| # taz.de -- Festnahme in Bremen: Knast fürs Schwarzfahren | |
| > Jemand bittet die Polizei um Hilfe bei der Lebensführung und wird fürs | |
| > Schwarzfahren 145 Tage eingesperrt. Kriminologen protestieren öffentlich | |
| > dagegen. | |
| Bild: Die Bremer Polizei hat mit ihnen kein Mitleid: Schwarzfahrer. | |
| Bremen taz | Da rafft sich einer auf, sein Leben in den zu Griff bekommen – | |
| und landet direkt im Knast. Weil er vorher schwarzgefahren ist. Der | |
| Kriminalpolitische Arbeitskreis Bremen (Kripak) kritisiert in seinem | |
| offenen Brief einen Fall, den ausgerechnet die Bundespolizei an die | |
| Öffentlichkeit gebracht hat: Mitte vergangener Woche habe sich ein | |
| 37-jähriger Mann an seinem Geburtstag selbstständig bei der Wache am | |
| Hauptbahnhof gemeldet, heißt es in der polizeilichen Pressemitteilung. | |
| Er wolle „sein Leben in Ordnung bringen“ und bat um Hilfe. Die bekam er | |
| dann, wie die Nachricht in ironischem Ton kommentiert „auf ungeahnte | |
| Weise“: Er wurde in die JVA gebracht, um da für sein Schwarzfahren 145 Tage | |
| abzusitzen. Denn die Geldstrafe über 1.200 Euro konnte er nicht bezahlen. | |
| Beim Kripak scheint man den polizeilichen Humor nicht zu teilen. Das klinge | |
| „nach blankem Hohn“, so der Jurist Helmut Pollähne vom Kripak. Die meisten | |
| Ersatzstrafler haben vielschichtige soziale und psychologische Probleme. | |
| Sie machen sich der „Erschleichung von Leistungen“, wie Schwarzfahren | |
| juristisch heißt, nicht aus krimineller Energie schuldig, sondern weil sie | |
| überfordert sind: etwa damit, selbst erfolgversprechende Anträge auf | |
| Sozialleistungen überhaupt erst zu stellen. Das bezeugen Beratungsstellen | |
| und kritische Juristen einhellig. Selbst unter JVA-Beamten gelten die | |
| Ersatzstrafler eher als „Sozialfälle“, denn als Verbrecher. | |
| Zumindest der politische Wille, Ersatzhaftstrafen zu verhindern, ist in | |
| Bremen schon seit Jahren erkennbar. Initiativen wie der „Verein Bremische | |
| Straffälligenbetreuung“ und der „Hoppenbank e. V.“ helfen Schuldnern, | |
| Ratenzahlungen zu vereinbaren, um ihre Verschuldung in Freiheit in den | |
| Griff zu bekommen. | |
| Dafür gehen sie auch zu Inhaftierten in die JVA, die mittlerweile eng mit | |
| den Initiativen zusammenarbeitet. Zumindest theoretisch könnte der Mann vom | |
| Hauptbahnhof also auch dort noch die Hilfe bekommen, nach der er gesucht | |
| hat. Den wesentlichen Schritt hat er bereits getan: „Wichtig ist die | |
| Eigeninitiative“, heißt es bei der Hoppenbank. Besser wäre er wohl | |
| gefahren, hätte er sich statt an die Polizei direkt an eine Beratungsstelle | |
| gewandt. | |
| Für den Kripak ist der konkrete Fall „ein weiterer Beleg für die | |
| Dringlichkeit des politischen Anliegens“. Abgesehen davon, dass | |
| Schwarzfahren aus Sicht des Arbeitskreises generell nicht strafbar sein | |
| sollte, liegt in den Ersatzstrafen nämlich auch ein handfestes juristisches | |
| Problem: Die Betroffenen wurden vor Gericht immerhin ausdrücklich nicht zum | |
| Freiheitsentzug, sondern lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt. | |
| Dass sie dann doch im Knast landen, ist zumindest ökonomisch betrachtet | |
| ziemlicher Unsinn. Der Kripak rechnet vor: „Ein Hafttag kostet den | |
| Steuerzahler rund 110 Euro“ und bei 145 Tagen kämen so knapp 16.000 Euro | |
| zusammen – mehr als das Dreizehnfache der verhängten Geldstrafe. | |
| Auch die Straffälligenbetreuung kann beachtliche Zahlen vorlegen: Allein | |
| 2013 konnten laut aktuellem Geschäftsbericht 4.319 Hafttage verhindert und | |
| damit 457.814 Euro eingespart werden. Dass die Bremer Justiz sich der | |
| Haftvermeidung zunehmend weiter öffnet, dürfte auch daran liegen, dass die | |
| Strafverfolgungsbehörden ohnehin hoffnungslos überlastet sind und | |
| Ersatzhaftstrafen nicht nur Geld, sondern auch Personal binden. | |
| Auch jenseits der juristischen Debatte gibt es zumindest Versuche, | |
| Schwarzfahrer vor dem Knast zu bewahren. Das „Stadtticket“ etwa, eine | |
| Monatskarte für Bedürftige, die mit derzeit 33,70 Euro allerdings immer | |
| noch außer Reichweite vieler liegt. Ein Modellprojekt für bereits | |
| straffällig Gewordene dümpelt seit ein paar Jahren vor sich hin. Hier | |
| können bedürftige Testpersonen ihr Ticket direkt beim Mitarbeiter der | |
| sozialen Dienste der Justiz abholen. | |
| Die Evaluation dieses Programms war durchaus positiv: Gerade der | |
| regelmäßige persönliche Kontakt trage häufig zur „Stabilisierung der | |
| Lebenssituation“ bei, heißt es. Aber dennoch steht das Projekt nach wie vor | |
| maximal 30 Personen zur Verfügung, sagte der Senat Ende vergangenen Jahres | |
| auf Anfrage der Linksfraktion. Außerdem ist es bis Ende dieses Jahres | |
| befristet. | |
| Unterm Strich bleiben diese Projekte Versuche, ein Problem zu mildern, dass | |
| es im Grunde gar nicht geben müsste. So lautet die abschließende Forderung | |
| des Kripak an Politik und Justiz dann auch, die Ersatzhaftstrafen nicht nur | |
| zu vermeiden, sonder endlich grundsätzlich abzuschaffen. | |
| 7 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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