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# taz.de -- Prozess um Polizeigewalt: Kommissar Zuschlag
> Im Prozess gegen den Polizisten Marcel B. kassiert ein Gutachter dessen
> Geschehens-Schilderung: Der Brasilianer V. de O. sei ein Opfer „ganz
> massiver Gewalt“.
Bild: Computertomografie einer Augenhöhlenfraktur links, wie sie V. de O. erli…
Bremen taz | Der [1][Prozess gegen den Zivilpolizisten Marcel B.] wird mit
einem Urteil enden. Das hat Richter Hans Ahlers nach dem zweiten
Verhandlungstag angekündigt. Dem Beamten, der zum zivilen Einsatzdienst
Mitte gehört, wird vorgeworfen, in der Nacht des 21. Mai um 3.30 Uhr den
aus Brasilien stammenden, heute 56-jährigen V. de O. in Walle hinterrücks
überfallen und brutal zusammengeschlagen zu haben. „Der Kollege ist
weiterhin bis zum heutigen Tage im Außendienst“, informiert die Polizei auf
Nachfrage der taz.
Für V. de O., gelernter Koch, ging das Leben nicht so harmonisch weiter.
Seit er auf dem Weg zur Frühschicht in einer Fabrik Marcel B. begegnete,
ist er traumatisiert (taz berichtete) und er therapiebedürftig. Er sei
Opfer „ganz massiver Gewalt“ geworden, stellte am zweiten Prozesstag der
Sachverständige Hans Jürgen Kaatsch klar.
„Das war nicht nur mal eben so ein Wischer“, so der langjährige Direktor
der Kieler Rechtsmedizin, der unter anderem an der Budapester
Semmelweis-Universität und am Hamburger Asklepios-Campus lehrt. „Das sind
Verletzungen, wie wir sie von einem Autounfall oder vom Boxsport kennen“,
so Kaatschs Auswertung der röntgenologischen und computertomografischen
Aufnahmen.
Neben einem Jochbeinbruch hatte V. de O. eine Augenhöhlenfraktur und
Verletzungen im Mundbereich davongetragen, „also unterhalb der Nase, und
ohne dass diese dabei beeinträchtigt wurde“, wie Kaatsch präzisierte –
womit der Sturz des Opfers als Ursache, anders als seitens polizeilicher
ZeugInnen am ersten Prozesstag suggeriert, völlig ausscheide.
Ebenso wenig könne, wie der Angeklagte ursrpünglich in seinem
Einsatzbericht behauptet hatte, ein einziger Hieb für die Verletzungen an
unterschiedlichen Partien der linken Gesichtshälfte ausgereicht haben. In
dieser Frage hatte Marcel B. am Mittwoch vor Gericht, offenbar in Kenntnis
eines Vorgutachtens, eingeräumt, dass es eventuell einen zweiten Schlag
gegeben haben könnte – während Augenzeugen und V. de B. seit zwei Jahren
bei ihrer Darstellung bleiben, dass der Polizist „wie ein Wahnsinniger“ auf
sein Opfer eingedroschen habe.
Viel glaubwürdiger hat die Anpassung der eigenen Version an die
offenkundigsten forensischen Sachverhalte die Aussage des Marcel B. nicht
werden lassen. So empfand Kaatsch auch dessen Behauptung als höchst
zweifelhaft, sich weder daran zu erinnern, mit welcher Hand er zugelangt
hatte – noch am Folgetag irgendwelche Schmerzen an dieser verspürt zu
haben.
Als unwahrscheinlich muss zudem die Darstellung gelten, dass der Beamte
sein Gegenüber nur im Rahmen eines Gerangels, im Nahkampf, im Gesicht
getroffen hätte: „Hier muss es auch eine Ausholbewegung gegeben haben“, so
der Professor. Und als Legende enttarnte er schließlich die Angabe, das
Opfer habe nach dem ersten Schlag keine Wirkung gezeigt: „Ich will nicht
sagen, das ist zwangsläufig ein Knock-out“, so Kaatsch. „Aber das ist ein
akutes Schmerzereignis. Das kann nicht ohne Wirkung bleiben.“
Benommenheit, Taumel und ein Auge, das „unmittelbar nach dem Gewaltereignis
zuschwillt“ – damit hätte V. de O. vielleicht umgehen können, wenn er ein
durchtrainierter Kampfsportler wäre. Das ist V. de O. aber nicht. Und das
lässt auch die für Marcel B. günstigen Aussagen seiner zwei später am
Tatort eingetroffenen KollegInnen noch zweifelhafter klingen als zuvor.
Anders hingegen die Darstellungen der Augenzeugen.
Zwar finden sich keine Hinweise auf den von ihnen beobachteten Schlaghagel,
mit dem der Polizist V. de O. traktiert haben soll, doch das wäre wohl auch
gar nicht zu erwarten gewesen: „Die Erstversorgung erfolgt ja nicht unter
forensischen Gesichtspunkten“, stellte der Rechtsmediziner klar.
„Bei solchen Verletzungen am Kopf müssen zunächst neurologische Befunde
abgeklärt werden“, erläutert er. Kleinere stumpfe Verletzungen am Rumpf
oder im Nacken, Prellungen, Quetschungen, Strangulationsmale, Hämatome –
Derartiges könne dabei jedoch schnell unter den Tisch fallen, „zumal Herr
de O. ja eine dunkle Hautfarbe hat, wo Rötungen und blaue Flecken manchmal
schwerer zu erkennen sind“.
5 Jul 2015
## LINKS
[1] /Feind-&-Schlaeger/!5207935/
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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