# taz.de -- UN-Bericht zu Gewalt gegen Flüchtlinge: Tödliche Reise durch Afri… | |
> Auf ihrer Reise zur Mittelmeerküste erleiden Flüchtlinge und | |
> Migrant*innen schwere Gewalt, viele sterben. Das geht aus einem neuen | |
> Bericht hervor. | |
Bild: Risiko Sahara: Hier kommen mehr Flüchtlinge und Migrant*innen ums Leben … | |
BERLIN taz | Tausende Flüchtlinge und MigrantInnen sterben oder erleiden | |
schwere Menschenrechtsverletzungen auf ihrer Reise Richtung afrikanischer | |
Mittelmeerküste. Das berichten das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die | |
Forschungsstelle Mixed Migration Center (MMC) des Dänischen | |
Flüchtlingsrats. | |
Menschen in der Region würden durch Schmuggler, Milizen und | |
Sicherheitskräfte „unaussprechliche Brutalität und Unmenschlichkeit | |
erfahren“ heißt es in dem [1][Bericht] „On this journey, no one cares if | |
you live or die“ („Auf dieser Reise kümmert es niemanden, ob du lebst oder | |
stirbst“). | |
Flüchtlinge berichten darin von willkürlichen Tötungen, Folter, | |
Zwangsarbeit und Schlägen, Verbrennung mit heißem Öl, geschmolzenem Plastik | |
oder erhitzten Metallgegenständen sowie Stromschlägen und „Fesselungen in | |
quälenden Positionen“. „Zu lange sind die grauenhaften Misshandlungen, die | |
Flüchtlinge und Migranten auf der Landroute erfahren haben, weitgehend | |
unsichtbar geblieben“, sagte der UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo | |
Grandi. Der Bericht dokumentiere „Tötungen und umfassende Gewalt der | |
brutalsten Art gegen verzweifelte Menschen, die vor Krieg, Gewalt und | |
Verfolgung geflohen sind“. | |
Da kein Staat der Region willens oder imstande ist, die Gewalt zu erfassen, | |
ist es nicht möglich, genaue Angaben über die Zahl der tatsächlichen Opfer | |
zu machen. Die Taten „spielen sich im Verborgenen ab, unter dem Radar der | |
Behörden und der offiziellen Statistik“, heißt es in dem Bericht. Doch | |
mithilfe von Zählungen und Berichten von Kontaktstellen entlang wichtiger | |
Migrationsrouten schätzen die UN, dass in den vergangenen beiden Jahren | |
mindestens 1.750 Menschen in der Region ums Leben gekommen sind. Damit wäre | |
diese Strecke „eine der tödlichsten Routen der Welt für Flüchtlinge und | |
Migranten“. Hinzugerechnet werden müssten die Ertrunkenen im Mittelmeer – | |
das waren 2018 und 2019 zusammen rund 4.180. | |
## In der Wüste sterben mehr Menschen als im Mittelmeer | |
Frauen und Mädchen, aber auch Männer und Jungen, seien einem hohen Risiko | |
von Vergewaltigung und sexueller Gewalt ausgesetzt. In Nord- und Ostafrika | |
seien vor allem Schmuggler Täter, in Westafrika seien es vor allem | |
Sicherheitskräfte, Soldaten oder Polizisten. Viele Menschen berichteten, | |
dass sie zur Prostitution oder zu anderen Formen der sexuellen Ausbeutung | |
durch Menschenhändler gezwungen worden seien. | |
Etwa 28 Prozent der Todesfälle aus den Jahren 2018 und 2019 seien auf die | |
Durchquerung der Sahara zurückzuführen. Orte, an denen es viele Opfer gab, | |
waren die libyschen Städte Sabha, Kufra und al-Qatrun im Süden Libyens, das | |
Schmugglerzentrum Bani Walid südöstlich von Tripolis und mehrere Städte | |
entlang des westafrikanischen Abschnitts der Route, darunter Bamako in Mali | |
und Agadez in Niger. Erst im Mai 2019 hatten Schlepper nahe der liybschen | |
Stadt Mizda rund 30 entführte MigrantInnen ermordet. Dabei soll es sich um | |
einen Racheakt gehandelt haben. | |
Diese Entwicklung hatte sich in den letzten Jahren abgezeichnet. Schon 2016 | |
schätzte die IOM, dass möglicherweise ähnlich viele Menschen in der Wüste | |
umkommen könnten wie im Mittelmeer. Damals hatte die Regierung von Niger | |
die legale Route durch die Wüste von der Stadt Agadez nach Sabha in Libyen | |
unterbrochen. | |
Die EU hat die Entwicklungshilfe für den Staat Niger danach stark | |
aufgestockt. Wer Niger in Richtung Libyen durchqueren will, kann dies nicht | |
länger in bewachten, legalen Konvois tun. Stattdessen bieten Schlepper eine | |
hochriskante Passage, weitab von Straßen, Siedlungen, Wasserstellen und | |
Kontrollposten an. | |
## Libysche Polizei erschießt mehrere Sudanesen | |
2019 sagte der Libyen-Beauftragte des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, Vincent | |
Cochetel, der Welt, er gehe davon aus, „dass vermutlich mindestens doppelt | |
so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer sterben wie im Mittelmeer | |
selbst“. Die Zahl könnte aber auch „viel höher sein. Niemand kann es mit | |
Sicherheit sagen, aber es ist eine Tragödie.“ | |
Menschenrechtsgruppen wie die Initiative [2][Alarm-Phone Sahara] hatten in | |
diesem Zusammenhang auch mehrfach die Regierung von Algerien kritisiert. | |
Diese schiebt seit Jahren Flüchtlinge und MigrantInnen aus Westafrika über | |
die Grenze nach Niger zurück. Teils mussten die Menschen von der Grenzlinie | |
zu Fuß mitten in der Sahara zur nächsten Siedlung laufen, auch dabei | |
starben immer wieder Menschen. | |
Just als die UN am Dienstag ihren Bericht vorlegten, erschoss die libysche | |
Polizei vor den Augen von UN-MitarbeiterInnen drei Sudanesen und verletzte | |
zwei weitere. Die Männer waren mit 70 anderen Flüchtlingen und MigrantInnen | |
auf einem Boot Richtung Europa unterwegs, als die libysche Küstenwache sie | |
aufgriff. Die Menschen wurden in die Hafenstadt al Chums gebracht. | |
Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) | |
berichteten, dass die örtlichen Behörden zu schießen begannen, als die | |
MigrantInnen versuchten, von der Landungsstelle zu fliehen. Zwei Migranten | |
starben am Ort des Geschehens. Mitarbeiter des International Rescue | |
Committee brachten einen Dritten ins Krankenhaus, er starb auf dem Weg | |
dorthin. | |
„Das Leiden der Migranten in Libyen ist nicht hinnehmbar“, sagt der | |
IOM-Missionschef in Libyen, Federico Soda. „Die Anwendung exzessiver Gewalt | |
führt erneut zu sinnlosen Verlusten an Menschenleben.“ In Libyen gebe es | |
für die Menschen keinerlei Schutz und es werde nichts unternommen, um dies | |
zu ändern. | |
Nach Zählung der UN hat die Küstenwache in diesem Jahr bisher 6.097 | |
Flüchtlinge und MigrantInnen auf dem Meer [3][gestoppt und zurückgeholt]. | |
Sowohl die IOM als auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR haben erklärt, | |
dass Libyen nicht als sicherer Hafen für Migranten eingestuft werden sollte | |
und dass sie dort nicht von Bord gehen sollten. Sie wollen eine alternative | |
Regelung, um Menschen, die auf See gerettet oder abgefangen wurden, in | |
sichere Häfen zu bringen. | |
29 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.unhcr.org/5f1ab91a7 | |
[2] /Helfer-ueber-tote-Migranten-im-Sahel/!5636758 | |
[3] /Fluechtende-im-Mittelmeer/!5696357 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
Simone Schlindwein | |
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