# taz.de -- Anhaltende Proteste der Landwirte: Warum sagt niemand „Bauern-RAF… | |
> Politik und Medien nennen Klimaproteste gern „Terror“. Die Bauernproteste | |
> werden dagegen milder beurteilt. Dabei sind sie der Extremismus der | |
> Mitte. | |
Bild: Die Ampel am Galgen: Eindeutige Symbole bei den Demos der Bauern wie Anfa… | |
Wer mit Treckern kommt, bekommt Recht. Diesen Eindruck bekommt, wer die | |
Nachrichten der letzten Wochen verfolgt hat. Denn der Protest aus der | |
Landwirtschaft zeigte Wirkung, die Bundesregierung lenkte ein. Es gab zwar | |
keine radikale Kehrtwende, aber ein deutliches Entgegenkommen. Doch dass | |
viele der Landwirte nicht allein wegen der angedachten Veränderungen bei | |
der Begünstigung für Agrardiesel und Kraftfahrzeugsteuern auf die Straße | |
fuhren, [1][offenbarten Parolen und Symbole]. | |
Eine rote Strohpuppe neben einer gelben und einer grünen vorne an einem | |
Traktor aufgehängt war zu sehen, ein Plakat mit der Botschaft „Klag nicht, | |
kämpf“ ergänzt durch ein Eisernes Kreuz und zwei Schwerter, ebenso wie: | |
„Die Wahrheit siegt“, zusammen mit einem Reichsadler, der in einem | |
Ährenkranz ein Eisernes Kreuz hält. Ein Lastenschlepper zierte ein | |
Transparent mit der Forderung „Asylpolitik stoppen“. Flaggen der | |
gegenwärtigen Reichsbürger:innen als auch Fahnen der früheren | |
Landvolkbewegung standen im Wind. Der zentrale Feind: Robert Habeck und die | |
Grünen. | |
Die [2][Eskalation des Protestes in Biberach] vor wenigen Wochen ist ein | |
weiteres Resultat einer Eskalation des Diskurses. Ein massives Auftreten | |
der Protestierenden verhinderte den traditionellen Politischen | |
Aschermittwoch der Grünen in der baden-württembergischen Kreisstadt. | |
Ausgerechnet im „Ländle“, das doch einen grünen Landesvater hat, hieß es | |
schnell verwundert. | |
## Wer ist verwundert? | |
Verwundert konnte aber nur sein, wer die anhaltenden Anfeindungen gegen die | |
Grünen – nicht allein von der AfD – ignoriert. „Worte können sein wie | |
winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine | |
Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da“, warnte | |
schon der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer 1947. | |
Verwundert konnte auch nur sein, wer ebenso ignoriert, dass das „Ländle“ | |
schon lange ein Hotspot der Reichsbürger:innen und Querdenker:innen | |
ist. Doch auch andernorts treten sie bedrohlich auf. | |
Ein aggressives Auftreten hat Anfang des Jahres verhindert, [3][dass eine | |
Fähre, mit der Habeck nach einem privaten Ausflug in Schlüttsiel ankam, | |
anlegen konnte.] Protestierende wollten in dem schleswig-holsteinischen | |
Hafenort einen spontanen „Bürgerdialog“ mit dem Bundeswirtschaftsminister. | |
Zu diesem „Dialog“ hatte die Telegram-Gruppe „Landvolk schafft Verbindung… | |
mobilisiert. Eines der rechten Netzwerke, das sich an vielen Orten bei den | |
Protesten mit einreiht. Doch wer denkt, dass all die radikalen Parolen und | |
aggressiven Aktionen einer rechtsextremen Unterwanderung geschuldet seien, | |
möchte eventuell nicht sehen, dass Bauern und Bäuerinnen selbst solche | |
Positionen und Argumentationen teilen. | |
## Der Extremismus der Mitte | |
Die Eskalation des Diskurses geht mal wieder mit einem Ignorieren von | |
Ressentiments einher. Doch den Extremismus der Mitte bei diesen Protesten | |
thematisieren Politik und Medien kaum bis gar nicht. Die Kultur des | |
Wegschauens, Ausblendens bis Nichtsehens hat Hochkonjunktur. Es soll mal | |
wieder nicht sein, was nicht sein soll. | |
Das „Extreme“ befindet sich für viele Politiker:innen und | |
Journalist:innen immer noch am Rand der Gesellschaft. Die Warnungen vor | |
einem „Extremismus der Mitte“ werden bislang kaum wahrgenommen. In den | |
Studien „Deutsche Zustände“ zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit | |
hatte Wilhelm Heitmeyer schon früh auf eine „rohe Bürgerlichkeit“ | |
hingewiesen, die durchbrechen könnte, wenn Besitzstände und Vorrechte als | |
gefährdet angesehen werden – Etablierten-Vorrechte. Diese „rohe | |
Bürgerlichkeit“ stellt sich gegen die gebotene sozial-ökologische Wende. | |
Es geht um einen Verteilungskampf für den Bestandsanspruch. Dieser Anspruch | |
könnte auch den Zuspruch für die Proteste erklären. | |
## Ein No-Go | |
Denn trotz massiven Behinderungen und illegalen Blockaden spricht niemand | |
von Bauern-Terrorist:innen oder gar von „Bauern-RAF“. [4][Die gänzlich | |
andere Reaktion auf Klimaaktivist:innen wie von der Letzten | |
Generation] und ihren Aktionen dürfte auch darauf beruhen, dass das | |
Bestehende, die Besitzzustände neu gedacht und ein wenig neu verteilt | |
werden sollen. Ein No-Go für viele. | |
Trotz des Wissens, dass wir die sozio-ökonomische Wende dringend schneller | |
vorantreiben müssen, gibt kaum eine:r gerne Substanzielles ab. Diese | |
innere Widersprüchlichkeit führt zu einem moralischen Dilemma, das auch | |
durch den Moralvorwurf an die Klimaaktivst:innen und Grünen kompensiert | |
wird. | |
Die Zurückhaltung der Polizei bei den Protesten und deren Bewertung sollte | |
auch nicht allein einer Taktik oder Überforderung zugeschrieben werden. | |
Eine Konsequenz hat sie aber schon: die Radikalisierung des Protests. | |
Vor wenigen Tagen haben Bauern eine große Menge Gülle und Mist als Blockade | |
auf die B5 bei Wustermark gekippt. Die Folge waren drei Unfälle und fünf | |
Verletzte. „Aktuell verhält sich die Schärfe der politischen und | |
staatlichen Reaktionen umgekehrt proportional zur Gefährlichkeit einer | |
Protestbewegung“ [5][kommentiere Luisa Neubauer bei X.] Die aggressivsten | |
Bauernproteste würden am „meisten Nachsicht“ ernten, so die Aktivisten von | |
Fridays for Future. Eine Nachsicht, die eben auch rechte Ressentiments wie | |
die Etablierten-Vorrechte schürt. | |
7 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Rechte-Unterwanderung-der-Bauernproteste/!5982919 | |
[2] /Folgen-der-Ausschreitungen-in-Biberach/!5989219 | |
[3] /Generalsekretaer-ueber-Habeck-Faehre/!5982110 | |
[4] /Proteste-von-Bauern-und-Klimaaktivisten/!5993493 | |
[5] https://twitter.com/Luisamneubauer/status/1765303761713389610 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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