2] https://www.perlentaucher.de/buch/steven-levitsky-daniel-ziblatt/wie-demokr… | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Rechtsextremismus | |
Rechtspopulismus | |
Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024 | |
Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
Ungarn | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Landtagswahlen | |
Franziska Giffey | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Populismus in Ungarn: Orbáns Kreuzzug | |
Auch das noch: Ungarns Ministerpräsident will mit einer neuen | |
Volksbefragung die Justiz zurechtbiegen. | |
Gestohlene Bundeswehr-Munition: Erstes Urteil im Komplex Franco A. | |
Ein 27-Jähriger wurde in Gießen zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er | |
hatte Munition für den Soldaten Franco A. verwahrt. | |
Organisatorinnen über Unteilbar-Demo: „Wir wollen rechte Räume besetzen“ | |
Vor der Demo in Dresden sprechen zwei Organisatorinnen über rechtes | |
Gedankengut im Osten, Möglichkeiten der Zivilgesellschaft und den Umgang | |
mit AfD und Pegida. | |
Franziska Giffey auf Sommerreise: Ich bin ja noch da | |
Die Familienministerin reist durch den Osten und will verstehen, warum die | |
AfD so erfolgreich ist. Und sie erklärt, warum sie nicht SPD-Chefin wird. | |
Kein Raum für Landesparteitag in Berlin: AfD soll wieder rausfliegen | |
Fast hätte es geklappt: Ihren nächsten Parteitag wollte die AfD Berlin in | |
Tempelhof-Schöneberg abhalten. Doch daraus wird wohl nichts. |