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# taz.de -- Verhandlungen über Staatsanleihen: Die Geister, die ich rief
> Das Bundesverfassungsgericht verhandelt mal wieder über die Europäische
> Zentralbank. Es geht um die Kontrolle einer mächtigen Institution.
Bild: Noch blickt sie auf uns hinab: die nominierte EZB-Präsidentin Christine …
Der frisch gewählte molwanische Präsident Claus von Wagner wollte seinen
Untertanen eigentlich Gutes tun, in Bildung und Soziales investieren. Aber
dem Mann sind die Hände gebunden: Ein arroganter Vertreter der Europäischen
Zentralbank legt in Wagners Amtszimmer die Füße auf den Tisch und erklärt,
Molwanien müsse zum Wohle der Finanzmärkte die Ausgaben kürzen. Sonst kämen
in seinem Land bald keine Geldscheine mehr aus den Automaten.
Demokratische Regierungen haben nichts mehr zu sagen, Europa wird
beherrscht von seiner unkontrollierten und unkontrollierbaren Zentralbank,
der EZB. Das zumindest war im Mai die Aussage einer Folge der
ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche gibt
es endlich eine Fortsetzung, allerdings nicht im ZDF, sondern vorm
Bundesverfassungsgericht.
Der offizielle [1][Titel der Veranstaltung] in Karlsruhe ist denn auch
etwas spröder, es geht um das Public Sector Asset Purchase Programme (PSPP)
der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen
Sektors. In Medienberichten wird das Programm oft mit dem Wort
„Geldschwemme“ übersetzt: Die EZB kaufte mit dem Programm Schulden von
Eurostaaten im Wert von 2,2 Billionen Euro auf. Dazu kommen nochmal 400
Milliarden für andere Programme, mit denen die EZB beispielsweise Schulden
von Großunternehmen erwarb. Zusammen entspricht die Summe dem Achtfachen
des Bundeshaushalts eines Jahres.
Doch egal, ob Verfassungsgericht oder Satire, in beiden Sendungen wird im
Kern verhandelt, was die Europäische Zentralbank darf und wer ihre enorme
Macht kontrolliert. Geklagt gegen das Programm haben beispielsweise der
CSU-Politiker Peter Gauweiler oder der AfD-Gründer Bernd Lucke, der
mittlerweile eine eigene Partei hat (Liberal-Konservative Reformer). Sie
klagen regelmäßig gegen die Politik der EZB.
Besonders die Deutschen haben mit den Maßnahmen der EZB ein gewaltiges
Problem. Besonders die Deutschen haben mit den Maßnahmen der EZB ein
gewaltiges Problem. Neben Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der
Bundesregierung (hinter vorgehaltener Hand), einem Teil der
Wirtschaftsforschungsinstitute wie dem ifo in München kritisiert auch das
Bundesverfassungsgericht, die Zentralbank: Mit dem oben erwähnten PSPP
könnte die EZB verdeckt Staaten finanzieren und Wirtschaftspolitik
betreiben, beides ist der Zentralbank eigentlich untersagt. Zu dem Urteil
kam das Bundesverfassungsgericht bereits 2017 und legte den Fall dem
Europäischen Gerichtshof vor. Der [2][widersprach den Karlsruher Kollegen]
2018, es gehe der EZB um geldpolitische Ziele. Nun muss das
Bundesverfassungsgericht den Fall neu verhandeln.
Dass ausgerechnet die Deutschen so ein Problem mit der EZB haben, ist nicht
ohne Ironie. Die Europäische Zentralbank sitzt nicht ohne Grund in
Frankfurt: Die EU-Staaten haben sie 1993 auf deutschen Druck hin im Vertrag
von Maastricht maßgeblich nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank
geformt: also maximal unabhängig von der Politik, einzig und allein der
Stabilität der neuen Währung verpflichtet, um eine Inflationskrise wie zu
Zeiten der Weimarer Republik zu verhindern. Die EZB darf deshalb explizit
Staaten nicht finanzieren. Sonst könnten ja Paris oder Rom kommen und sich
die neusten Wahlversprechen (mehr Schulen, höhere Renten, heftigere Panzer)
nicht mit Steuern oder Schulden, sondern mit frisch gedruckten Geldscheinen
finanzieren.
## Finanzkrise 2008 als epochale Wende
Womit in Deutschland niemand gerechnet hat, ist, dass die EZB ihre
Unabhängigkeit wirklich ernst nimmt – und eine Geldpolitik betriebt, die
ihre Schöpfer ablehnen. Eine epochale Wende dabei spielte die Finanzkrise
von 2008. Um die Wirtschaft anzukurbeln, senkten Zentralbanken weltweit die
Zinsen auf null, Geld leihen war so billig wie nie. Weil das nicht wirkte,
gingen sie dazu über, Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB kauft sie nicht
direkt von den Staaten, das dürfte sie nicht. Sondern vom Sekundärmarkt:
Max Mustermann leiht Deutschland Geld. Der denkt irgendwann, dass es
sinnvollere Investitionen gibt, und verkauft den Schuldentitel am freien
Markt, wo die Bundesbank im Auftrag der EZB zuschlägt. Max Mustermann hat
wieder Geld, investiert in eine Kaugummifabrik und kurbelt so die
Wirtschaft an. So die Theorie. Finanziert die Bundesbank damit
illegalerweise Deutschland? Darum geht es, zum Teil. „Die Anstalt“ hat in
ihrer Sendung eine andere Praxis der EZB kritisiert, nämlich die, dass sie
den Kauf von Staatsanleihen von Ländern wie Irland, Spanien und Italien
2011 in damals geheimen Briefen vom bestimmten Wirtschaftsreformen abhängig
machte.
Damals wie heute gilt, dass die EZB-Geldpolitik gravierende Auswirkungen
auf alles hat, die aber von niemandem demokratisch legitimiert werden. Ein
aktuelles Beispiel: Ausgerechnet ein Expertengremium unter der Leitung des
Noch-EZB-Chefs Mario Draghi warnte am Mittwoch davor, dass sich in Europa
eine Immobilienblase bildet. Was der Europäische Ausschuss für
Systemrisiken (ESRB) euphemistisch als „Anzeichen einer Überbewertung“ von
Wohnimmobilien beschreibt, ist im Alltag das, was viele Menschen persönlich
erleben. Das viele Geld, das die Zentralbank in Umlauf bringt, muss
irgendwie gewinnbringend angelegt werden. Weil es keine Zinsen mehr bringt,
einfach Staaten Geld zu leihen, müssen andere Anlagen her: Das Geld fließt
an die Aktienmärkte und pumpt Kurse auf, Investoren kaufen wie bekloppt
Immobilien. In der Folge explodieren Mieten; wer mit einem normalen Gehalt
eine Eigentumswohnung kaufen will, wird sie zu Lebzeiten kaum abbezahlen
können. Gleichzeitig gibt es kaum mehr Zinsen für Kleinsparer; wer aus
Angst vor dem nächsten Finanzknall seine Ersparnisse fürs Alter
verständlicherweise nicht an die Börse tragen will, der zahlt für diese
Politik.
Wähler*innen werden wütend auf ihre Regierungen, doch die können reichlich
wenig dafür: Sie haben null Einfluss auf die Europäische Zentralbank.
Wobei, stimmt nicht ganz: Sie entscheiden über den Posten des
Zentralbankchefs, haben aber keinerlei Einfluss mehr, sobald er oder sie
mal in Frankfurt inthronisiert ist. Und da haben sich die Eurostaaten
gerade für Christine Lagarde entschieden, von der bisher sämtliche
Beobachter glauben, sie werde die Politik von Draghi fortsetzen.
Die einzige Institution, die tatsächlich direkten Einfluss auf die EZB
nehmen kann, ist der Europäische Gerichtshof. Der allerdings bisher bis auf
einige Details die Kaufprogramme der Zentralbank absegnete. Dass das
Bundesverfassungsgericht dem widerspricht und die offene Konfrontation mit
den EU-Kollegen sucht, gilt als unwahrscheinlich: Dann hätte die EU einen
Kompetenzkonflikt seiner wichtigsten Gerichte mit ungewissem Ausgang.
29 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/20…
[2] /Urteil-des-Europaeischen-Gerichtshofs/!5558221
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
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