# taz.de -- Die Härte des Gesetzes: Sequenzen des Grauens | |
> Gestern hat die Berufungsverhandlung des Polizisten Marcel B. begonnen – | |
> er hatte im 2013 einen Brasilianer brutal verprügelt und wurde 2015 | |
> verurteilt | |
Bild: Der Tatort bei Tage: Neben der Marienkirche jagte Marcel B. im Gebüsch n… | |
BREMEN taz| Vor dem Bremer Landgericht hat gestern die Berufungsverhandlung | |
gegen den Polizisten Marcel B. begonnen. Er war bereits vor zwei Jahren | |
wegen Körperverletzung im Amt zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und | |
drei Monaten verurteilt worden, weil er wiederum zwei Jahre zuvor einen | |
Brasilianer brutal verprügelt hatte (taz berichtete). Gegen das Urteil des | |
Bremer Amtsgerichts hatten sowohl Marcel B. als auch die Staatsanwaltschaft | |
Berufung eingelegt – der Polizist, weil er lieber freigesprochen worden | |
wäre und seinen Job behalten will, und die Staatsanwaltschaft, weil ihr das | |
Strafmaß zu gering war. | |
Bei der jetzigen Berufungsverhandlung geht nun alles wieder von vorn los: | |
Täter und Opfer müssen den Tathergang nochmals in aller Ausführlichkeit | |
schildern, Sachverständige werden gehört und rund 20 Zeugen sind geladen, | |
mehrere Verhandlungstage angesetzt. Für das Opfer V. de O., der auch als | |
Nebenkläger auftritt und seit der Tat aufgrund vielfacher psychischer | |
Traumata massiv in seiner Lebensqualität eingeschränkt ist, beginnt der | |
ganze Alptraum also noch einmal von vorn. | |
Mehrfach bricht er bei der Befragung durch die Richterin in Tränen aus, | |
muss zwischendurch einen Schluck Wasser trinken, braucht ein Taschentuch. | |
Immer wieder fragt er: „Warum? Warum? Das hat mein Leben beendet, ich bin | |
ein Mann, der Angst hat.“ Bei der Befragung von Marcel B., in der der | |
Polizist seine Version des Geschehens erzählt, darf er den Saal verlassen. | |
Vom Tathergang in den frühen Morgenstunden des 21. Mai 2013 gibt es nach | |
wie vor zwei völlig unterschiedliche Versionen: Während Marcel B. aussagt, | |
V. de O. habe sich einer Polizeikontrolle entziehen wollen, sei vor ihm | |
weggelaufen und habe sich schließlich gewehrt, wodurch der Polizist sich | |
selbst massiv bedroht gefühlt hätte, schildert V. de O. den Vorgang als | |
brutalen Angriff aus heiterem Himmel. Marcel B., der seit Ende 2015 vom | |
Dienst suspendiert ist, wird zuerst befragt. Er spricht in | |
bürokratisch-korrekter Polizei-Diktion und ordnet das Geschehen für sich in | |
„Sequenzen“ ein: Als würde er ein Youtube-Video beschreiben, antwortet er | |
auf Nachfragen der Richterin zum Tathergang, etwa ob V. de O. zu einem | |
bestimmten Zeitpunkt etwas gerufen habe, so: „Also in der Sequenz nicht.“ | |
Insgesamt fünf Verhandlungstage sind für den Berufungsprozess angesetzt, | |
der Zeitplan aber kann schon am ersten Tag nicht eingehalten werden: Eine | |
für 12 Uhr bestellte Zeugin wird gebeten um 14 Uhr wiederzukommen, aber | |
auch dann kommt sie vergebens: Die Befragung von V. de O. ist immer noch | |
nicht abgeschlossen. Das liegt zum einen an der eher defensiven | |
Verhandlungsführung von Richterin Wilkens, aber auch an der Sprachbarriere, | |
die präzise Antworten oftmals verhindert: Das Opfer ist Brasilianer und | |
spricht nur schlecht Deutsch. So muss ein Dolmetscher die Fragen und | |
Antworten übersetzen, Reibungsverluste sind dabei kaum zu vermeiden, | |
präzisierende Nachfragen immer wieder nötig. | |
Kernpunkt der unterschiedlichen Tathergangsversionen ist die Frage, ob der | |
Zivilfahnder Marcel B. für V. de O. als Polizist erkennbar war oder nicht. | |
B. sagt aus, er habe sich sofort als Polizeibeamter zu erkennen gegeben und | |
sogar seinen Dienstausweis gezeigt, V. de O. sei dann aber sofort | |
geflüchtet. Als er und seine hinzugekommenen KollegInnen den inzwischen | |
schwer Verletzten schließlich überwältigt und fixiert hatten, habe der | |
Brasilianer angegeben, in seiner Heimat würde die Polizei sofort schießen | |
und er habe deswegen versucht zu fliehen. | |
V de O. hingegen sagt aus, er habe B. für einen „Verrückten oder | |
Betrunkenen“ gehalten und während der Prügelattacke laut um Hilfe gerufen �… | |
und zwar nach der Polizei. Als Marcel B.s Verteidiger Temba Hoch von ihm | |
wissen will, ob er auf Deutsch oder auf Portugiesisch um Hilfe gerufen | |
habe, sagt V. de O.: „Ich habe auf Deutsch gerufen: ‚Polizei, hilf mir!‘�… | |
denn das sei das Erste, was Ausländer in Deutschland lernten, wenn sie hier | |
ankommen: dass die Polizei einem hier hilft. | |
28 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Karolina Meyer-Schilf | |
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