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# taz.de -- Grüne im Osten: Im grünen Bereich
> Wie den Schwung der Demos gegen rechts mitnehmen vor den Wahlen im Osten?
> Zu Besuch in der Kreisgeschäftsstelle der Grünen in Senftenberg.
Bild: In Senftenberg wird immer wieder protestiert: auf dem Marktplatz gegen ei…
Dieser Text ist Teil unserer [1][Berichterstattung zu den Kommunal- und
Landtagswahlen 2024] in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. [2][Die taz
zeigt, was hier auf dem Spiel steht:] Wer steht für die Demokratie ein?
Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um
ihre Existenz?
Senftenberg taz | Der Mann ist Mitte 50, Pächter einer Tankstelle und so
frisch in der Partei, dass er noch nicht mal einen Mitgliedsausweis hat.
Nach der Wende hat er erst CDU gewählt, später die FDP und zwischendurch
auch mal die SPD. Aber vor zehn Jahren dann, sagt er, habe er zu Hause in
seinem Gemüsegarten gemerkt: „Tomaten kannst du keine mehr anbauen.“ Zu
viel Hitze, zu selten Regen. Seitdem wählt er die Grünen.
Für die Mitgliedschaft hat es aber erst [3][die Demos gegen rechts]
gebraucht, die seit einigen Wochen bundesweit immer wieder Zehntausende auf
die Straße mobilisieren. Vor zwei Jahren wollte er schon mal beitreten –
das scheiterte daran, dass seine Mails ins Leere liefen. Vor drei Wochen
dann fand auch in Senftenberg eine Kundgebung gegen [4][die AfD und deren
Deportationspläne] statt. „Die erste Demo meines Lebens“, sagt der
Hobbygärtner, der seinen Namen nicht prominent in der Zeitung lesen will.
Eine Gruppe mit Grünen-Fahne war da, die sprach er an, und jetzt sitzt er
an einem Dienstagabend im Februar auch gleich bei seiner ersten
Parteiveranstaltung – als Mitglied Nummer 34 des Kreisverbands
Oberspreewald-Lausitz.
Der Landkreis liegt im Süden Brandenburgs, nahe der Grenze zu Sachsen.
Berlin, mit der Regionalbahn in weniger als zwei Stunden zu erreichen, ist
gefühlt weit entfernt. Die Bevölkerung ist in den letzten 30 Jahren um ein
knappes Drittel geschrumpft. Die Region befindet sich im Strukturwandel,
weg von der Braunkohle und hin zu neuen Arbeitsplätzen in Industrie und
Forschung. Die AfD wäre schon bei der letzten Kreistagswahl vor fünf Jahren
beinahe stärkste Kraft geworden. Die NPD-Nachfolgepartei „Die Heimat“ ist
auch noch aktiv. Für die Grünen war die Region dagegen schon immer ein
hartes Pflaster. Im Jahr 2024, mitten im Rechtsruck, ist der kleine
Kreisverband mit Kommunal-, Landtags- und Europawahl gleich dreifach
gefordert.
In der Senftenberger Bahnhofstraße befindet sich die Kreisgeschäftsstelle
der Grünen. Acht von ihnen sitzen an diesem Dienstag hier zusammen. Sechs
Männer und zwei Frauen zwischen Mitte dreißig und Anfang siebzig. Alle paar
Wochen laden sie zu einer offenen Gesprächsrunde. Thema heute: Wie weiter
nach den Demos gegen rechts?
## Aufbruchstimmung in der Lausitz
In der Region hatten sie in den letzten Wochen mehrere davon, wie an so
vielen Orten im ganzen Land. Rund 400 kamen zur Kundgebung in Senftenberg,
eine Woche später 300 zu der in Lauchhammer. Nebenan in Elsterwerda waren
es genauso viele. Aufbruchstimmung also auch in der Lausitz, wie in den
Großstädten, wo Hunderttausende auf den Straßen waren?
Der Kreisvorsitzende sagt: „Es waren auch Gesichter da, die ich noch nie
gesehen hatte.“ Seine Beisitzerin sagt: „Bei der Demo in Senftenberg hatte
ich schon auch das Gefühl: Wir sind mehr.“ Die Mitarbeiterin der
Geschäftsstelle sagt: „Immerhin hat auch der Betriebsrat von BASF
aufgerufen.“ Im benachbarten Schwarzheide betreibt der Chemiekonzern ein
großes Werk, nach eigenen Angaben produziert er dort schon heute
CO2-neutral. Das ist die Positivseite.
Und trotzdem ist die Stimmung im Senftenberger Grünen-Büro gedämpft. Ein
wenig abgekämpft wirken sie hier an ihrem Konferenztisch. Von einer
Massenbewegung, da sind sich die Anwesenden einig, sind sie trotz der
Demos weit entfernt. Der Kreis der Teilnehmenden: am Ende doch
überschaubar. Die Aktiven aus Lauchhammer und Elsterwerda seien auch zur
Kundgebung in Senftenberg gefahren, die aus Senftenberg und Elsterwerda zu
der in Lauchhammer, kurz: Man hat sich gegenseitig einen Besuch
abgestattet. Sonst sähen die Teilnehmerzahlen nicht so gut aus.
Ende Januar, bei einer Kundgebung in Herzberg, waren die Demokrat*innen
vielleicht sogar in der Unterzahl. Dort hätten sich Rechte unter die Menge
gemischt, mit Traktoren und Lastwagen seien sie angereist. Paul-Philipp
Neumann, der Direktkandidat der Grünen für die Landtagswahl im Herbst,
sollte eigentlich eine Rede halten. Im Gehupe, berichtet er, habe er sie
aber abbrechen müssen. Später erzählt der IT-Manager beiläufig auch noch
von den Rechtsextremen auf der Demo in Elsterwerda. Einer sei gezielt auf
ihn zugekommen, habe ihn geschubst und ihm sein Handy aus der Hand
geschlagen. Zwei Tage ist das her.
„Beunruhigt dich das?“, fragt jemand. Kurze Pause von Neumann vor der
Antwort: „Wenn ich darüber nachdenken würde, könnte ich den Job nicht mehr
machen.“ Der Rechtsruck ist spürbar. „Das rechte Spektrum hatten wir hier
von Anfang an. Dass wir Grüne kein Bein auf den Boden bekommen, ist nicht
neu“, sagt einer, der schon lange für die Partei in der
Stadtverordnetenversammlung sitzt. „Zugenommen hat aber die Aggression.“
Das sei auch im Alltag und sogar im persönlichen Umfeld so. „Es ist total
salonfähig geworden, rechte Sachen zu äußern“, berichtet die Beisitzerin
des Kreisvorstands. „Ich frage mich dann immer, wie ich reagieren soll.“
Auf jeden Fall widersprechen, meint die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle,
damit habe sie gute Erfahrungen gemacht. „Das könnt ihr euch vielleicht
leisten“, antwortet die Beisitzerin. Die ist aber Single, wie sie sagt,
lebt alleine und ist damit auf soziale Kontakte auch außerhalb der Partei
angewiesen. „Wenn auf dem Hundeplatz einer anfängt, sich über Kanaken
auszulassen – oute ich mich dann als Grüne?“
Kurz vor acht soll der Kreisvorsitzende ein Fazit des Abends ziehen. „Ich
finde, wir sollten weiter mit aufrufen zu den Demos“, sagt er. Da sind sich
wieder alle einig, nur über den nächsten Termin in Senftenberg gibt es noch
Gesprächsbedarf. Der Initiator der Kundgebungen in der Stadt, ein
Ex-Mitglied der Grünen, will die nächste Aktion als Tanzdemo anmelden.
Und wie fand Neumitglied Nummer 34 nun seinen ersten Abend mit der Partei?
„War schick“, erwidert der Neuling, bevor er sich auf den Heimweg macht.
„Haben uns mal gut ausgetauscht. Ist ja auch wichtig.“
28 Feb 2024
## LINKS
[1] /Wahlen-in-Ostdeutschland-2024/!t5993946
[2] https://blogs.taz.de/hausblog/was-auf-dem-spiel-steht/
[3] /Demos-gegen-Rechtsextreme-am-Wochenende/!5994320
[4] /Grossdemos-gegen-Rechtsextreme/!5984190
## AUTOREN
Tobias Schulze
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