# taz.de -- Tatsachen statt Terrorangst: Polizeibesuch war rechtswidrig | |
> Die Polizei hätte das Islamistische Kulturzentrum in Bremen Ende Februar | |
> nicht durchsuchen dürfen, stellt das Landgericht fest: Es habe keine | |
> ausreichenden Hinweise gegeben, dass in der Einrichtung Waffen und | |
> Terroristen zu finden seien. | |
Bild: Objekt ermittlerischer Begierde: Bremens IKZ mit ungebetenen Besuchern. | |
BREMEN taz | Das Bremer Landgericht hat die Razzia im islamischen | |
Gemeindezentrum „IKZ“ für rechtswidrig erklärt. Dabei hatten Polizeibeamte | |
in der Nacht die Einrichtung durchsucht, die zuvor seit Monaten vom | |
Verfassungsschutz beobachtet worden war. Hinreichend konkrete Tatsachen, | |
die die Anordnung der Durchsuchung am 28. Februar 2015 gerechtfertigt | |
hätten, konnte die Kammer nicht feststellen. Die Staatsanwaltschaft habe | |
sich geweigert, den entscheidenden Hinweis auf eine akute konkrete | |
Gefahrenlage in Schriftform vorzulegen. | |
Das Gericht wirft die Frage auf, wie es sein kann, dass sich schlicht | |
niemand findet, der „als Verantwortlicher bezeugen kann, dass es | |
tatsächlich einen Hinweis mit dem vom Staatsanwalt an die | |
Ermittlungsrichterin übermittelten Inhalt gegeben hat“; auch im Nachhinein | |
wollte niemand einen Vermerk dazu unterschreiben. „Auf Zuruf“ aber dürfe | |
eine polizeiliche Durchsuchung nicht angeordnet werden. Der damals nur | |
mündlich vorgetragene angebliche „Hinweis“ stammt angeblich „aus | |
Bremen-Nord“, wo es im Vorfeld des Kampfes um die nordsyrische Stadt Kobane | |
heftige Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und kurdischen Gruppen | |
gegeben hatte. | |
Das Gericht hat in seinem Beschluss das gesamte Bedrohungsszenario, wie die | |
Polizei es seit Ende Februar dargestellt hatte, noch einmal aufgeführt und | |
dazu an verschiedenen Stellen angemerkt, dass sich einiges als Irrtum | |
herausgestellt habe: Etwa die schwer bewaffneten „Franzosen“, die sich im | |
Nachhinein als harmlose Holländer entpuppten. | |
Ausdrücklich hat das Gericht festgestellt, dass das Urteil sich nicht | |
darauf bezieht, was sich nun, aus einem Abstand von vier Monaten, sagen | |
lässt, sondern auf die Lage, wie sie sich für die entscheidende Richterin | |
am 28.2. dargestellt hat. | |
Vier Monate nach der Durchsuchung darf man davon ausgehen, dass auch | |
andere, schriftlich festgehaltene „Hinweise“ auf eine Terror-Gefahr | |
offenbar ohne Substanz waren: 60 Maschinenpistolen seien in Bremen in | |
Kreisen der muslimischen Gemeinde verteilt worden, hatte die Polizei damals | |
der Richterin erzählt, eine „Hinweisgeberin“ habe das berichtet. Und vier | |
schwer bewaffnete „Franzosen“ seien nach Bremen gekommen, die hier | |
Anschläge geplant hätten. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass die gesuchten | |
vier Personen „sich seit dem 27.2. in den Räumen des IKZ aufhalten“, hatte | |
man der Richterin erklärt. Eine Durchsuchung diene auch „dem Auffinden der | |
Waffen“. | |
Bis heute ist keine dieser Waffen gefunden worden; auch die Vorwürfe gegen | |
die von der Polizei als „Hauptbeschuldigte“ bezeichneten beiden Männer, | |
deren Privatwohnungen durchsucht und die selbst wochenlang überwacht | |
wurden, ließen sich nicht erhärten. Die Anwälte der beiden Beschuldigten | |
gehen davon aus, dass es nicht einmal zu einem Prozess kommen kann, weil | |
die Vorwürfe – unter anderem Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz �… | |
irgendwann schlicht fallen gelassen werden müssen: Der Staatsanwalt habe | |
jedenfalls seit Monaten nichts von sich hören lassen. | |
Die Polizei hatte ihre Kenntnisse aus dubiosen Quellen und das Szenario | |
gegenüber der Richterin dann offenbar noch einmal erheblich dramatisiert, | |
um den Durchsuchungsbeschluss zu bekommen. Schon 14 Tage nach jenem 28. | |
Februar tischte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) den | |
Parlamentariern der Innendeputation eine andere Version auf: Nicht weil sie | |
dort Terroristen und Waffen vermutet habe, sondern weil „nicht sicher | |
feststellbar“ gewesen sei, ob es dort Männer und Waffen gebe, habe man das | |
IKZ durchsuchen wollen. Das wollte man der Richterin aber so offenbar nicht | |
sagen – möglicherweise hätte sie darauf verwiesen, dass das IKZ rund um die | |
Uhr videoüberwacht wird und man erst einmal diese Aufnahmen auswerten kann. | |
(Az. 1 Qs 98/15) | |
10 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
## TAGS | |
Terrorangst | |
Anti-Terror-Einsatz | |
Terrorwarnung | |
Islamismus | |
Polizei | |
Bremen | |
Terrorgefahr | |
Autonome | |
Bremen Wahl | |
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) | |
Untersuchungsausschuss | |
Wahlkampf | |
Polizei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausweisung von Prediger rechtswidrig: Meinungsfreiheit für Salafisten | |
Bremens Innensenator Mäurer (SPD) hat einen muslimischen Prediger | |
rechtswidrig ausgewiesen. Das hat das Bremer Verwaltungsgericht | |
festgestellt. | |
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) über den Spagat zwischen Bürgernähe und Te… | |
Innensenator Mäurer (SPD) reformiert die Bremer Polizei. Bürgernähe und | |
Terrorabwehr will er dabei unter einen Hut bringen. Zur Kostenfrage hält er | |
sich bedeckt. | |
Festnahme in Bremen: Knast fürs Schwarzfahren | |
Jemand bittet die Polizei um Hilfe bei der Lebensführung und wird fürs | |
Schwarzfahren 145 Tage eingesperrt. Kriminologen protestieren öffentlich | |
dagegen. | |
Terror-Alarm wird untersucht: „Unmittelbare Einflussnahme“ | |
Der Untersuchungsausschuss zum Anti-Terror-Wochenende dient für den | |
CDU-Abgeordneten Wilhelm Hinners der Aufklärung politischer Verantwortung. | |
Autonome Randale: Glas, Steine, Farben | |
Die Attacke auf den Amtssitz von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) ist in | |
diesem Jahr schon der fünfte Anschlag von Autonomen in Bremen. | |
Unglaubwürdige Terror-Hinweisgeberin: Aufgeblasener Terror-Alarm | |
Nachdem die Stürmung des IKZ am „Bremer Terror-Tag“ für unrechtmäßig | |
erklärt wurde, bestreitet nun die Tippgeberin des Verfassungsschutzes ihre | |
Aussagen. | |
Terrorverdächtiger über Islamismus: „Die V-Leute wären arbeitslos“ | |
Das Islamische Kulturzentrum in Bremen wurde im Februar das vierte Mal | |
durchsucht. Der Vorsitzende wehrt sich gegen Kriminalisierung. | |
Zwei Monate nach dem Anti-Terror-Einsatz:: Kein konkreter Verdacht gegen Hauptv… | |
Gegen den Hauptverdächtigen beim Bremer Anti-Terror-Einsatz wird es nach | |
derzeitiger Aktenlage kein Strafverfahren geben – es liegt nichts gegen ihn | |
vor. | |
Im Wahlkampf mit der CDU: Aufmarsch der starken Männer | |
Zur Unterstützung ihrer Parteifreunde karrt die CDU ihre sämtlichen | |
Innenminister nach Bremen, ins gut gesicherte Atlantic Grand Hotel. | |
Antiterroreinsatz in Bremen: Schwere Pannen als tolle Chance | |
Doppelbelastungen und strukturelle Überforderung: Ein Sonderermittler | |
kritisiert die Bremer Polizei für den Antiterroreinsatz Ende Februar. |