# taz.de -- Urteil gegen Julian Reichelt: Informantenschutz auch in Berlin | |
> Ex-“Bild“-Chef Julian Reichelt war Informant für Verleger Holger | |
> Friedrich. Doch laut Berliner Landgericht kann er sich nicht auf | |
> Informantenschutz berufen. | |
Bild: Den Ex-“Bild“-Chef verpetzt: „Berliner Zeitung“-Verleger Holger F… | |
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) ist empört: Das Landgericht Berlin | |
habe den Informantenschutz der Presse „faktisch abgeschafft“. Der | |
Richterspruch müsse dringend in nächster Instanz korrigiert werden. | |
Was war passiert? [1][Julian Reichelt, Ex-Chefredakteur der Bild-Zeitung,] | |
hatte [2][Holger Friedrich, Herausgeber der Berliner Zeitung], im April | |
dieses Jahres Unterlagen zukommen lassen. Sie sollten den Vorwurf | |
entkräften, Reichelt habe von einer Bild-Mitarbeiterin, mit der er eine | |
Affäre hatte, „Sex on demand“ verlangt. In Wirklichkeit sei die Initiative | |
in der konkreten Situation von ihr ausgegangen, so Reichelt. | |
Anders als von Reichelt erhofft, machte die Berliner Zeitung daraus keine | |
große Geschichte. Vielmehr verpetzte Friedrich den Informanten Reichelt bei | |
seinem Ex-Arbeitgeber, dem Springer-Verlag. Angeblich war in den Unterlagen | |
auch Vorstandskommunikation aus dem Hause Springer. Das könnte für Reichelt | |
teuer werden. [3][Denn in der Folge verlangte Springer von Reichelt die | |
Abfindung in Höhe von zwei Millionen Euro zurück, da Reichelt eine | |
Verschwiegenheitsvereinbarung verletzt habe.] | |
In diesem Kontext wies das Landgericht Berlin Anfang Juni einen | |
Unterlassungsantrag Reichelts gegen Verleger Friedrich zurück. Es sei von | |
Friedrichs Meinungsfreiheit gedeckt, mit anderen über Reichelts | |
Kontaktaufnahme zu reden. Dagegen könne sich Reichelt nicht auf | |
Informantenschutz berufen, da kein Informantenschutz vereinbart gewesen | |
sei. | |
## Zeugnisverweigerungs-Recht, nicht -Pflicht | |
Dabei liegt das Landgericht Berlin nicht völlig falsch. | |
Journalist:innen haben vor Gericht zwar das Recht, ihre | |
Informant:innen zu verschweigen. Die Strafprozessordnung sieht aber nur | |
ein Zeugnisverweigerungs-Recht vor, keine Zeugnisverweigerungs-Pflicht. | |
Anders als bei Ärzt:innen oder Anwält:innen gibt es bei | |
Journalist:innen auch keine gesetzliche Schweigepflicht über | |
Berufsgeheimnisse. | |
Zwar heißt es im Pressekodex, die Presse „gibt Informanten ohne deren | |
ausdrückliche Zustimmung nicht preis“. Doch zum einen ist der Pressekodex | |
rechtlich unverbindlich. Zum anderen ist er auch nicht eindeutig, denn er | |
nimmt im gleichen Abschnitt selbst auf „vereinbarte Vertraulichkeit“ Bezug. | |
Als der Presserat im Juni den Verleger Friedrich wegen Verletzung des | |
Informantenschutzes rügte, gingen dem lange Diskussionen voraus. Am Ende | |
hieß es: „Die Mitglieder waren mehrheitlich der Meinung, dass es | |
unbeachtlich ist, ob der Informantenschutz ausdrücklich vereinbart wurde.“ | |
Der Passus zur „vereinbarten Vertraulichkeit“ beziehe sich vor allem auf | |
Hintergrundgespräche. | |
Dennoch liegt das Landgericht Berlin im Ergebnis falsch. Denn | |
Vertraulichkeit kann auch konkludent (also durch schlüssiges Verhalten) | |
vereinbart werden. Hierbei sind auch die üblichen Gepflogenheiten der | |
Presse zu berücksichtigen. | |
Und weil die Presse davon lebt, dass Informanten auf Vertraulichkeit | |
vertrauen, ist die Annahme von Vertraulichkeit die Regel, nicht die | |
(ausdrücklich zu vereinbarende) Ausnahme. | |
Die Annahme des Landgerichts, bei Journalisten müsse man immer mit Verrat | |
und Enttarnung rechnen, ist dagegen nicht nur pressefeindlich, sondern auch | |
weltfremd. | |
Im konkreten Fall war nach diesem Maßstab wohl durchaus Vertraulichkeit | |
vereinbart. Wie die Zeit schildert, schrieb Friedrich an Reichelt, er wolle | |
ihn „vertraulich“ mit dem Chefredakteur der Berliner Zeitung | |
„zusammenschalten“. Das dürfte für die konkludente Vereinbarung von | |
Vertraulichkeit genügen. Damit war Reichelt als Informant vor Enttarnung | |
geschützt. | |
13 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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