# taz.de -- Was Bauern wirklich bewegt: Die Zukunft nicht nur im Büro bestellen | |
> Bio oder Agrarkonzern, Rechtsparolen oder bräsige Lobbypolitik – mit | |
> ihrer Wirklichkeit hat das wenig zu tun, sagen zwei Landwirte. Ihre | |
> Probleme? Andere. | |
Die Trecker mit den Protestschildern stehen noch auf dem Hof von Hendrik | |
Schünemann in Meinkot, im Landkreis Helmstedt in Ostniedersachsen. | |
„Landwirtschaft macht jeden satt, auch die Feinde, die sie hat“, steht auf | |
der vordersten Maschine. Zusammen mit seinem Kompagnon Nils Müller hat er | |
sich an Bauerndemos in Wolfsburg, Hannover und [1][Berlin] beteiligt. | |
An den weiteren Aktionen dann nur noch hier und da. Man hat ja noch was | |
anderes zu tun, sagt er. Aber abgenommen haben sie die Schilder auch noch | |
nicht – wer weiß, sie könnten sie noch mal brauchen. Der Bauernaufstand von | |
Anfang Januar, der sich an Subventionskürzungen für Agrardiesel entzündete, | |
ist nur vorläufig befriedet. | |
Es ist der 24. Januar und eigentlich müssten sie jetzt direkt gegenüber in | |
ihrem gemeinsamen Büro sitzen und endlich die Düngemittelmeldungen vom | |
vergangenen Jahr eingeben und die Bedarfsermittlung fürs nächste. Was man | |
so macht, wenn im Winter auf den Feldern nichts zu tun ist. Nicht gerade | |
ihre Lieblingstätigkeit. Man wird ja nicht Bauer, weil man so gerne am | |
Schreibtisch sitzt. | |
Da nehmen sich Müller und Schünemann doch lieber die Zeit, einmal ein paar | |
Dinge geradezurücken und der Journalistin zu erklären, was aus ihrer Sicht | |
schiefläuft in der deutschen Agrarpolitik. | |
Beide Landwirte sind Anfang 40, Familienväter, nüchterne, zupackende Typen, | |
niedersächsische Bauern halt. Nicht unbedingt Menschen, die dauernd mit | |
Schaum vor dem Mund herumlaufen. Der Frust, sagen sie, habe sich lange | |
aufgebaut. Zum ersten Mal sind sie 2019 zu den großen Bauern-Demos | |
ausgerückt. Damals ging es um die Düngemittelverordnung und die Ausweisung | |
der sogenannten roten Gebiete, die hier immer noch ein großes Thema sind. | |
Die aktuellen Proteste betrachten sie als logische Fortsetzung: „Wir sind | |
ja damals durch Corona ausgebremst worden“, sagt Müller. Die jüngste | |
Debatte um die Subventionskürzungen beim Agrardiesel und die wegfallende | |
Befreiung von der Kfz-Steuer, die hätten das Fass nur zum Überlaufen | |
gebracht. | |
Worum es Schünemann und Müller wirklich geht, ist nicht ganz leicht zu | |
fassen, wenn man mit ihnen spricht. Das fängt schon damit an, wie man ihre | |
Betriebe beschreibt: Müller und Schünemann sind Ackerbauern, die | |
Tierhaltung haben schon ihre Väter eingestellt. „Das kann man auch | |
heutzutage echt nicht mehr so machen, Anbindehaltung und Legebatterien, ich | |
bin froh, dass ich damit nichts zu tun habe“, sagt Schünemann. | |
Andererseits hadern sie ein bisschen mit dem Image ihres Berufsstandes. | |
„Wenn ich hier Besuch von Kita- oder Grundschulkindern kriege, sind die | |
immer enttäuscht, dass das nicht so aussieht wie im Bilderbuch. Wo die | |
Bäuerin in Kopftuch und Gummistiefeln die Hühner füttert, während irgendwo | |
im Hintergrund die Kühe grasen und sich vorne die Schweine suhlen. Während | |
der Bauer immer mit einer Mistforke rumläuft. Aber ein moderner | |
landwirtschaftlicher Betrieb, der sieht halt anders aus“, sagt Müller. | |
## Falsches Bauernhofidyll | |
Dieses falsche Bauernhofidyll finde sich auch in der politischen Debatte | |
wieder, findet er. „Da gibt es immer nur die netten, kleinen | |
Familienbetriebe auf der einen Seite und die große, böse Agrarindustrie auf | |
der anderen Seite.“ Sie beide, sagt Müller und meint sich und seinen | |
Kollegen Schünemann, seien eigentlich keins von beidem. | |
Klar, Familienbetriebe sind sie schon irgendwie: Nils Müller betreibt den | |
Hof in Danndorf in der sechsten Generation. Hendrik Schünemann seinen im | |
sechs Kilometer entfernten Meinkot in der fünften Generation. Beides sind | |
schmucke Höfe aus rotem Backstein, mitten im Ort. Aber als | |
Einzelgesellschaften, als Einzelkämpfer, davon sind sie überzeugt, würde es | |
sie schon lange nicht mehr geben: „Das rechnet sich einfach nicht“, sagen | |
beide. | |
Und so haben sie sich in den letzten Jahren weitere Einkommensquellen | |
erschlossen: die Bewirtschaftung von Nachbarhöfen, die keine Nachfolger | |
fanden, eine Kooperation hier, eine GmbH da. 2021 gründeten sie schließlich | |
eine „Arbeitserledigungsgesellschaft“, in der sie Maschinen und Mitarbeiter | |
für die Bewirtschaftung der mittlerweile fünf Höfe konzentrierten – ein | |
klassisches Lohnunternehmen. Nur so lässt sich in einen modernen | |
Maschinenpark investieren und die gegenseitige Hilfe legal abwickeln. | |
Der Steuerberater, erläutert Müller, habe nämlich gesagt, sie würden gegen | |
die Gesetze zur Leiharbeit verstoßen, wenn sie ihre Mitarbeiter auf die | |
Felder des jeweils anderen schickten. Die Größe des Unternehmens bringt | |
inzwischen viel ungeliebte Büroarbeit und Managementarbeit mit sich: „Das | |
ist eine Menge Aufwand, früher war die Arbeit ruhiger, im eigenen Betrieb | |
hat das mehr Spaß gemacht“, sagt Schünemann. Mit über 1.000 Hektar an | |
verschiedenen Standorten, vier festen Mitarbeitern, vier Auszubildenden | |
plus Erntehelfer gehören sie mittlerweile zu den Großbetrieben. | |
Müllers Ehefrau hat deshalb auch keine Zeit, wie im Bilderbuch die Hühner | |
zu füttern, sie sitzt in Vollzeit im Büro. „Es gibt nun mal einen gewissen | |
Strukturwandel, es hat ja keinen Sinn, sich dem zu verweigern“, sagt ihr | |
Mann. | |
Und läuft los, um das etwas anschaulich zu machen. Mit Schünemanns VW-Bus | |
geht es zum Kuhstall und zur Biogasanlage. Den Kuhstall betreibt ein | |
weiterer Partner, Lars Ohse, Landwirt in Rickensdorf. „Er kümmert sich um | |
die Kühe, wir machen seine Felder mit“, erklärt Müller. Die Biogasanlage | |
betreiben sie gemeinsam. Der Stall, eigentlich mehr eine Leichtbauhalle, an | |
deren Blechwänden jetzt der kalte Januarwind zerrt, wurde 2014 gebaut, für | |
rund eine Million Euro. Damals lag er weit über den geltenden | |
Tierschutzstandards, ein Vorzeigeprojekt. | |
Die 120 Kühe können sich auf den breiten Gängen im Stall frei bewegen, | |
einige stehen an der Futterstraße, andere dösen in den Liegebuchten, | |
zockeln zu den großen Massagebürsten an einem Ende des Stalls oder – wenn | |
das Euter drückt und das Kraftfutter lockt – zum Melk-Roboterstand am | |
anderen Ende. Im Sommer stehen die Tiere auf der Weide. Sie tragen Sensoren | |
am Hals, die genau registrieren, wenn eine eingeschränkte | |
Wiederkäutätigkeit auf Unwohlsein hindeutet, oder eine wachsende Unruhe | |
darauf, dass es Zeit ist, den Besamungstechniker anzurufen. Die Gülle | |
wandert in die Biogasanlage direkt nebenan. | |
Bei den Standards, die derzeit in Zusammenhang mit der Tierwohlabgabe | |
diskutiert werden, müsste der Stall aber wohl trotzdem noch einmal umgebaut | |
werden, befürchtet Müller – weil nicht jedes Tier einen eigenen Platz an | |
der Futterstraße hat. „Dabei fressen die nie alle gleichzeitig. Die | |
ranghöheren Tiere würden die rangniedrigeren ja wegbuffen. Das ist einfach | |
praxisfern“, ärgert er sich. | |
## Krux der roten Nitrat-Gebiete | |
Im Vergleich zu den sogenannten roten Gebieten ist das Kuhstall-Problem aus | |
Sicht des Landwirts allerdings eine Kleinigkeit. Etliche ihrer Felder | |
liegen in roten Gebieten, wo der Nitratgehalt so hoch ist, dass sie sich | |
beim Düngen stark einschränken müssen. Der Streit um die Messstellen, an | |
denen die Nitratbelastung des Grundwassers gemessen wird, betrifft Müller | |
und Schünemann ganz direkt. | |
Nicht immer erschließt sich allerdings, wie das zustande kommt. Ein Acker | |
liegt etwa an der Landesgrenze – zum größeren Teil in Niedersachsen, mit | |
einem kleineren Teil in Sachsen-Anhalt. In Niedersachsen ist das rotes | |
Gebiet, in Sachsen-Anhalt nicht. „Ist das nicht der gleiche | |
Grundwasserkörper, den man da zu schützen versucht? Das müsste mir schon | |
einmal jemand erklären, wie man es schafft, da in der Tiefe einen Grenzzaun | |
durchs Wasser zu ziehen“, schnaubt Müller. | |
Tatsächlich, erklärt das niedersächsische Landwirtschaftsministerium auf | |
Anfrage, ist es so, dass die Bundesländer zurzeit noch unterschiedliche | |
Verfahren zur Abgrenzung der nitratbelasteten Gebiete verwenden. Und zwar | |
jedes nur bis zur Landesgrenze. Bis 2028 ist das noch zulässig, ab dann | |
sollen die Erhebungsmethoden harmonisiert werden. Eine generelle | |
grenzüberschreitende Betrachtung ist aber nicht vorgesehen. | |
Und das ist aus Sicht der Bauern, die ihre Äcker an einer Landesgrenze | |
bewirtschaften, nicht das einzige Problem. Was sich noch im Grundwasser und | |
im Boden findet, sind Belastungen aus den vergangenen 30 Jahren. „Natürlich | |
hat sich die Art, wie wir düngen, total verändert. In den 90er Jahren war | |
der Dünger billig, da hat man damit herumgeaast. Als ich vor 15 Jahren | |
studiert habe, hat man den Stickstoffbedarf der Pflanzen auch noch ganz | |
anders berechnet“, sagt Schünemann. | |
## Sensoren messen Chlorophyllgehalt | |
Mittlerweile ist der Dünger teuer und sie setzen moderne Technik ein, um | |
ihn passgenau auszubringen. Sensoren, die den Chlorophyllgehalt der Pflanze | |
erfassen, den Düngebedarf entsprechend anpassen. Das nutzt ihnen nur nicht | |
viel. Rotes Gebiet ist rotes Gebiet und verpflichtet dazu, 20 Prozent unter | |
dem berechneten Bedarf zu düngen. | |
Deshalb reicht der Eiweißgehalt des Weizens, den Schünemann in diesem Jahr | |
geerntet hat, aber nicht mehr fürs Brotbacken. Er kann ihn nur als | |
Futterweizen verkaufen. Das bringt rund 30 Euro weniger pro Tonne, schätzt | |
er. Und, sagt Schünemann, es habe ihm noch niemand erklären können, wie aus | |
einem roten Gebiet denn wieder ein grünes werde. Wie lange muss er jetzt | |
weniger düngen? | |
Das, sagt das niedersächsische Umweltministerium auf Anfrage, ist | |
tatsächlich schwer zu beantworten und müsste für jedes Gebiet einzeln | |
bestimmt werden. „Je nach Standortbedingungen im Zustromgebiet der | |
betreffenden Messstelle kann die Reaktionszeit zwischen fünf bis mehr als | |
50 Jahre betragen.“ Alle vier Jahre werden die Werte überprüft und die | |
Ausweisung der roten Gebiete angepasst. | |
Man hätte hier von Anfang an stärker aufs Verursacherprinzip setzen müssen, | |
glaubt Schünemann. Natürlich muss das Grundwasser geschützt werden. Aber | |
dann sollte man doch die angehen, die tatsächlich zu viel aufs Feld kippen | |
und nicht die, deren Felder zufällig im falschen Gebiet liegen – obwohl sie | |
sich bemühten, den Eintrag so gering wie möglich zu halten. Für Müller und | |
Schünemann reiht sich das ein in die endlosen Debatten darüber, ob die | |
Messstellen, an denen die Grundwasserbelastungen festgestellt werden, an | |
den richtigen Stellen liegen und die richtigen Dinge messen. | |
An der Landesgrenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt tun sich | |
allerdings noch andere agrarpolitische Sollbruchstellen auf. Theoretisch | |
könnten Müller und Schünemann ja viele Daten automatisch auslesen. All ihre | |
Schlepper arbeiten mit Tablets und hochmoderner Software. Jeder | |
Arbeitsgang, von jedem Mitarbeiter auf jedem Feld, wird ganz genau erfasst, | |
genauso wie der Düngemittel- und Wasserverbrauch. | |
## Eine Hand weiß nicht, was die andere tut | |
Aber natürlich funktionieren die Schnittstellen zu den Behörden selten so | |
wie versprochen. Solche Softwareanpassungen sind teuer und dauern. Der | |
Markt für derart hochspezialisierte Software ist klein. Er wird noch | |
kleiner dadurch, dass jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht. | |
Unterschiedliche Berechnungsgrundlagen, Eingabemasken, Datenbanksysteme. | |
Auch das trägt bei Landwirten wie Müller und Schünemann zu dem Eindruck | |
bei, dass hier die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. | |
Das gilt auch für die EU-Subventionen. Natürlich sind sie keine großen Fans | |
eines Auszahlungssystems, das sich bloß nach der genutzten | |
landwirtschaftlichen Fläche richtet. „Sehen Sie sich die Liste der großen | |
Direktzahlungsempfänger doch an: Landwirte sind das nicht. Stattdessen | |
finden sie da den Nabu, Aldi Süd und irgendwelche Flughäfen“, mosert | |
Schünemann. | |
Die bewirtschaften die Fläche nicht selbst, die verpachten sie allenfalls | |
und sind auch sonst nicht da, wenn es nötig ist. Anders als er, sagt der | |
Ackerbauer: Erst heute Morgen ist sein Feuerwehrpieper wieder losgegangen: | |
ein umgestürzter Baum. Dann fährt er halt mal schnell los mit seinem | |
Schlepper und zieht den Baum beiseite. Und auch beim Weihnachtshochwasser | |
haben sie tagelang Sandsäcke durch die Gegend gekarrt, sagt er. „Glauben | |
Sie, Aldi Süd rückt zu so was aus?“ | |
## Es dauert, bis man Förderung beantragen kann | |
Andersherum sind sie mit dem politischen Trend, die pauschale | |
Subventionierung zurückzufahren und stattdessen zunehmend Umwelt- und | |
Klimaschutzmaßnahmen auszuschreiben, oft auch nicht sonderlich glücklich. | |
Egal, ob auf EU-, auf Bundes- oder auf Landesebene, das Muster, beklagen | |
sie, ist oft das Gleiche: Mit den Auflagen und Abgaben ist die Politik | |
schnell bei der Hand, auf die Förderrichtlinien, mit denen man sich auf | |
Gelder bewerben könnte, warte man deutlich länger. Und am Ende bedeuten die | |
halt auch bloß noch mehr von dem verhassten Papierkram. | |
Müllers 17-jährige Tochter überlegt, in die Landwirtschaft zu gehen. Aber | |
so wie es im Moment läuft, sagt Müller, würden er und seine Frau ihr eher | |
abraten. Nicht weil der Betrieb so schlecht dastünde. Eher, weil die | |
Perspektiven so unsicher seien. Als würde man ein Spiel spielen, bei dem | |
sich dauernd die Regeln ändern. Und keiner wisse, wohin es eigentlich am | |
Ende gehen soll, was das gemeinsame Ziel ist. | |
Mit rechten Parolen, Umsturzfantasien oder „Früher war alles | |
besser“-Parolen haben die beiden Ackerbauern trotzdem nichts am Hut. „Ich | |
fand das sehr unangenehm, wie sich die AfD-Landtagsfraktion da bei unserer | |
Kundgebung in Hannover vor der Bühne breitgemacht hat“, sagt Schünemann. | |
Einer habe ihn sogar blöd angemacht, weil er sich den „Landwirtschaft ist | |
bunt nicht braun“-Aufkleber, den die Landjugend verteilt hatte, auf die | |
Arbeitsjacke gepappt hatte. | |
Was man jetzt sehe, sei eben auch das Resultat jahrzehntelanger | |
Versäumnisse in der Agrarpolitik. Daran sei die Ampel bestimmt nicht | |
alleine schuld. Fragt man Müller, warum es dann am Ende doch immer die | |
Grünen sind, die den ganzen Hass abkriegen, kratzt er sich am Kopf. „Na ja, | |
weil man halt immer den Eindruck hat, denen sind die Probleme im gesamten | |
Rest der Welt wichtiger als die vor der eigenen Haustür, ne? Das ist jetzt | |
vielleicht ein bisschen Stammtisch, aber …“ | |
Da sind sie dann wieder, [2][die berüchtigten Radwege in Peru,] deren | |
Förderung im Rahmen von deutschen Entwicklungshilfeprojekten in den | |
sozialen Netzwerken vor kurzem viral gingen – weil rechte Abgeordnete | |
polemisch mit falschen Zahlen hantierten. | |
Dabei zieht sich der angebliche Stadt-Land-Konflikt, der an solchen Stellen | |
auch immer gern herbeizitiert wird, längst auch durch die Dörfer im Kreis | |
Helmstedt. Die liegen nämlich im Fall von Schünemann und Müller im | |
Dunstkreis der Stadt Wolfsburg und sind dabei, sich zu klassischen | |
Schlafdörfern zu entwickeln. Immer mehr Neubaugebiete, aus denen die Leute | |
zur Arbeit ins nahe VW-Werk pendeln. | |
Letzten Sommer wunderte sich Schünemann über eine dunkle Gestalt mit | |
Taschenlampe, die über den Acker auf ihn zugestapft kam. Spät begriff er, | |
dass es sich um eine Polizistin handelte. Die neuen Nachbarn hatten sich | |
beschwert, weil er um 22 Uhr noch auf dem Feld arbeitete. | |
## Kein Durchkommen für große Erntemaschinen | |
Oder diese Geschichte aus dem Nachbarort: Da sollte die Fahrbahn am | |
Ortseingang verengt werden, um Raser auszubremsen. Nur, dass man dann mit | |
den großen Erntemaschinen auch nicht mehr durchkommt. Wegen solcher Sachen, | |
sagt Schünemann, sitzt er seit zehn Jahren im Gemeinderat. | |
Wie es nun weitergeht mit den Protesten, wissen beide noch nicht. „Wir | |
haben überlegt, jetzt vielleicht erst einmal eine kleine Danke-schön-Tour | |
für die Pflegekräfte im Klinikum Wolfsburg zu fahren“, sagt Müller. Man | |
habe sich zwar bemüht, die bei den Blockaden immer durchzulassen, aber ein | |
bisschen gebeutelt seien die ja trotzdem gewesen. Im Übrigen hätten ihnen | |
viele positive Reaktionen und das gewachsene Interesse ein wenig Hoffnung | |
gegeben. „Wir haben jetzt endlich mal einen Gesprächstermin mit dem | |
örtlichen Bundestagsabgeordneten Frank Bsirske. Um den bemühen wir uns seit | |
zwei Jahren.“ | |
Dass Agrarpolitik bisher nicht unbedingt zu den Steckenpferden des | |
[3][Ex-Verdi-Vorsitzenden und nun grünen Bundestagsabgeordneten] zählt, | |
glaubt man sofort. Aber irgendwie muss ja nun mal was passieren, sagt | |
Müller, und zwar nicht nur beim Agrardiesel. Für den, meint er, gäbe es ja | |
eine viel einfachere Lösung: „Sollen die uns doch mit Heizöl oder Rapsöl | |
fahren lassen. Geht in anderen Ländern doch auch.“ | |
Während sich mit Heizöl alleine schon klimapolitisch gesehen kaum die | |
Zukunft auf dem Feld bestellen lässt, könnte sich in Sachen Biodiesel | |
politisch tatsächlich bald etwas tun. Zumindest hat | |
[4][Bundesumweltministerin Steffi Lemke vor Kurzem einmal angedeutet], man | |
könnte über Ausnahmen für die Landwirtschaft nachdenken. Bisher war sie | |
gegen aus Pflanzenöl gewonnene Kraftstoffe, vor allem für Privat-Pkws, weil | |
der Flächenverbrauch für den Anbau des Rohstoffs so unverhältnismäßig hoch | |
erscheint. | |
Auch wenn Schünemann und Müller jetzt erst mal keine weiteren Demo-Termine | |
im Kalender haben – die Plakate sind ja noch dran an den schweren | |
Landmaschinen. Und die beiden und ihre Kolleg*innen werden sich | |
vermutlich gemerkt haben, dass sich die Politik im fernen Berlin davon | |
schon einmal in diesem Jahr schnell beeindrucken ließ. | |
5 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bauernprotest-demo-berlin-100… | |
[2] /Bauern-versus-Fahrradwege/!5984246 | |
[3] /Frank-Bsirske-ueber-seine-Bundestagskandidatur/!5787682 | |
[4] /Kraftstoffe-in-der-Landwirtschaft/!5986377 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
## TAGS | |
Bauernprotest | |
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft | |
Bürokratie | |
Landwirtschaftsministerium Niedersachsen | |
Bauernhof | |
Agrarpolitik | |
Europäische Union | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
GNS | |
Bad Segeberg | |
Peru | |
Bauernprotest | |
Bauernprotest | |
Bauernprotest | |
Bauernprotest | |
Bauernprotest | |
Landwirtschaft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grünen-Frau über Dialog mit Blockierern: „Die reagierten auf Argumente“ | |
Eine Sitzung der Grünen im Kreis Segeberg wurde von wütenden Bürgern | |
gestört. Also bat die Fraktions-Chefin Denise Kreissl zwei Teilnehmer zum | |
Gespräch. | |
Projekt der Bundesregierung: Wenn plötzlich alle von Peru reden | |
Hubert Aiwanger und eine Ex-AfDlerin reden neuerdings über „Radwege in | |
Peru“. Die benutzen sie nur, um etwas völlig anderes anzugreifen. | |
Bauerndemo in Bremen: Bauer sucht Reichsbürgerin | |
Auf einer Bremer Demo haben die Vereinigung „Land schafft Verbindung“, das | |
Landvolk Niedersachsen und der Bauernverband wenig Berührungsängste mit | |
Rechts. | |
Bauernproteste in Spanien: Die Hauptstadt-Blockade blieb aus | |
Auch Spaniens Bauern protestieren gegen steigende Kosten. Eine ihrer | |
Anführerinnen ist eine rechtsextreme Politikerin. | |
Demonstrationen gegen Presse: Das nächste Ziel der Bauern | |
Samstag blockierten Demonstrierende die Auslieferung von Zeitungen in | |
Hamburg. Am Montag versammeln sich Bauern in Hannover vorm NDR. | |
Protest in Brüssel, Paris und Italien: Bauern legen Europaviertel lahm | |
In Brüssel haben Landwirte Straßen blockiert, um gegen die Agrarpolitik zu | |
demonstrieren. In Europa gehen die Proteste weiter. | |
Bauernprotest vor Aldi-Lager: Scharf auf Billig-Solidarität | |
Bauern in Niedersachsen blockierten Lager von Amazon und Aldi. Konkrete | |
Forderungen gebe es dabei keine, sagt der Protestforscher Felix Anderl. | |
Landarbeiter über Bauernprotest: „Die Kleinen sind es, die sterben“ | |
Alles nur rechte Krawall-Landwirt*innen? Im Interview spricht der | |
Agrarbeschäftigte Wolf Meyer darüber, wie Bauernprotest von links geht. |