# taz.de -- Grünen-Frau über Dialog mit Blockierern: „Die reagierten auf Ar… | |
> Eine Sitzung der Grünen im Kreis Segeberg wurde von wütenden Bürgern | |
> gestört. Also bat die Fraktions-Chefin Denise Kreissl zwei Teilnehmer zum | |
> Gespräch. | |
Bild: Die Grünen als Sündenböcke: Protest vor dem Segeberger Kreishaus am 19… | |
taz: Frau Kreissl, es heißt, Bauern hätten den Bad Segeberger Kreistag | |
blockiert. Was ist da tatsächlich passiert? | |
Denise Kreissl: Vor einer Woche sollte unsere Grünen-Fraktion tagen. Da | |
wurden mir nachmittags Bilder aus einer Telegram-Gruppe hier aus dem Kreis | |
zugespielt. Da wurde aufgerufen, zu unserer Sitzung zu kommen und uns | |
ordentlich die Meinung zu geigen, so der Tenor. Aufgerufen hatten zwei | |
Personen, deren Namen ich von den Corona-Demos kannte. Wir telefonierten | |
dann mit dem Landrat und der Polizei. Die reagierte schnell und sagte: | |
Machen wir mal ’ne Lage draus. | |
Wann begann die Sitzung? | |
Um 19 Uhr. Die Demonstrierenden wollten sich um 18.15 Uhr hier auf | |
umliegenden Parkplätzen sammeln und das Gebäude der Kreisverwaltung | |
blockieren. | |
War Ihre Sitzung öffentlich? | |
Wir laden [1][uns dort häufig Gäste ein]. Aber es war keine öffentliche | |
Sitzung, wo die Bevölkerung einfach teilnehmen kann. | |
War es ein [2][Bauernprotest]? | |
Nein. Ich rief vor der Sitzung den Vorsitzenden des Kreisbauernverbands an. | |
Er sagte, nee, das seien keine Landwirte, zumindest keine ihm bekannten. | |
Wir stehen im guten Austausch. | |
Aber es waren dort Trecker? | |
Dass da jemand mit einem Traktor dabei war, stimmt. Es waren auch | |
Lkw-Zugmaschinen dabei. Den Großteil ließ die Polizei gar nicht mehr aufs | |
Gelände. | |
Wer kam auf die Idee, mit den Protestierenden zu reden? | |
Das ergab sich so. Ich stand vor dem Saal, weil noch ein, zwei von unserer | |
Fraktion fehlten, und sah, dass die Demonstrierenden die Türen mittlerweile | |
alle belagerten. Da ging ich nach draußen und wurde natürlich zunächst | |
beschimpft. Ich sagte, ich wolle nicht streiten. Ich möchte nur, dass sie | |
unsere Fraktion sicher reinlassen. Das taten sie dann auch. Und dann riefen | |
sie mir zu, ich wäre dafür verantwortlich, dass es ihnen so schlecht gehe. | |
Dass der Mindestlohn nicht angehoben würde und andere Vorwürfe. Ich | |
entgegnete, das seien bundespolitische Themen. Und fragte zurück, welche | |
Entscheidung wir Grünen im Kreis Segeberg ihrer Meinung nach nicht im Sinne | |
der Bevölkerung entschieden hätten? | |
Und dann luden Sie sie ein? | |
Einer kam auf mich zu und sagte: Wir würden ja gerne reden, aber die | |
Kreisverwaltung sage, wir wollten das nicht. Darauf sagte ich: Ich rede | |
immer gerne, es ist das Einzige, was uns weiterbringt. Aber hier ist eine | |
Drohkulisse aufgebaut. Mir werden Handys ins Gesicht gehalten, ich werde | |
angeschrien als Kriegstreiberin, und das hat wenig mit reden zu tun. Dann | |
bat ich nach Rücksprache mit meiner Fraktion zwei Herren herein. Vorher | |
klärten wir noch ab, dass die beiden legitimiert sind, für diese Gruppe zu | |
sprechen. | |
Hat Sie etwas von dem, was die sagten, überrascht? | |
Ja. Die Tatsache, dass die beiden doch sehr adäquat auf unsere | |
Gegenargumente reagierten. Das fand ich sehr angenehm. Überrascht hat mich | |
auch, dass nicht verstanden wird, wie wenig Einfluss wir als ehrenamtliche | |
Kreispolitikerinnen auf die Landes- oder Bundesebene haben. Sie | |
kritisierten primär Dinge bundespolitischer Natur. Der Mindestlohn sei zu | |
niedrig, die Krankenkassenbeiträge zu hoch. Das Vergaberecht für Bauten im | |
öffentlichen Raum sei völlig falsch. Durch Bürokratie würde alles doppelt | |
so teuer und dauere dreimal so lange. Dann kam das berühmte Argument, dass | |
für die Leute hier kein Geld da sei, aber Deutschland Radwege in Peru | |
finanziere. Das kann ich echt nicht mehr hören, denn dass es sich um | |
Kredite für Wiederaufbau handelt, die noch von der CDU-Regierung | |
freigegeben wurden, das dringt nicht durch. Und diese Kreditvergabe hätten | |
auch wir unterstützt. | |
Haben Sie nicht überzeugt? | |
Die beiden sahen ein, dass das ein Quatsch-Argument ist. Uns war wichtig, | |
zu signalisieren: Ihr seid Menschen, wir sind es aber auch. Und sie sagten, | |
wir sehen euch als Politikerinnen. Da sagte ich: Das eine schließt das | |
andere nicht aus. Und dass wir als grüne Fraktion immer ein offenes Ohr | |
hatten und auch Bauern nicht [3][in rechte Ecken stellen.] | |
War es ein rechter Protest? | |
Teils nahm ich rechtes Gedankengut wahr, den Flaggen nach. Sicher kann ich | |
das bei dieser scheinbar sehr heterogenen Gruppe nicht sagen. | |
Nannten die beiden Punkte, die nachdenklich machen, wo sie Recht haben? In | |
alltagspraktischen Dingen etwa? | |
Sie sagten, dass die Menschen nicht mehr arbeiten gehen würden, weil der | |
[4][Mindestlohn] im Vergleich zum neuen Bürgergeld zu niedrig ist. Der eine | |
führte ein Unternehmen für Gebäudereinigung und sagte, er würde sogar | |
übertariflich zahlen, und fände dennoch keine Mitarbeitenden. Und den | |
Arbeitgeberanteil der hohen Krankenkassenbeiträge könne er nicht eins zu | |
eins an seine Kunden weitergeben. Er bleibe auf den Kosten sitzen. Es würde | |
vieles bürokratisiert. Leute, die Hausfassaden putzen, müsse er in | |
Maßnahmen schicken, in denen ihnen erklärt wird, wie sie Sonnenschutz | |
auftragen. Lustigerweise haben wir in der Fraktion eine Dame, die eine | |
Straßenbaufirma führt. Die sagte, dieser Sonnenschutz sei wichtiger | |
Arbeitsschutz. Und so entstand eine Diskussion. | |
Das macht nachdenklich? | |
Sagen wir so: Uns fehlen Busfahrer, uns fehlt Pflegepersonal, uns fehlen an | |
allen Ecken Leute in diesen wichtigen Berufen, die das Fundament unserer | |
Gesellschaft bilden. Aber wenn [5][ein Bundespolitiker das alles | |
überblicken] und alle Baustellen lösen müsste, um den Erwartungen gerecht | |
zu werden, ist das nicht menschenmöglich. | |
Würde es helfen, wenn der Mindestlohn erhöht wird? | |
Wenn der Reinigungs-Unternehmer schon übertariflich zahlt und keine Leute | |
findet, nicht. War auch mein Gegenargument an der Stelle. Da sagte er, da | |
hätten aber wenigstens andere was von. | |
Wie sind Sie verblieben? | |
So, dass wir unsere Kontakte austauschen, um die Gespräche weiterzuführen. | |
Aber lösungs- und sachorientiert, das war uns wichtig. Dass die die Themen | |
sammeln und clustern. Was genau sind ihre Kernanliegen? Welches betrifft | |
welche politische Ebene, also Kreispolitik, Landespolitik oder | |
Bundespolitik? | |
Wie kommt es zu der aufgestauten Wut? Muss die Politik was anders machen? | |
Ja. Die Politik erklärt zu wenig. Es gibt komplexe Zusammenhänge, die muss | |
man sich hart erarbeiten, und dafür hat nicht jeder die Zeit und die | |
Kapazitäten, weil jeder in seinem Alltag steckt. Wie sollen Leute solche | |
Dinge verstehen, wenn man ihnen – wie bei uns im Kreis passiert – nur sagt: | |
Wenn du was wissen willst, lies dir die Dokumente durch im | |
Kreisinformationssystem. Aber solche Dokumente sind oft verklausuliert und | |
in Verwaltungsdeutsch geschrieben, das normale Menschen nicht verstehen. | |
Also ist die Politik unterkommuniziert? | |
Ja, auch auf Bundesebene passiert manchmal nach einer Ankündigung des | |
Kanzlers tagelang nichts. Da bleibt viel Zeit für Interpretation und das | |
Aufstauen von Unzufriedenheit, weil man nicht weiß, wie es weitergeht. | |
Psychologisch ist mir das klar. | |
27 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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